Berlin. Die Cindy aus Marzahn-Erschafferin Ilka Bessin behielt seelische Narben aus der Kindheit. Warum sie ihren Eltern dennoch vergeben hat.
Dieses Jahr geht Ilka Bessin in ihrer Paraderolle als Cindy aus Marzahn wieder auf Tour. Doch die 52-Jährige ist nicht nur für bunte Unterhaltung zuständig, sondern engagiert sich auch für soziale Themen, die ihr am Herzen liegen. Ein Beispiel dafür ist ihre Unterstützung für das Doku-Format „Buchstäblich leben!“ (in der ZDF Mediathek), dessen Teilnehmer ihre Lese- und Schreibfähigkeit verbessern können. Denn sie weiß, wie wichtig helfende Hände sind – zum Beispiel, wenn sie sich mal nachts bei einer Freundin ausheulen will.
Welche für Eindrücke hat „Buchstäblich leben!“ bei Ihnen hinterlassen?
Ilka Bessin: Ich habe da Leute kennengelernt, die ihr Leben auf eine spezielle Weise gemeistert haben. Die Stärke, die sie dabei gezeigt haben, fand ich großartig. Die hat mir auch Angst genommen. Denn teilweise weiß man nicht, wie man mit Menschen umgehen soll, die Beeinträchtigungen haben, und hat Angst sie zu verletzen. Aber die sagen mir schon, wenn sie etwas doof finden.
Sie unterstützen auch wohltätige Organisationen wie Straßenkinder e.V. Was ist für Sie das treibende Motiv dabei?
Bessin: Ich denke mir einfach, dass im Leben nichts selbstverständlich ist. Wie schnell kann man in die Arbeitslosigkeit geraten? Wie schnell kann man einen Unfall haben? Es kann immer irgendetwas passieren, womit man nicht rechnet, und dann hätte man gerne eine helfende Hand.
Als ich arbeitslos wurde, hat mir Thomas Hermanns gesagt, dass ich im Quatsch Comedy Club auftreten kann. Er war meine helfende Hand. Es geht nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern man sollte einfach im Umfeld gucken, wo man wem helfen kann. Bei mir im Haus wohnt eine ältere Dame, die nach einer Hüftoperation am Krückstock ging, und da habe ich eben gefragt, ob ich etwas vom Einkaufen mitbringen kann.
Ilka Bessin: „Die Menschen und auch ich brauchen Cindy aus Marzahn“
Wann hat Ihnen in letzter Zeit jemand geholfen?
Bessin: Es kann auch eine Hilfe vom Kopf her sein. Zum Beispiel, wenn mir mein Trainer für die Aqua-Gymnastik sagt: „Komm jetzt, es geht wieder los.“ Vor Weihnachten hat mir die Kassiererin in meinem Edeka-Markt einen kleinen Schoko-Weihnachtsmann hingestellt und meinte: „Den wollte ich Ihnen einfach schenken.“ Das war zwar keine Hilfe in dem Sinne, aber ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind.
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Jetzt gehen Sie wieder als Cindy aus Marzahn auf Tour. Ist das auch eine Hilfe für die Menschen?
Bessin: Ich würde sagen, Cindy hat durch ihr pinkes Dasein die Möglichkeit, über die Dinge zu sprechen, die nicht so cool laufen, und den Zeigefinger an der einen oder anderen Stelle zu heben. Aber es wird kein politisches Kabarettprogramm. Ich bin dafür da, die Menschen zum Lachen und zum Weinen zu bringen, denn Letzteres ist auch eine Erleichterung.
Die Menschen und auch ich brauchen Cindy aus Marzahn. Sie ist bunt und laut. Wir sollen singen und tanzen und alles wird schön durchgeknallt. Ich liebe es, wenn mir die Leute sagen: „Ach, das war echt ein schöner Abend. Da konnten wir mal ein bisschen die Welt vergessen.“ Und das haben wir momentan ganz besonders nötig. Denn wenn es einem schlecht geht, finde ich Humor ganz wichtig. Dann kann man schmunzeln und sich denken ‚Schlimmer kann es doch gar nicht werden‘.
Deswegen hat Ilka Bessin ihren Eltern verziehen
Haben Sie ein Beispiel, wie Sie über Ihre eigenen Probleme gelacht haben?
Bessin: Das ist oft eine Frage der Situationskomik. Es ist schon mal vorgekommen, da habe ich jemandem zugewunken, der im Auto vorbeigefahren ist, und bin gegen eine Laterne gelaufen. Da habe ich mich kaputt gelacht, und der Fahrer auch.
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Woher haben Sie diese Fähigkeit zum Lachen?
Bessin: Ich hatte eben Eltern – mein Vater lebt nicht mehr – die hatten einen Grundsarkasmus. Mein Vater hat mich einmal am Maifeiertag mit den Pfandflaschen zum Einkaufen geschickt. Als Kind hinterfragst du das nicht weiter, und dann waren natürlich die Läden zu. Mein Vater hat sich kaputt gelacht.
Aber Ihr Vater hat Sie auch regelmäßig geschlagen, wie Sie in Ihrer Autobiografie geschrieben haben. Hinterlässt so etwas nicht seelische Narben?
Bessin: Das schon, aber meine Eltern haben sich bei mir dafür entschuldigt. Ich bin ihnen für alles dankbar, was ich erleben und machen durfte. Wenn die Schläge, die ich auf den Hintern bekommen habe, die Prämisse für mein Leben sein sollten, dann kann ich mich gleich einbuddeln. Dann hätte ich keine Freude. Wir dürfen uns nicht den Kopf über das zerbrechen, was früher war. Ich habe meinen Eltern gesagt: „Ich verzeihe euch und ich werde immer dafür sorgen, dass es euch gut geht.“
„Man muss sich mit Menschen umgeben, die einem gut tun“
Was für einen Rat haben Sie für Menschen, die von ihren Nöten so überwältigt werden, dass sie nicht mehr darüber schmunzeln können?
Bessin: Bei Lesungen haben mich die Leute manchmal gefragt. „Wie motivierst du dich so?“ Und meine Antwort war: „Ganz ehrlich, manchmal gibt es zwei Wochen, wo ich mich nicht motivieren kann.“ Und dann muss man sich Hilfe holen, fachkundige Unterstützung oder Freunde.
Ich habe eine beste Freundin, die ich nachts anrufen kann, wenn ich mich ausheulen muss, und dann sage ich „Ich habe dich so lieb“, und sie meint „Ich habe dich auch lieb“, dann heult sie mit mir mit, und danach geht es einem wieder gut. Man muss sich generell mit Menschen umgeben, die einem gut tun. Wenn dir dagegen jemand nicht gut tut, dann musst du die Person aus deinem Leben entfernen, selbst wenn es ein Mitglied aus deiner Familie ist.
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Geigen Sie Leuten, die einen schlechten Einfluss ausüben, die Meinung?
Bessin: Natürlich. So wie auch ich die Meinung gegeigt bekomme. Wenn einem irgendetwas gegen den Strich geht, dann muss es raus. Sonst platzt man.