Berlin. Rebecca und Kory lernen sich kennen, als er noch in Haft sitzt – nun sind sie verheiratet. Ihre Geschichte begann mit einem Brief.
- Rebecca aus Österreich beginnt eine Brieffreundschaft mit einem US-Häftling
- Kory sitzt 12 Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis
- Nur zwei Jahre nach ihrem Kennenlernen heiraten die beiden – hinter Gittern
In ihrem ersten Brief schreibt Rebecca „irgendeinen Blödsinn“: übers Wetter und über die Corona-Masken, die ihren Lippenstift verschmieren lassen. Und sie fragt Kory, wie er Christ geworden ist und warum er im Gefängnis sitzt. Das war 2021.
Damals ahnte keiner von ihnen, wohin ihre Brieffreundschaft führen würde. Zwei Jahre später sind die beiden verheiratet. Er, der amerikanische Ex-Sträfling. Sie, die junge Frau aus Österreich.
Brieffreundschaft mit einem Häftling: „Fand die Idee schön“
Wenn man die 25-Jährige nach ihrer Liebesgeschichte fragt, lacht sie: „Ich hatte mein Leben geplant – und jetzt schau es dir an.“ Dabei war es gar nicht Kory, der ihre Pläne zuerst durcheinander warf.
Rebecca wächst behütet in einer christlichen Familie auf. Als sie 16 ist, passiert das, was ihr Leben aus der Bahn wirft: Sie wird vergewaltigt. Als alle in ihr nur noch das Opfer sehen, fängt sie an, sich zu isolieren, verliert ihre Ausbildung zur Krankenschwester, reißt von zu Hause aus. Vier Jahre lang verliert sie sich in der Münchner Drogenszene.
„Es wurde immer schlimmer, bis ich schon den nächsten Tag nicht mehr sehen konnte.“ Es ist an diesem Tag, auf ihrem Balkon in München, als sie sich gefragt habe: „Warum passiert mir das?“ Und Gott habe ihr geantwortet: „Egal, welche Entscheidungen du getroffen hast, ich habe mich trotzdem für dich entschieden“, erzählt sie.
Rebecca schöpft Kraft aus dieser Erfahrung. Sie beginnt ein Theologiestudium. In ihr wächst das Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen, die sich ausgestoßen fühlen. Auf TikTok erfährt sie von der Möglichkeit, Brieffreundschaften mit Häftlingen einzugehen: „Ich fand die Idee schön, die Gefangenen mit der Welt da draußen in Verbindung zu bringen.“
Für diese Tat wanderte Kory zwölf Jahre ins Gefängnis
Rebecca entscheidet sich für einen Brieffreund in den USA – „so hatte ich einen gewissen Abstand“. Online scrollt sie durch die Profile: Name, Alter, Herkunft, Verbrechen, ein paar Sätze zur Person. „Die meisten waren auf der Suche nach einer Beziehung, das hat mich abgeturnt.“ Dann, als sie die Seite gerade schließen will: Kory aus Michigan. „Er hat nur über Gott geschrieben, über seine Beziehung zu Jesus.“ Rebecca ist skeptisch: „Ich habe ihm nicht geglaubt, dass er wirklich Christ ist.“
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Anders als sie, hat Kory keine christliche Prägung, stattdessen eine schwere Jugend: Mit 13 wirft seine Mutter ihn raus, mit 16 die Stiefmutter. Jahrelang lebt er aus seinem Auto und stiehlt. Mit 19 überfällt er mit einigen anderen ein Marihuana-Geschäft. Korys Waffe ist nicht geladen, aber er zu jung, um eine mitführen zu dürfen. Als der Besitzer des Ladens unerwartet zurückkommt, schlägt Kory ihn nieder. So erzählt Rebecca, was damals geschah.
Zwölf Jahre für bewaffneten Raubüberfall, urteilt der Richter. Im Gefängnis ist Kory „extrem wütend und gibt Gott und allen anderen die Schuld“. Bis Tommy, ein Mithäftling, ihn fragt, ob er nicht glaube, dass Gott einen Plan mit ihm habe. Kory lässt sich zum Pastor ausbilden, leitet die Gottesdienste im Gefängnis und macht zwei College-Abschlüsse.
