Bad Berleburg. „Das sollte man nicht auf dem Rücken der Frauen austragen“, sagt eine Berleburgin. Warum die freiberuflichen Hebammen mehr Geld fordern.

„Das sollte man nicht auf dem Rücken der Frauen austragen. Wir haben lange den Ball flach gehalten, um in Ruhe zu verhandeln, aber jetzt reicht es“, sagt Andrea Winter. Hebammen kämpfen seit Jahren für mehr Lohn, jetzt haben sie eine Kampagne namens „Ohne uns kein du“ gestartet.

Portrait von Hebamme Andrea Winter aus Bad Berleburg. Sie ist Kreisvorsitzende des Hebammenverbandes Siegen-Wittgenstein und Olpe.

„Wenn die freien Hebammen aufhören, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Dann sieht die Situation schnell ganz anders aus.“

Andrea Winter

Seit 2018 wurden die Gebühren für die Leistungen der Hebammen von den Krankenkassen nicht mehr erhöht. Sonderzahlungen wie Corona-Bonus oder Inflationsausgleich bekamen die freiberuflichen Hebammen ebenfalls nicht. „Es gibt Hebammen, die stehen mit dem Rücken zur Wand, sie wissen nicht, wie es weiter geht“, sagt Andrea Winter. Die Berleburgerin ist Kreisvorsitzende des Hebammenverbandes Siegen-Wittgenstein und Olpe. Sie arbeitet sowohl als freiberufliche Hebamme, als auch angestellt in der Geburtshilfe und als Familienhebamme. Eine Familienhebamme begleitet Familien bis ein Jahr nach der Geburt. Vor allem für Familien in schwierigen Situationen ist die Unterstützung wichtig.  

Wenn sich nichts ändert, könnte ein Hebammenmangel die Folge sein

In Wittgenstein gebe es zwar keinen Hebammenmangel, in Siegen sei die Situation schon etwas anders, so Winter. „Wenn die freien Hebammen aufhören, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Dann sieht die Situation schnell ganz anders aus.“ Es werden zwar wieder mehr Hebammen im Studium ausgebildet, aber viele bleiben nur einige Jahre im Beruf. „Die Verweildauer im Beruf ist mit sieben Jahren im Durchschnitt sehr kurz.“ Vor allem im Kreißsaal sei sie meist noch kürzer – „nur zwei Jahre“, weiß Winter.

Hintergrund zur Kampagne „Ohne uns kein du“

Seit sechs Jahren haben sich die Gebührensätze der Hebammenleistungen nicht mehr verändert. Die Verhandlungen laufen deswegen schon seit Jahren. Am Verhandlungstisch sitzen der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV-SV), die Hebammenverbände DHV (Deutscher Hebammenverband) und der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD). Doch es tut sich nichts.

Die Hebammen rufen mit der Kampagne „Ohne uns kein du“ zum Mitmachen auf: In Form von Posts auf den sozialen Netzwerken oder mit Briefen und Mails an die Krankenkassen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Ein weiteres Problem: Die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen ist sehr teuer. Laut Andrea Winter werden mehr als 12.600 Euro im Jahr fällig, bei Vorschäden sogar mehr als 15.800 Euro. Ein Teil dieser Summe bekommen Hebammen als Sicherungszuschlag wieder. Zunächst müssen sie aber in Vorleistung gehen. Die Absicherungssumme ist bei Personenschäden auf 12,5 Millionen Euro festgelegt. „Das reicht beim Supergau, wenn Mutter und Kind geschädigt werden, nicht aus“, stellt sie klar.

Bei jeder Geburt muss eine Hebamme anwesend sein

Was viele nicht wissen: „Bei jeder Geburt muss eine Hebamme dabei sein. Und die Frauen werden immer früher wieder aus den Krankenhäusern entlassen. In der Regel nach 48 Stunden.“ Danach sei eine Unterstützung im Wochenbett durch Hebammen sinnvoll. „Es ist das Schönste, wenn du eine Betreuung von Beginn der Schwangerschaft, mit Vorsorge im Wechsel mit Gynäkologen, Geburtsvorbereitung, Geburt, Wochenbett und Kurse zur Rückbildungsgymnastik anbieten kannst“, sagt Winter.  

„In den Beruf fließt viel Herzblut. Das sollte wertschätzend bezahlt werden.“

Carola Winter
über die Forderung der Hebammen

„Im Kreis machen sich die Hebammen schon Sorgen, vor allem die freien Hebammen, die Praxisräume angemietet haben“, so die Kreisvorsitzende. Auch Berleburgerin Carola Friedrich ist als Hebamme tätig – sowohl freiberuflich als auch angestellt. „Lohnt sich die Freiberuflichkeit überhaupt noch? Betriebswirtschaftlich gedacht, nicht immer“, sagt sie. „Ich betreue die Frauen sehr gerne. Es ist schön, die Frauen auch zuhause zu begleiten.“ Für viele Hebammen sei deswegen die Kombination reizvoll: Schichten im Krankenhaus mit der Betreuung der Frauen zuhause als freiberufliche Hebamme. „Im Wochenbett brauchen die Frauen die Betreuung und für die Hebamme ist das bereichernd“, sagt Friedrich weiter. „Es ist schade, dass gute Arbeit nicht angemessen bezahlt wird. Wir tragen viel Verantwortung.“

Die Kosten der Hebammen sind nur ein kleiner Teil im Gesundheitssystem

Insgesamt gibt es in Deutschland 27.000 Hebammen. „Wir sind nur ein kleiner Teil des Kuchens im Gesundheitssystem“, sagt Andrea Winter. „Die Ausgaben der Krankenkassen für Hebammenleistungen liegen bei 0,4 Prozent“, zitiert Carola Friedrich den AOK-Geschäftsbericht für das Jahr 2023. Dass sich bei den Verhandlungen nichts bewegt, sei „frustrierend.“ Die einzige Lösung: „Die Gebühren müssen hochgehen“, sagt Winter. Streiken können die freien Hebammen nicht. „Das ist rechtlich nicht möglich.“ Denn: „Wir haben einen Vertrag mit der Frau, dem müssen wir nachkommen. Wenn wir nicht arbeiten, wäre das ein Vertragsbruch.“

Trotz allem ist das Wohl der Frauen und der Familien für die Hebammen wichtig, aber auch die Rahmenbedingungen müssen passen. „In den Beruf fließt viel Herzblut. Das sollte wertschätzend bezahlt werden“, sagt Carola Friedrich. Und Andrea Winter ergänzt: „Ich möchte, dass die Familien gut und angemessen versorgt sind und auch genügend Hebammen in den Kreißsälen sind. Sodass eine 1:1-Betreuung in der letzten Phase der Geburt in allen Häusern möglich ist.“  

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