Berghausen. Der vorläufige Insolvenzverwalter Jens Lieser setzt auf externe Investoren für Sanierung des zahlungsunfähigen Automobilzulieferers.
Bis Ende Februar sind die Löhne und Gehälter durch Insolvenzgeld gesichert: In den nächsten Tagen entscheidet sich die Zukunft des Wittgensteiner Automobilzulieferers SCS Deutschland GmbH & Co. KG. Aber es gibt Grund zur Hoffnung, wie die Westfalenpost im Nachgang zu einer Betriebsversammlung vom vergangenen Freitag erfuhr. Das wichtigste Thema dabei ist die Suche nach neuen Investoren, die den angestoßenen Umbau des Unternehmens unterstützen.
Diese Hoffnung speist sich vor allem aus den Erklärungen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt Jens Lieser. Aber auch aus der Belegschaft gibt es positive Töne. Die Gewerkschaft IG Metall begleitet das ganze aber kritisch und mit einer aus den vergangenen Jahren gewachsenen Vorsicht.
„Die Stimmung im Unternehmen ist gut und voller Zuversicht, dass wir das schaffen. Unsere Kunden stehen zu uns und wir haben ein Produkt, das man so schnell am Markt nicht wieder findet“, sagt ein Mitarbeiter im Gespräch mit der Redaktion. Von Rechtsanwalt Lieser und seinem Team hält er viel: „Die unterstützen uns, wo es geht.“ Auch die Suche nach neuem Kapital sehen Teile der Belegschaft optimistisch.
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Auf Nachfrage der Redaktion bestätigte Pietro Nuvoloni von der dictum media GmbH aus Köln die Betriebsversammlung am vergangenen Freitag: „Inzwischen hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Mitarbeiter über den aktuellen Stand des Insolvenzverfahrens informiert. Die Mitarbeiterversammlung, die in Anwesenheit der IG Metall stattfand, verlief ruhig. Sanierungsexperte Jens Lieser sieht nach wie vor gute Aussichten, das Unternehmen zu erhalten und fortzuführen“, heißt es auf unsere Anfrage.
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Der vorläufige Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Jens Lieser, hatte diese Aufgabe übernommen und habe sich seit Dezember mit seinem Team bereits einen Eindruck vom Unternehmen verschaffen können. „Unmittelbar nach dem Beschluss des Amtsgerichts Siegen hatte Jens Lieser gemeinsam mit dem Management zahlreiche Kunden und Lieferanten kontaktiert und es ist gelungen, den Geschäftsbetrieb vollumfänglich aufrechtzuerhalten. Die Entwicklung und die Produktion der innovativen Bowdenzüge, der Entriegelungseinheiten sowie der Spritzgussteile aus Kunststoff laufen ganz normal weiter. Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs ist immer ein wichtiger Schritt, um das Unternehmen zu stabilisieren und fortzuführen. Zudem verfügt die SCS Deutschland über einen guten Namen sowie gute Kontakte zu den Geschäftspartnern und genießt Vertrauen im Markt“, heißt es in der Antwort auf unserer Anfrage weiter.
Verschiedene Szenarien durchkalkuliert
Noch Anfang des Jahres kalkulierte der vorläufige Insolvenzverwalter verschiedene Szenarien durch, ob die für die Zukunft entscheidende aber eben auch kostenintensive Verlagerung der Produktion aus Ungarn und Polen ohne zusätzliche Fianzierung von außen zu stemmen sei. Schon damals erläuterte Lieser aber: „Im Einzelfall geht es auch darum, mit einem Sanierungskonzept frisches Geld aufzutreiben, um die Liquiditätslücke zu schließen, bei den Besitzern oder externen Investoren. Auch ein Verkauf an einen Investor ist möglich.“
SCS: Neun Jahre im Krisenmodus
Dezember 2023: Insolvenzverfahren über die SCS Cable Systems GmbH eröffnet.
Februar 2023: Die Lafayette Mittelstand Capital, ein Luxemburger Investmentfonds, übernimmt SCS von der Möhrle Gruppe.
Januar 2022: Ein neuer Produktionsstandort in Tanger/Marokko wird aufgebaut, die Werke in Polen und Ungarn schließen.
