Siegen-Wittgenstein. Reaktion auf AfD-Antrag: Kreisverwaltung will Sitzungspapiere mit KI übersetzen lassen, damit auch alle Kreistagsmitglieder sie verstehen.

„Leichte Sprache“ fordert die AfD-Fraktion für die Vorlagen der Verwaltung zu den Sitzungen der Kreistagsgremien. „Da die öffentlich zugänglichen Beschlussvorlagen des Kreises Siegen-Wittgenstein für alle Menschen im Kreisgebiet selbstverständlich angeboten werden, sollten sie auch barrierefrei werden“, heißt es in der Begründung des Antrags, über den der Kreistag am Freitag, 20. September, berät.

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Als erste Zielgruppe werden „Menschen mit geringer Literalität“ genannt; gemeint sind Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können. Die weitere Argumentation geht darüber hinaus: „Insbesondere ist die Sprache in manchen Behörden noch immer so kompliziert, als solle sie gar nicht wirklich von jedem verstanden werden“, heißt es. Beispielhaft wird eine Vorlage der Kreisverwaltung zur Krise des Wisent-Projekts in Wittgenstein zitiert: ein Satz aus über 100 Worten einschließlich diverser Abkürzungen. „Verwendung von leichter Sprache zwänge zur Klarheit und ist somit ein Vorteil für alle Bürger, nicht zuletzt auch die Kreistag-Mitglieder“, findet AfD-Fraktionsvorsitzender Christian Zaum. „An anderer Stelle lesen sich die Sitzungsunterlagen hinsichtlich des Kommunalen Integrationsmanagements nicht minder kryptisch.“

AfD will mit „einfacher Sprache“ auch das Gendern abschaffen

Dass es der AfD-Fraktion nicht nur um die Sprache, sondern auch um die Inhalte geht, wird nicht nur durch den Verweis auf das Integrationsmanagement deutlich: „Ebenso ist in diesem Zusammenhang auf die Verwendung von ‚gegenderter‘ Sprache vollständig zu verzichten. Sie trägt durch ständige Doppelnennungen, Wortneuschöpfungen und -verlängerungen nicht zum leichten Verständnis bei.“

Was kostet Diversität?

Die AfD-Fraktion hat die Kreisverwaltung bei den Städten und Gemeinden nachfragen lassen, wie viele Einwohner aktuell den Geschlechtseintrag „divers“, ihn seit 2018 beantragt haben oder schon als Neugeborene diesen Eintrag bekommen haben: Niemand. Burbach, Erndtebrück und Netphen haben die Anfrage nicht oder nur teilweise beantwortet. Die Stadt Siegen teilt mit, dass „mehrere Erklärungen nach § 45b Personenstandsgesetz“ abgegeben wurden, also „divers“ oder überhaupt keine Geschlechtszugehörigkeit eingetragen wurde. Eine Auswertung erfordere  „einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand“.

„Rechnet die Kreisverwaltung mit Kosten, um die als angemessen erachtete Teilhabe so genannter non-binärer Personen zu fördern bzw. im Rahmen gesetzlicher Vorgaben umzusetzen und wenn ja, mit welchen?“, fragt die Fraktion. Antwort: „Nein.“

 

Die Verwaltung bezeichnet das Ansinnen der AfD als „nachvollziehbar“, rät aber von der „Leichten Sprache“ ab, die nur durch zertifizierte Übersetzungsbüros umgesetzt werden darf, was Zeit und Geld koste. Alternative sei die „Einfache Sprache“: Allenfalls erläuterte Fremdwörter, 15 bis höchstens 20 Wörter lange Sätze, eindeutige Aussagen. Die herkömmlichen Vorlagen könnten durch KI, zum Beispiel ChatGPT, übersetzt werden. Texte in einfacher Sprache seien jedoch „niemals so genau wie die Originaltexte“ und könnten deshalb „keine Rechtsgrundlage für Beschlüsse sein“. Für das Gendern allerdings, so die Verwaltung weiter, gelte im Kreishaus der Duden. Die hausinterne Richtlinie erlaube den Doppelpunkt („Beamt:innen“) nur in Ausnahmefällen. Verwiesen werde darauf, „dass viele Formen des Genderns die Verständlichkeit erschweren und deshalb mit Blick auf Menschen mit Leseschwächen vermieden werden sollten“.

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Kreisverwaltung gegen „Politik der Ausgrenzung und Spaltung“

Ob das Wort „Remigration“ aus dem AfD-Fundus in der „Einfachen Sprache“ Bestand haben wird, geht aus der Vorlage nicht hervor. Als Übersetzungs-Beispiel wurde eine unverfängliche Vorlage ausgewählt, in der es um einen Jahreszuschuss für die Ginsburg geht. Aus dem Satz „Voraussetzung für die Auszahlung des unter 1. genannten Zuschuss ist, dass die Stadt Hilchenbach dem Verein zur Erhaltung der Ginsburg e.V. in den jeweiligen Haushaltsjahren Zuschüsse in gleicher Höhe gewährt“ wird da: „. Der Verein bekommt das Geld nur, wenn auch die Stadt Hilchenbach in den gleichen Jahren ebenfalls 5.000 Euro an den Verein gibt.“

Bei dem AfD-Antrag, über den der Kreistag direkt danach beraten wird, spielt Sprache auch eine Rolle. „Aus Sicht der Kreisverwaltung zielt die Verwendung des Begriffs ‚„Remigration‘ (im Sinne des Antrags) auf eine Stigmatisierung von Migranten sowie auf die Förderung einer Politik der Ausgrenzung und Spaltung ab“, heißt es in der Stellungnahme der Kreisverwaltung. Sie werde den Begriff nicht verwenden – im Gegensatz zur AfD, die eine „Stabsstelle Remigration“ in der Kreisverwaltung eingerichtet sehen will.

Die Kreisverwaltung könne auch abgelehnten Asylsuchenden Sprachkurse und Berufsförderung nicht verweigern, wenn sie einen Aufenthaltsstatus haben. Die Ausländerbehörde (“fünf Sachbearbeiter:innen“) habe Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge umzusetzen, könne aber nicht selbstständig das Zielland einer Abschiebung bestimmen. Was die Ausländerbehörde zu tun habe , sei im Aufenthaltsgesetz geregelt. Ein von der AfD-Fraktion beantragter abweichender Beschluss („möglichst zahlreiche Abschiebungen“) wäre daher durch den Landrat als rechtswidrig zu beanstanden.

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