Hilchenbach. Die heutige B 508 wurde 1834 fertig. Vorher war Kronprinz Friedrich Wilhelm da und hinterließ Baum und Namen für die Gegend nah der Ginsburg.

Wenn man das Siegerland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als wirtschaftliches Ganzes betrachtet, kann man fast von einem „Hidden Champion“ reden: ein mittelständisches Unternehmen, das Weltmarktführer in einem Nischen-Marktsegment ist.

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Wohlstand mit Erzen, Leder und Textilien

Die gewerbliche Nutzung der natürlichen Ressourcen Eisenerz, Holz und Wasserkraft hatte einen gewissen Wohlstand ermöglicht – wenn auch mit großen Unterschieden zwischen reich und arm. Eisenerze und andere Metalle wurden auf mehr als 200 Gruben abgebaut, von rund zwei Dutzend Hütten- und Hammerwerken geschmolzen und zu Eisen- und Stahlluppen verarbeitet. Zur weiteren Bearbeitung oder Veredelung wurden sie größtenteils in die Nachbarkreise und das preußische In- sowie das deutsche, teilweise aber auch das europäische Ausland und nach Übersee exportiert.

Durch die günstig in den Haubergen gewonnene Lohe war ein umfangreiches Gerbereiwesen entstanden. Den Großteil ihrer Rinderhäute importierten die Gerber bereits um 1800 aus dem La-Plata-Gebiet in Südamerika. Mit dem Gerbereibesitzer Gustav Mallinckrodt hatte sich 1823 ein im deutschen und nordosteuropäischen Raum gut vernetzter Häutehändler in Krombach niedergelassen. Nach seinem Umzug nach Köln stand er weiter in engen Geschäftsbeziehungen mit den Siegerländern Gerbern. Die Fabrikantenfamilie Dresler aus Siegen investierte ihr im Textilwesen erwirtschaftetes Kapital ab 1820 Jahren gewinnbringend im Montangewerbe.

„An der Königseiche“ um 1840: Die Straßenführung der Wittgensteiner Staatsstraße entspricht der heutigen B 508.
„An der Königseiche“ um 1840: Die Straßenführung der Wittgensteiner Staatsstraße entspricht der heutigen B 508. © www.zeitspuren-siwi.de | www.zeitspuren-siwi.de

Die Straße

Die Märkte, auf denen die Erzeugnisse aus dem heimischen Raum angeboten wurden, waren hart umkämpft. Das in Schottland und England mit Steinkohle verhüttete Roheisen war bald so günstig, dass es selbst im Siegerland das Holzkohl-Roheisen zu verdrängen begann. Eine Senkung der Transportkosten versprach Abhilfe. Dazu musste das schlechte Straßennetz, das größtenteils aus unbefestigten Feld- und Waldwegen bestand und den Winter über entweder gar nicht oder nur schwer zu befahren war, ausgebaut werden.

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Seit 1790 stand mit der Meinerzhagen-Frankfurter Kunststraße (so die deutsche Bezeichnung für eine Chaussee) nur eine einzige Straße mit gepflasterter Fahrbahn zur Verfügung. Sie führte von Norden her über das Kölsche Heck bei Krombach durch das Hüttental nach Siegen und von dort über Wilnsdorf und die Kalteiche ins Hessische. Die erste größtenteils auf Kosten des preußischen Staats geplante und gebaute Verkehrsverbindung war die bei Kreuztal (der Ortsname ist erst seit 1823 nachgewiesen) beginnende, über das Lützelgebirge bis Erndtebrück und von dort nach Laasphe führende Wittgensteiner Staatsstraße.

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Chausseebau mit Ochsen und Kühen

Maßgeblich involviert Planung und Realisierung war Westfalens Oberpräsident Ludwig Vincke. Am Bau der Chaussee, der im Herbst 1827 abschnittsweise begann, waren die anliegenden Städte und Gemeinden mit anteiligen Kosten inklusive der Bereitstellung von Fuhrwerken, Pferden, Zugochsen und Fahrkühen beteiligt. Von den staatlichen Ingenieuren und Baubeamten abgesehen wurden Arbeiter und Tagelöhner aus dem näheren Umgegend eingesetzt – angesichts der wieder einmal krisenhaften Entwicklung eine gezielt eingesetzte staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Ausgerechnet der schwierigste Bauabschnitt kam ins Stocken, weil bei der zuerst vermessenen Strecke über das Lützelgebirge die vorgegebenen Steigungswerte überschritten wurden. Von den 1830 komplett neu vermessenen Linien – zwei davon nördlich und vier südlich der Ginsburg – wurde schließlich diejenige gewählt, auf der die B 508 weitestgehend noch heute verläuft. In der Stadt Hilchenbach, wo nach einer eigenmächtigen Entscheidung des Bürgermeisters ein Baustopp verhängt wurde, sorgte diese Verzögerung für viel Ärger. Die Baumaßnahmen wurden schließlich ab dem Frühjahr 1832 fortgesetzt, sodass die neue Chaussee ab dem 1. November 1834 vollständig befahrbar war.

