Berlin. Würmer in der Sperrzone von Tschernobyl zeigen eine seltsame Reaktion auf die Strahlung. Das könnte auch der Krebsforschung helfen.
Das Atomunglück in Tschernobyl 1986 war eine Umweltkatastrophe unbekannten Ausmaßes. Die Explosion der sowjetischen Atomreaktoren setzte eine tödliche Strahlung frei, die der Radioaktivität von 400 Hiroshima-Atombomben entsprach. Bis heute gilt das Gebiet in der heutigen Ukraine als hochverstrahlt und für Menschen, die sich dort länger aufhalten, als lebensgefährlich. Trotzdem überlebt dort ein Lebewesen mitten in Tschernobyl völlig unbestrahlt. Wie kann das sein?
Die von Menschen völlig verlassene Sperrzone des ehemaligen Atomkraftwerks ist heute für viele Tiere ein wahres Paradies. Sie leben dort trotz der radioaktiven Verseuchung ein weitgehend unbehelligtes Dasein. So streifen beispielsweise immer noch durch genetische Mutationen veränderte Hunde durch die 260 Quadratkilometer große Gegend um Tschernobyl. Doch ein Lebewesen konnte der Radioaktivität widerstehen: der winzige Fadenwurm.
- Unterwasser-Archäologie:Wrack von legendärem U-Boot aus Zweitem Weltkrieg gefunden
- Kannibalismus: Archäologen machen schaurige Entdeckung in Jamestown-Kolonie
- Altes Ägypten: Krebsoperationen schon vor 4300 Jahren?
- Antike:Archäologen entdecken römischen Luxus-Swimmingpool
- Niederbayern: Skelett von steinzeitlichem „Bürgermeister“ aufgetaucht
Tschernobyl: Hat radioaktiver Umweltwandel zu widerstandsfähigeren Tieren geführt?
Wissenschaftler der New York University (NYU) fanden heraus, dass das Genom des Wurms von der Radioaktivität nicht verändert worden war. Die Fadenwürmer seien trotz der chronischen Strahlung besonders widerstandsfähig. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in einer im Fachjournal „Proceedings of the National Acadamy of Sciences“ veröffentlichten Studie.
Bis heute wissen Forscher nur wenig über den Einfluss von Radioaktivität auf Tiere in Tschernobyl, heißt es in einem Statement der NYU. „Hat der plötzliche Umweltwandel zur Selektion von Spezies oder Individuen einer Spezies geführt, die natürlicherweise mehr widerstandsfähig gegenüber ionisierender Strahlung sind?“, fasst Sophia Tintori, Hauptautorin der Studie, die grundlegende Fragestellung der Untersuchung zusammen.
Um das herauszufinden, schauten sich Tintori und ihre Kollegen einfache Fadenwürmer (Nematoda) an. Ihr einfaches Genom, also das Erbgut, sowie ihre schnelle Reproduktionsrate machen sie attraktiv für Forschung an biologischen Phänomenen. „Diese Würmer leben überall und leben sehr schnell“, sagt Matthew Rockman, Professor für Biologie und Berater der Foschungsgruppe an der NYU. „Sie durchlaufen Dutzende Generationen der Evolution während ein typisches Wirbeltier sich immer noch die Schuhe anzieht.“
Lesen Sie dazu:Mutation bei Wölfen aus Tschernobyl verwundert Forscher
Fadenwürmer wiesen keinerlei Strahlungsschäden auf
Um an ihre Forschungsobjekte zu kommen, mussten die amerikanischen Forscher in der Sperrzone selbst nach den Fadenwürmern suchen. Mit Schutzausrüstung und Geigerzählern sammelten sie die Würmer in unterschiedlichen organischen Materialien, die in unterschiedlich hoher Strahlung lebten.
Im Vergleich mit Fadenwürmern aus aller Welt zeigten die Fadenwürmer aus der Sperrzone keine auffälligen Strahlungsschäden an ihrem Genom. „Das heißt nicht, dass Tschernobyl sicher ist“, bemerkt die Hauptautorin der Studie Tintori. So sei es wahrscheinlicher dass Fadenwürmer generell sehr widerstandsfähige Tiere sind, die in extremen Bedingungen überleben können. Außerdem sei unklar, wie lange die gesammelten Würmer der Strahlung ausgesetzt waren.
Tschernobyl-Würmer auch für Krebsforschung interessant
Die Forschung an den Tschernobyl-Fadenwürmern könne auch der Krebsforschung helfen, eine wichtige Frage zu beantworten: Wieso bekommen manche Menschen mit genetischer Veranlagung Krebs, während andere davon verschont bleiben? „Darüber nachzudenken, wie unterschiedlich Indivduen auf DNA-schädigende Umwelteinflüsse reagieren, ist etwas, das uns helfen wird, eine klaren Überblick über unsere eigenen Risikofaktoren zu erlangen“, sagt Tintori.
Die Vereinten Nationen schätzten 2005, dass durch die ausgetretene Strahlung in Tschernobyl über 4000 Menschen langfristig an den Folgen des Unfalls gestorben waren. Andere Schätzungen gehen von Zehntausenden Toten aus. Bis heute kommt es bei Kindern der Gegend zu auffällig vielen Fehlbildungen, Hirntumoren und anderen Strahlungsschäden. Experten gehen davon aus, dass die Gegend um Tschernobyl erst in bis zu 20.000 Jahren bewohnbar sein wird.
Lesen Sie auch:Studie zeigt: Deshalb haben Menschen keinen Schwanz