Warnung vor Brieffreundschaft: „Man sollte es aus den richtigen Gründen tun“
All das schreibt er Rebecca in seinem ersten Brief. „Ich habe die Person dahinter gefühlt“, erinnert sich Rebecca, die da gerade dabei ist, ihr Leben in den Griff zu kriegen. „Wir haben uns gegenseitig ermutigt.“ Bald schon nicht mehr mit Briefen, sondern über das E-Mail-Programm des Gefängnisses. Eine Nachricht pro Stunde, jede Stunde, jeden Tag. Als Rebecca merkt, dass sie Gefühle für Kory entwickelt, ermahnt sie sich: „Der sitzt im Gefängnis, ich will gar nicht daran denken.“
Rebecca hatte „krasse Vorurteile“, wie sie selbst sagt. Durch ihre schlechten Erfahrungen war sie „sehr gegen Beziehungen und Männer“. Und auch wenn sie heute noch auf Instagram Nachrichten bekommt von Frauen, die wie sie eine Brieffreundschaft mit einem Häftling beginnen wollen, antwortet sie nicht. „Man gibt alles auf, investiert so viel Zeit und Geld und wird am Ende ausgenutzt.“
Mit anderen Worten: Nicht jedem ist eine Romanze mit einem Häftling vergönnt. Über Kory kennt Rebecca genügend Beispiele, bei denen es nicht gut gegangen ist. Sie hat mal zusammengerechnet: All ihre Briefe, E-Mails, Anrufe, Besuche bei Kory haben sie rund 10.000 Euro gekostet. Geld, das sie gerne ausgegeben hat. „Aber es gibt keine Garantie.“
Verlobung übers Telefon
Wegen ihrer gemeinsamen Werte ist dem Paar von Beginn an klar: Es geht um Heirat. Nur wenige Monate nach ihrem ersten Brief ist es Kory, der Rebecca seine Gefühle gesteht. Sie beginnen zu telefonieren, sich Vorstellungen zu machen über ihr gemeinsames Leben. Ein Anruf dauert 15 Minuten, dann muss Kory genausolange warten, bis er wieder anrufen darf. Und schließlich sagt sie: „I’m in.“ Ich bin dabei.
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Als Rebecca ihren Eltern ihre Heiratspläne gesteht, reagiert ihre Mutter pragmatisch und zahlt ihr den Flug in die USA. „Sie wollte, dass ich ihn treffe, bevor ich ihn heirate.“
Auf dem Weg zum Flughafen, das war im April 2022, wird Rebecca übel. Kaum zu glauben, aber: „Ich bin echt nicht mutig.“ Korys Vater holt sie ab, fragt sie aus. Wer ist diese junge Frau, die da aus Deutschland anreist, für zwei Stunden mit seinem Sohn im Gefängnis?
Hochzeit im Gefängnis: „Für uns war es perfekt“
Warten, Papiere ausfüllen, warten, Corona-Test, warten, Sicherheitskontrolle, warten. „Dann saß ich da und wusste, ich würde ihn jetzt gleich sehen – total absurd.“ Rebecca erkennt Kory an seinen Tattoos. Wie sie von ihrem Stuhl im Besucherraum in seine Arme gelangte, weiß sie nicht mehr. Nur noch: „Es war so natürlich zwischen uns.“
Am 22. September heiraten die beiden. Wie das so ist, eine Gefängnishochzeit? „Auf jeden Fall unspektakulärer als draußen.“ Sie haben eine Stunde. „Eine Pastorin ist mit uns rein, hat eine kleine Andacht gehalten und dann kam das Ehegelübde.“ Zu warten, bis Kory rauskommt, war keine Option: „Wir haben uns füreinander entschieden, unabhängig von den Umständen – für uns war es perfekt.“
Der Tag im Oktober 2023, als Kory nach zwölf Jahren endlich freikommen soll, ist für sie beide „die totale Überwältigung“. Die Gefängnistüren öffnen sich und er tritt heraus – mit nichts weiter als einem Schuhkarton in der Hand. Drei Tage lang kann der 31-Jährige kaum schlafen. „Er hat das gar nicht verarbeiten können“, berichtet Rebecca. Sein Highlight nach zwölf Jahren Kartoffeln und Bohnen: essen, was er möchte.
Nach der Entlassung: Jobsuche gestaltet sich schwierig
Was ihre gemeinsame Zukunft angeht, ist Rebecca zurückhaltend: „Es ist so schwer zu planen, weil wir nicht wissen, wie das Leben spielt.“ Kory gibt sich „echt Mühe“, erzählt sie, aber die wenigsten wollen einen Sträfling einstellen. Der 31-Jährige möchte nochmal studieren – Computerwissenschaften, damit er in Zukunft auch von Deutschland aus arbeiten kann. Deutsch lernt er auch schon.
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Wenn Menschen in ihrem Ehemann nur den Delinquenten sehen, macht Rebecca das mehr traurig als wütend: „Ich weiß, er hat Schlimmes getan. Aber warum verurteilen wir jemanden, den wir gar nicht kennen?“
Sie selbst spielt mit dem Gedanken, nach ihrem Abschluss als Gefängnispastorin zu arbeiten. Um in einem System etwas zu verändern, das sie durch Kory kennengelernt hat – und in dem sich, so wie es ist, die wenigsten zum Guten verändern.
Auch für Rebecca ändert sich zurzeit alles. „Noch drei Monate und dann habe ich endlich meine Greencard“, hofft sie. Das Warten ist hart: „Wir können unser gemeinsames Leben nicht richtig starten und ich fühle mich oft heimatlos.“ Aber immerhin weiß sie, wohin sie heimkommen wird: zu Kory, in das Haus in Michigan, wo auch schon Welpe Missy und die Kätzchen Milo und Mickey eingezogen sind.