Berghausen. Zukunft des Automobilzulieferers aus Bad Berleburg gesichert. Investor bringt Kapital und erhält Standort - Allerdings mit Personalabbau.
Auf diese Nachricht haben die Mitarbeitenden bei der SCS Deutschland GmbH und Co. KG gewartet. Am Sonntagabend wurden die Papiere unterschrieben, berichtet der Insolvenzverwalter Jens Lieser dieser Zeitung. Mit dem börsennotierten Konzern Suprajit übernimmt ein indischer Automobilzulieferer das krisengeschüttelte Wittgensteiner Traditionsunternehmen.
Vorausgegangen sind „intensive und konstruktive Verhandlungen“ des Insolvenzverwalters Jens Lieser mit dem indischen Investor Suprajit. Beide Parteien haben am 9. Juni 2024 einen notariellen Kaufvertrag unterzeichnet. Der Kaufvertrag wird zum 1. Juli 2024 wirksam, sobald alle Vertragsbedingungen erfüllt sind. Neben der SCS Deutschland, in der das operative Geschäft gebündelt ist, übernimmt der strategische Investor gleichzeitig die gesamte SCS Gruppe mit den Standorten in Polen, Marokko, Kanada und China. Das berichtet Jens Lieser in einer Mitteilung am Montagmittag.
Der indische Konzern will auf dem europäischen und amerikanischen Markt Fuß fassen, so Lieser im Gespräch mit dieser Zeitung. Deswegen passt SCS mit seinen Verbindungen in Kanada und Deutschland perfekt ins System, zumal beide Unternehmen ähnliche Fahrzeugkomponenten beispielsweise mit Bowdenzügen herstellen.
Wer steckt hinter Suprajit?
Suprajit wurde 1985 in Indien gegründet und hat sich als Pionier in der Entwicklung und Herstellung mechanischer Steuerkabel einen Namen gemacht. Das Unternehmen gilt als einer der führenden Automobilkabelhersteller und ist weltweit der größte Kabelproduzent auf dem Markt für Zweiradkabel. In 2015 erwarb Suprajit das Unternehmen Wescon Controls Inc. in den USA und erweiterte durch die Übernahme von Phoenix Lamps Limited im Jahr 2014 sein Leistungsangebot im Bereich Automobilbeleuchtung. Die Suprajit-Gruppe mit Sitz in Bangalore/Indien ist inzwischen ein weltweit führendes Unternehmen in der Automobilkabel- und Halogenlampenindustrie. Mit Produktionsstandorten in Indien, Großbritannien, den USA, Mexiko und China sowie einer weltweiten technischen und logistischen Unterstützung bietet die Gruppe ihren nationalen und internationalen Kunden optimale Produktentwicklungs- und Produktionslösungen. Die Gruppe besteht aus Suprajit Engineering Limited (zu der auch Phoenix Lamps gehört), Suprajit Automotive Limited, Suprajit Europe Limited, Wescon Controls LLC, Suprajit Mexico, Suprajit Hungary und Suprajit Inc USA. Weitere Informationen unter: https://suprajit.com.
Die Investition in SCS biete dem strategischen Investor eine gute Gelegenheit, um seine Position in den Zielmärkten Europa und Nordamerika konsequent auszubauen, heißt es. Hierfür seien „die herausragende Produktentwicklung und der exzellente Vertrieb von SCS“ ein wichtiger Baustein zur Erweiterung der weltweiten Präsenz von Suprajit im Interesse seiner Kunden. „Diese Akquisition wird unsere globale Produktionsbasis für Bowdenzüge im Automotive-Bereich weiter stärken. Suprajit wird in der Lage sein, seinen Kunden eine Verlagerung auf kostengünstige Produktionsstandorte sowie eine perfekte, kundenorientierte Lieferkette zu bieten. Diese Übernahme wird nach der Konsolidierung und Umstrukturierung mittelfristig zu einem verbesserten Kundenservice, globalem Wachstum und Margenverbesserungen führen“, sagt Ajith Rai, Gründer und Vorsitzender von Suprajit.
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Der Wittgensteiner Automobilzulieferer SCS hat jetzt Planungssicherheit und das notwendige Kapital, um seinen Unternehmensumbau abzuschließen. Die Produktion ist schon nahezu vollständig nach Marokko verlagert worden. Aber aus dem noch zu schließend Standort in Polen werden noch Maschinen nach Nordafrika verlagert. Die Kunden werden zunächst noch weiter aus Polen beliefert, so Lieser.
Am Stammsitz in Bad Berleburg sollen die Produktentwicklung und auch die Verwaltung erhalten bleiben. Die ursprünglich von Geschäftsführer Friedemann Faerber geplante Aufgabe eines Logistik-Hubs in Berghausen wird entfallen. Das bedeutet erneut einen Arbeitsplatzabbau. Faerber wird bei der SCS Unternehmensgruppe die Umsetzung des Fortführungskonzeptes von Suprajit sowie den Integrationsprozess weiter begleiten. Er gilt intern nach Informationen dieser Zeitung als unumstritten und auch als Ideengeber für den Umbau des Unternehmens, der nur durch die Energiekrise ins Wanken geraten sein soll und dann vor Weihnachten 2023 in die Insolvenz führte.
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Sozialverträglicher Umbau
„Da kommt kein harter Schlag, keiner wird arbeitslos“, sagt Jens Lieser im Gespräch mit dieser Zeitung. Der Transformationsprozess erfolge in zwei Stufen. Durch die Übernahme von Suprajit bleibe der wesentliche Teil aller aktuell bestehenden 85 Arbeitsplätze in Bad Berleburg erhalten. In einer ersten Phase wechselten insgesamt 18 Beschäftigte zum 1. Juni 2024 in eine Transfergesellschaft. Dort erhalten sie sechs Monate lang rund 80 Prozent ihrer bisherigen Nettovergütung und gelten nicht als arbeitslos. Die Transfergesellschaft bietet den Arbeitnehmern eine durchgehende Beratung und Unterstützung bei der Jobvermittlung und finanziert bei Bedarf auch Weiterqualifizierungsmaßnahmen.
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Im Zuge der weiteren Restrukturierung werden voraussichtlich in einer zweiten Phase ab dem 1. Juni 2025 weitere elf Beschäftigte in die Transfergesellschaft wechseln. „Die Einrichtung der Transfergesellschaft ermöglicht es uns, den Übergang für die betroffenen Beschäftigten sozialverträglich zu gestalten und ihnen neue Perspektiven zu bieten. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie in diesen nicht einfachen Zeiten zu dem Unternehmen loyal gestanden haben“, sagt Jens Lieser. Lediglich drei Mitarbeitenden, die als Langzeiterkrankte nicht in die Transfergesellschaft übernommen werden können, werden voraussichtlich direkt in die Rente wechseln.
Schwieriges halbes Jahr
Unmittelbar nach dem Insolvenzantrag im Dezember 2023 hatten der Insolvenzverwalter Jens Lieser und sein Team Gespräche mit allen Kunden geführt. In der Folge kamen die Kunden SCS mit bemerkenswerten Unterstützungsmaßnahmen entgegen. Hierdurch konnte SCS die Produktion und somit den Geschäftsbetrieb trotz des Insolvenzverfahrens stabilisieren und fortführen. Das Unternehmen gewann Zeit und ermöglichte dem Insolvenzverwalter einen geeigneten Investor zu suchen, den er in Suprajit fand. „Ohne das Entgegenkommen der Kunden wäre dies nicht möglich gewesen“, so Lieser gegenüber der Redaktion.