Berlin. Schauspieler und „Tatort“-Star Mark Waschke über langweilige Superhelden, Homophobie in Deutschland und überholte Geschlechterrollen.
Sobald die Frage nach den besten deutschen Schauspielern seiner Generation aufkommt, darf bei der Antwort sein Name nicht fehlen: Mark Waschke. Die Serie „Dark“ oder seine Rolle als bisexueller „Tatort“-Hauptkommissar sind nur zwei Highlights seiner Karriere. Inzwischen hat der 51-Jährige auch diverse Hörbücher und Hörspiele eingesprochen. Sein jüngster Streich: die Audible-Produktion „Marvel’s Wastelanders; Hawkeye“. Ein Gespräch über gebrochene Helden, überholte Geschlechterrollen und die Gefahren von Künstlicher Intelligenz.
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Sind Sie privat ein Fan des weltweit sehr erfolgreichen Marvel-Superhelden-Universums?
Mark Waschke: Bis zu meiner Hörspiel-Rolle als Hawkeye war mir diese Welt ziemlich fremd. Natürlich bin ich als Kind hin und wieder mit dem Thema in Berührung gekommen, wenn meine Schulfreunde Superman oder Batman gespielt haben – ich persönlich fand die Helden mit Capes aber immer ziemlich albern und auch irgendwie langweilig…
Hawkeye stellt sich grundsätzlichen Fragen des Lebens
Warum haben Sie bei diesem Hörspiel-Projekt trotzdem zugesagt?
Waschke: Weil Hawkeye ganz anders und nicht der typische Marvel-Superheld ist. Er hat keine Megakräfte, mit denen er Blitze schleudern und Donner verschlucken kann; er ist ein ziemlich normaler Mensch: gealtert und zerbrechlich, traumatisiert, mürrisch – und er hat im Grunde gar keine Lust mehr, kämpfen zu müssen. Zudem muss er sich Fragen stellen, mit denen wir alle irgendwann konfrontiert werden.
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Welche sind das?
Waschke: Wie will ich leben und was ist mir wirklich wichtig? Was für Grundhaltungen habe ich und wofür wäre ich bereit zu kämpfen? Für wen zu sterben?
Für wen würden Sie Ihr Leben hergeben?
Waschke: Natürlich für Menschen, die mir ganz besonders viel bedeuten, wie zum Beispiel meine Frau und meine Tochter. Soweit mein erster Impuls, der ja alles andere als ungewöhnlich ist. Aber ich möchte mich bei dieser Frage auch nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. Am Ende wissen wir nämlich alle nicht, wie wir im Extremfall wie zum Beispiel einer lebensbedrohlichen Folter tatsächlich reagieren würden und ob uns nicht doch der Mut zur allerletzten Konsequenz verlassen würde.
Künstliche Intelligenz ist ein zweischneidiges Schwert
In Superhelden-Storys arbeiten die Schurken immer wieder mit Wissenschaftlern zusammen, die sich Künstlicher Intelligenz bedienen. Mit was für Gefühlen blicken Sie auf die rasend schnell wachsende Relevanz dieser Technologie?
Waschke: Ich betrachte das Thema mit ambivalenten Gefühlen. Wir stehen an einem der prägnantesten Momente der Menschheitsgeschichte, die uns in zwei Richtungen führen kann: Zum einen besteht die Gefahr, dass wir uns in einer dystopischen Zukunft wiederfinden werden, die in den totalen Untergang führen kann. Es wäre doch aber auch denkbar, dass wir diese Technologie so positiv für uns nutzen, dass die Menschheit ihre drängendsten Probleme löst. Auf eine Art und Weise, wie wir es uns heute noch nicht ansatzweise vorstellen können.
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Wie groß ist die Gefahr, dass wir im Alltag durch Künstliche Intelligenz manipuliert werden?
