Siegen-Wittgenstein. Nach Abschluss der Forschung soll es am Geld für die Veröffentlichung nicht scheitern, meint die Mehrheit. Dafür wird ein anderes Projekt geopfert.
Die Geschichte des Kreises Siegen-Wittgenstein kann weitergeschrieben werden. Der Kreistag hat grünes Licht für den zweiten Teilband „Zeitspuren in Siegerland und Wittgenstein im preußischen 19. Jahrhundert“ gegeben. Nachdem der erste Teil über die Jahre von 1815 bis 1848 („An der Schwelle zur Industrialisierung“) im vorigen Frühjahr veröffentlicht wurde, soll nun die Fortsetzung („Im Industriezeitalter 1848-1914“) folgen.
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Die Revolution von 1848, der Anschluss an das Eisenbahnnetz, der Aufbau eines Schulwesens, der erste große Strukturwandel von der Eisenerzeugung zur Eisenverarbeitung, der Kulturkampf zwischen Staat und Kirche, die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Südeuropa und die politische Entwicklung wird der Siegener Historiker Dieter Pfau darstellen. „In ihrer politischen Entwicklung waren beide Kreise (Siegen und Wittgenstein, d. Red.) anfangs bürgerlich-liberal geprägt“, berichtet Pfau. Das veränderte sich: Mit dem antisemitischen Hofprediger Adolf Stoecker wurde der Siegener Raum über Jahrzehnte „Hochburg der kaisertreuen und zugleich dezidiert antisemitischen Christlich-Sozialen Partei“.
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Das Siegerland wurde führende Eisenregion in Deutschland und Europa, Wittgenstein blieb vorerst noch arm. Dort führt unter anderem die Gründung des Spar- und Darlehenskassenvereins sowie von Bezugs- und Absatzgenossenschaften zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse. In Wittgenstein entwickeln sich größere jüdische Gemeinden, in der Stadt Siegen eine kleine, die 1904 eine Synagoge errichtet – auch darüber soll in dem nächsten Zeitspuren-Band berichtet werden, der im Oktober 2026 erscheinen wird. Den Vorgeschmack gibt es übrigens längst online: Die Zeittafel auf zeitspuren-siwi.de reicht schon bis 1915.
Für Verkauf der „Zeitspuren“ braucht es langen Atem
Die wissenschaftlichen Arbeiten zu dieser Kreisgeschichte sind abgeschlossen. Der Kreistag war jetzt gefragt, weil die Produktion des Buchs finanziert werden muss. Bewilligt wurde – bei einigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen – ein Zuschuss von bis zu 35.000 Euro zu den Produktionskosten, die Zug um Zug aus dem Verkaufserlös zurückerstattet werden. Ursprünglich war angenommen worden, die Herstellung des zweiten Teilbandes könnte aus Verkaufserlösen des ersten Bandes bezahlt werden. Von dem sind bisher 600 Bücher verkauft worden. Die Verwaltung weist allerdings darauf hin, dass der 2009 erschienene erste Zeitspuren-Band über das Früh- und Hochmittelalter mittlerweile über 2500 Mal verkauft wurde. „Dies zeigt, dass der (Verkaufs-)Erfolg der Zeitspuren-Reihe langfristig gesehen werden muss.“ Deshalb soll auch der zweite 19.Jahrhundert-Teilband eine Auflage von 3000 bis 4000 Exemplaren bekommen.
Zur Unterstützung des Projekts wird der Kreis außerdem 250 Bücher des ersten Teilbandes kaufen und Schulen, Bibliotheken und Senioreneinrichtungen überlassen. Insgesamt hatte der erste Teilband ein Budget von 234.000 Euro, an dem der Kreis mit einem Zuschuss von 50.000 Euro und der Arbeitszeit der damals im Kreisarchiv tätigen Wissenschaftlerin Elisabeth Strautz beteiligt war. Allein an Sponsorenmitteln hatte Dieter Pfau rund 100.000 Euro zur Verfügung, für die der Siegener Unternehmer Klaus Vetter viele Mitstreiter gewonnen hatte.
Im Kulturausschuss des Kreistags war ein weiteres finanzielles Engagement des Kreises hinterfragt worden. In den Raum gestellt wurde auch die Annahme, dass ein Buch womöglich nicht mehr das angemessene Medium sei. In einer ergänzenden Vorlage für den Kreistag hatte Landrat Andreas Müller nochmals dafür geworben, die technische Herstellung zu ermöglichen, „um die unter hohem finanziellen und personellen Aufwand erarbeiteten Forschungsergebnisse zu sichern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.
Keine Farbe für den „Eisenwald“
Ein weiteres regionalgeschichtliches Projekt hat der Kreistag dagegen vorerst scheitern lassen. Bei 15 Gegenstimmen hat die Mehrheit den noch vom Kulturausschuss – knapp – befürworteten Vorschlag abgelehnt, die Kolorierung des Films „Der Eisenwald“ mit 35.000 Euro zu unterstützen. „Der Kulturfilm ‚Der Eisenwald‘, produziert von der Dreyer Kulturfilm aus Düsseldorf und 1953 im Siegener Apollo-Kino uraufgeführt, gilt bis heute als der historische Siegerlandfilm schlechthin“, heißt es in der Vorlage der Verwaltung. „Obwohl in den 1950er Jahren produziert, stellt der Film die Realität der 1920er Jahre dar. Unter der Regie von Herbert Ladendorff und der Kameraarbeit von Herbert Apelt – dem Leibkameramann von Luis Trenker – sowie einem großen Produktionsstab, entstand unter immensem Aufwand ein Werk von außerordentlicher Qualität. Der Film porträtiert das Siegerland, wie es vor rund 100 Jahren aussah und bietet tiefe Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen unserer Region. Der Film wurde damals mit Mitteln des Altkreises Siegen und durch Zuwendungen der Siegerländer Industrie finanziert.“
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Der Film dokumentiere die fortschrittliche Waldbewirtschaftungsform des Haubergs sowie die Verbindungen zwischen Eisenerzgewinnung, Holzkohlemeilern, den Eisenerzhütten bis hin zur Eisenverarbeitung. Diese detaillierte Darstellung sowie die enge Verzahnung der Lebens- und Arbeitswelt vor 100 Jahren mache den Film „Der Eisenwald“ zu einem „einzigartigen Zeugnis und einem festen Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der Menschen in der Region“.
Mit einer Kolorierung werde der Film attraktiver für junge Menschen, das Geschehene werde „unmittelbarer und emotional berührender“, heißt es weiter. Technisch möglich wird die Kolorierung, weil der Film bereits restauriert und digitalisiert wurde. In der Kreispolitik wurde die Erwartung geäußert, dass schon in wenigen Jahren eine Kolorierung unter Einsatz von künstlicher Intelligenz deutlich preiswerter zu realisieren sei.
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