Januar 2022: Geschäftsführer Friedemann Faerber kündigt einen Arbeitsplatzabbau am Stammwerk Berghausen von 110 auf 85 Mitarbeiter an.
Januar 2018: Friedmann Faerber wird neuer Geschäftsführer und ersetzt Kai Uwe-Wollenhaupt. Dessen Umbau des Unternehmens hatte zu massiven Konflikten mit Gewerkschaft und Belegschaft geführt. Faerber startet nun ebenfalls einen Restrukturierungsprozess. Dabei verlor ein Drittel der 180 Mitarbeiter ihren Job.
September 2017: Stahlschmidt Cable Systems hat am Standort Berghausen etwa 190 Beschäftigte. Weltweit zählt der Hersteller von Bowdenzug-Systemen und Kunststoff-Komponenten für die Autoindustrie 1200 Mitarbeiter. SCS hat Werke in Deutschland, Polen, Ungarn, China und Kanada.
Februar 2017: Die Belegschaft macht sich Sorgen um die Jobs. Kai-Uwe Wollenhaupt kündigt Entlassungen an und verhandelt über einen Standortsicherungs-Tarifvertrag.
September 2016: SCS entlässt einen leitenden Mitarbeiter und macht mit einem Arbeitsgerichtsprozess negative Schlagzeilen.
Juli 2016: Führungswechsel: Reinhold Klein muss gehen und Kai-Uwe Wollenhaupt übernimmt.
September 2015: SCS investiert in Ausbildung und einen an die IG-Metall-Tarife angeglichenes Lohnniveau.
August 2015: Geschäftsführer Reinhold Klein fädelt einen Deal ein: Die Hamburger Peter Möhrle Holding übernimmt das seit 2009 kriselnde Familienunternehmen mit 1000 Beschäftigten an mehreren Standorten. Die Familie Stahlschmidt gibt alle Geschäftsanteile ab.
1924: Das Unternehmen Stahlschmidt wird gegründet.
Dieser Fall ist nun eingetreten: „Inzwischen hat Jens Lieser einen strukturierten Investorenprozess gestartet. Hierzu werden von externen M&A-Beratern zahlreiche potenzielle Interessenten aus dem Branchenumfeld kontaktiert, um in einem nächsten Schritt nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung, diesen den Zugang zum Datenraum zu gewähren. Wenn Interessenten Zutritt zum Datenraum erhalten, in dem sich alle wesentlichen Verträge und betriebswirtschaftlichen Eckdaten des Unternehmens befinden, können sie eine Due Diligence durchführen und anschließend ein Gebot abgeben. Dies wird jedoch realistisch betrachtet noch etliche Wochen in Anspruch nehmen“, schreibt Pietro Nuvoloni von der dictum media GmbH aus Köln.
Für die IG Metall wiederholt der 1. Bevollmächtigte Andree Jorgella im Gespräch mit dieser Zeitung, „dass wir die Entwicklung kritisch begleiten“. Bei einer positiven Perspektive sei man auch bereit, mit SCS über eine Wiederaufnahme der ausgesetzten Verhandlungen über einen Sanierungstarifvertrag zu sprechen. Jorgella bestätigte, dass es positive Signale von einigen Kunden des Automobilzulieferers gebe, die beriet seien zu investieren.
Die Risiken von externem Kapital
Zweimal schon wurde - zumindest auf dem Papier - fremdes Geld in das Unternehmen gesteckt, bzw. externe Investoren geholt. Das erste Mal war 2015 beim geplanten Verkauf des Familienunternehmens an die Peter Möhrle Holding, und das zweite Mal im Februar 2023 bei der völlig überraschenden Übernahme durch die luxemburgische Fondsgesellschaft Lafayette Capital.
Die entscheidende Frage wird erneut sein, woher die Investoren kommen? Sind es sogenannte OEMs, also Original Equipment Manufacturer, sprich Automobilkonzerne oder große Komponentenhersteller, die ein Interesse am Fortbestand von erprobten und verlässlichen Geschäftsbeziehungen haben. Oder sind es Branchenkonkurrenten, die durch die Hintertür versuchen könnten, Marktanteile oder gar Patente zu erwerben. Die haben oft kein Interesse am langfristigen Fortbestand eines Mitbewerbers.