Waschke: Wir sind in diesem Prozess doch schon mittendrin. Das alles ist ja keine Entwicklung, die über Nacht geschieht, sondern schleichend und von viel zu vielen unbemerkt. Wenn ich sehe, wie selbstverständlich wir uns bereits heute von unserem Smartphone-Display den Tagesablauf und unsere Stimmung diktieren lassen oder bestimmten Apps mehr Kompetenz bezüglich bestimmter Entscheidungen zutrauen als uns selbst… Das fängt an bei den Navigations-Apps, denen wir mehr trauen als unserem eigenen Orientierungsvermögen und geht weiter bei Film- oder Serien-Vorschlägen von Streaming-Diensten und Produktvorschlägen von Firmen, bei denen wir etwas bestellen. Unsere Bedürfnisbefriedigung wird bereits heute von Künstlicher Intelligenz in einem hohen Maße gesteuert und manipuliert.
Sie sagten anfangs, dass Sie Helden langweilig finden. Reizt es Sie eher, einen Fiesling zu spielen?
Waschke: Ach wissen Sie – Helden und Fieslinge! Die meisten Menschen haben diese tiefe Sehnsucht nach einer kleinen Einteilung. Egal, ob nun in Grimms Märchen oder bei Marvel – wir möchten gerne wissen, wer die Guten und die Bösen sind. Aber in der Wirklichkeit gibt es unendlich viele Grautöne. Putin ist genauso wenig die Inkarnation des Bösen, wie Biden der Grundgute ist. Das große Ganze ist doch so viel komplexer! Natürlich verstehe ich dieses Grundbedürfnis, alles in Schubladen stecken zu wollen und unsere Welt voller komplexer Widersprüche dadurch besser verstehen zu können. Damit leben zu können, dass sich Gut und Böse oft miteinander vermischen und wir fast alle Abgründe in uns tragen, ist eine große Herausforderung.
Die Gesellschaft muss sich von überholten Ritualen trennen
Apropos Herausforderung: Im Februar 2021 hat die Kampagne #actout für Aufsehen gesorgt, in der sich fast 200 Schauspielstars als Mitglied der LGBTQ+-Community geoutet haben. Sie waren einer von Ihnen. Wo steht die Community heute?
Waschke: Die Aktion #actout war nur ein weiterer Schritt in einem seit Jahren fortschreitenden Prozess. Aber ich glaube, dass man innerhalb der Branche jetzt anders über Stoffe und über die Entwicklung von Geschichten redet. Und das ist gut so! Denn wir alle sind immer noch sehr geprägt von den Geschichten und Filmen, die wir sehen. Und wenn ich lesen muss, dass in einer Umfrage 48 Prozent der Männer sagen, dass sie keine Homosexualität in der Öffentlichkeit erleben möchten, dann haben wir immer noch einen weiten Weg zu gehen. Deswegen ist mir meine Rolle im „Tatort“ auch so lieb, wo das queere Thema in so einer Normalität in diesem TV-Mainstream einfach so rein plumpsen kann.
Von was für einer Utopie träumen Sie angesichts dieses Themas?
Waschke: Es wäre großartig, wenn eines Tages diese ganzen Labels nicht mehr existieren, wir in einer Welt leben, in der es egal ist, ob du Mann, Frau, schwul, bi, transsexuell, intersexuell – was auch immer – bist. Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir uns von überholten Ritualen trennen; uns stattdessen unsere eigenen, neuen Rituale der Offenheit, und der Vielfalt schaffen und so einen kraftvollen Gegenentwurf zu dem ganzen erzkonservativen Bullshit bilden, der uns von Parteien wie der AfD entgegenschreit – und nicht nur von denen.
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Für eine derartige Utopie ist die weltweite kirchliche Prägung und Konditionierung doch noch viel zu ausgeprägt.
Waschke: Ja, davon kann man bis jetzt leider nur träumen. Das Thema Kirche ist natürlich ein Thema für sich. Dieser ganze Unfug, der da über Jahrhunderte verzapft wurde; gerade beim Katholizismus – gepaart mit dem Patriarchat: der Mann ist das Oberhaupt der Familie und du darfst nicht fremd gehen. Trotzdem haben es die Männer immer gemacht. Wir sollten Quatsch wie Monogamie oder eheliche Treue hinter uns lassen und uns auf das wirklich Wichtige konzentrieren: wie zum Beispiel Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit in der Liebe und ein bedingungsloses Füreinander-da-sein.
Dieses Interview können Sie in der Langfassung im Funke-Podcast „Road to Glory“ hören.Dieses Interview können Sie in der Langfassung im Funke-Podcast „Road to Glory“ hören.