Die Feste

Ein Jahr zuvor fand mit der Pflanzung der „Kronprinzeneiche“ in der Nähe der Ginsburg ein denkwürdiges Ereignis statt. Preußens Kronprinz Friedrich Wilhelm besuchte die Provinz Westfalen und machte am 16. Oktober 1833, von Berleburg über Erndtebrück kommend, mit seinem Reisetross etwa eineinhalb Kilometer hinter Lützel an der Kehre Richtung Hilchenbach halt. Auf einer kleinen Lichtung pflanzte er „höchst eigenhändig“ einen von den begleitenden Revierförstern überreichten Eichensetzling. Anschließend standen der Besuch des Stahlbergs in Müsen und ein festlicher Empfang in der Stadt Siegen auf dem Programm.

Der Hilchenbacher Burkhard Patt hat die Kronprinzeneiche fotografiert.
Der Hilchenbacher Burkhard Patt hat die Kronprinzeneiche fotografiert. © Burkhard Patt | Burkhard Patt

Zum ersten Jahrestag der Pflanzung 1834 kam an der bereits „schön grünenden Eiche“ eine Festgesellschaft zusammen. Die geladenen Gäste aus der vornehmen Gesellschaft des Siegerlands und Wittgensteins schwangen „bei rauschender Musik“ das Tanzbein und nahmen ein Festmahl ein. Am 16. Oktober 1835 wurde an der Kronprinzeneiche ein „Vogelschießen mit Jagdflinten“ abgehalten, und 1836 fand erstmals offiziell ein „Schützenfest bei der Kronprinzen-Eiche“ statt. Der im Jahr darauf eigens für dieses Fest gegründete Verein orientierte sich an der Satzung des schon 1828 gegründeten Olper Schützenvereins.

Schützenfest und Stünzelfest

Das Schützenfest an der Kronprinzeneiche war nicht nur ein symbolisch bedeutsames Ereignis für die Integration der beiden Landkreise in den preußischen Staat und der Beginn des modernen Schützenvereinswesens im heimischen Raum. Es war auch das erste „Volksfest“ im heimischen Raum. Die Wittgensteiner waren hier bereits einen Schritt voraus. Überall gebe es schon „Volksfeste“, auch im „Kreise Wittgenstein“, hieß es dazu im Intelligenz-Blatt. „Nur bei uns im Kreis Siegen fehlt es an etwas ähnlichem.“

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In Wittgenstein hatte der landwirtschaftliche Verein mit dem Stünzelfest am 12. August 1833 das erste „Volksfest“ gefeiert. Dort waren tatsächlich Einwohner aus allen Bevölkerungsschichten zusammengekommen – vom Fürsten bis zum kleinsten Bauern. Demgegenüber war das „Schützenfest an der Kronprinzeneiche“ eine elitäre Veranstaltung. Dazu eingeladen waren zwar „die Bewohner aller Stände“, sie hatten aber „festlich oder anständig (nicht im Kittel) gekleidet“ zu erscheinen. Es war zugleich das erste gemeinschaftlich gefeierte Fest der Siegerländer und Wittgensteiner an der neu gebauten Chaussee.

Aus der Rückschau betrachtet steht das „Schützenfest an der Kronprinzeneiche“ am Anfang einer Entwicklung, die vom erstmals 1907 durchgeführten Gillerbergturnfest bis zum heutigen, seit 1991 gefeierten KulturPur-Festival reicht.

Zeitspuren

Ausführlich sind diese und weitere Episoden nachzulesen im Buch „Zeitspuren in Siegerland und Wittgenstein im preußischen 19. Jahrhundert. An der Schwelle zur Industrialisierung 1818-1848“ von Dieter Pfau und Elisabeth Strautz. Das Buch enthält zahlreiche Karten und Abbildungen, die unter der Adresse www.zeitspuren-siwi.de parallel auch im Internet aufgerufen werden können.

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