Siegen. Unter dem Eindruck der Bluttat im Bus am Freitagabend verläuft das Siegener Stadtfest außergewöhnlich friedlich. Viele bedanken sich bei der Polizei.
Letztlich ist eingetreten, was der Bürgermeister beim Auftakt am Freitag bekräftigt hatte: „Wir wollen unser Leben leben und uns nicht vom Terror einschränken lassen“, sagte Steffen Mues. Zu diesem Zeitpunkt noch mit Blick auf Solingen. Dass wenige Stunden später auch das Siegener Stadtfest von einer Gewalttat überschattet werden würde, konnte niemand ahnen. Auch wenn es kein Terror war.
+++ Immer auf dem Laufenden mit WhatsApp: Hier geht‘s zum Kanal der Lokalredaktion Siegen +++
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Vorfall im Bus zum Stadtfest dann am Freitagabend in der Innenstadt. Während tausende Menschen ausgelassen feierten, griff eine 32-jährige Frau in einem Bus andere Fahrgäste an und verletzte sechs Personen. Am Sonntagnachmittag teilten die Behörden dann mit, dass alle Opfer außer Lebensgefahr sind. Er sei „unheimlich erleichtert“ darüber, sagte der Bürgermeister im Gespräch mit dieser Zeitung. Diese Tat mache fassungslos, wütend und traurig, so der Verwaltungschef zum Ende der Großveranstaltung auf der Bühne am unteren Schloss. Und zwar auch wegen der vielen Spekulationen und falschen Informationen zur Herkunft der Täterin, die bald nach dem Vorfall in den Sozialen Netzwerken kursierten: „Das ist nicht nur falsch und dumm es ist vor allem unverantwortlich.“
Stadtfest Siegen: Behörden reagieren auf Verunsicherung der Menschen - mehr Polizei wirkt
Mues appellierte beim Abschluss auf dem Schlossplatz: „Übernehmen Sie Verantwortung, glauben und vor allem teilen Sie nicht alles, was da geschrieben wird und sorgen Sie mit dafür, dass wir uns wieder auf Fakten und ehrliche, richtige Antworten verlassen!“ So ein Stadtfest feiere auch die Demokratie und die Freiheit.
„Wir haben nicht nur unsere Stadt gefeiert, sondern auch die Gemeinschaft, die unsere Stadt zusammenhält.“
So schrecklich das alles auch ist: Es wurde am Ende dennoch ein ausgelassenes, fröhliches Stadtfest. Ein vielleicht sogar außergewöhnlich friedliches Fest - denn die oft „üblichen“ Vorfälle, bei denen Polizei oder Ordnungsamt eingreifen müssen, blieben aus. „Vielleicht sogar stressfreier als ein normales Wochenende in der Innenstadt...“, sagt Steffen Mues. Nicht zuletzt sicher auch, weil sich die Verantwortlichen der Gefühlslage vieler Menschen bewusst waren. Die deutliche Sichtbarkeit von Polizei und Ordnungsamt, deren Einsatzkräfte gut gelaunt überall unterwegs waren, trug sicher zur gelöst-lockeren Stimmung bei. „Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich bei den eingesetzten Beamten persönlich für ihre Präsenz auf dem Fest bedankt“, so der Einsatzleiter, Erster Polizeihauptkommissar Andreas Hartmann. Die Sorgen der Menschen wurden berücksichtigt, die Behörden reagierten.
Stadtfest Siegen: Abends ist die Innenstadt brechend voll
Auch eine 85-jährige Seniorin profitierte davon: Sie hatte sich Freitagabend ins Getümmel begeben, wollte irgendwann nach Hause - und verlief sich. Bis sie zwei Polizisten traf: „Hört e mo ihr Jonge, ich ha mich total verlaufen und fend net me no Koo-Majeborn zurück“. Ehrensache, dass die Beamten die Dame zum Streifenwagen begleiteten und heim nach Kaan-Marienborn fuhren.
Der Rettungsdienst verzeichnete 43 Einsätze - alles „kleinere“ Vorfälle, sagt der Bürgermeister. Vereinzelt sei es zu Streitigkeiten und kleineren Körperverletzungsdelikten gekommen, so die Polizei am Montag. Durch frühes Einschreiten, nicht zuletzt dank der Unterstützung von Bereitschaftspolizei und Zivilfahndern, hätten diese aber schnell unterbunden werden können. Zahlreiche Platzverweise seien erfolgt. In der Nacht von Freitag auf Samstag ereignete sich im Bereich der Sandstraße eine gefährliche Körperverletzung, ein 39-jähriger Mann wurde durch einen Unbekannten mit einer Glasflasche gegen den Kopf geschlagen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag kam es zu einem Widerstand gegen Polizeibeamte: Ein 34-Jähriger, der an einem Streit zwischen zwei Gruppen involviert war, wollte sich nicht kontrollieren lassen - er wurde in Gewahrsam genommen. Bei Taschenkontrollen fanden sich ein Messer und ein Schlagring, diese wurden sichergestellt.
„Am Ende ist die gute Stimmung wichtig und nicht die Statistik.“
Tausende kamen also in die Siegener Innenstadt, die Menschen genossen die Feier, die Gemeinschaft, das Programm auf den Bühnen zwischen Rathaus Oberstadt und Scheinerplatz. Nachmittags durchaus noch etwas entzerrter - immerhin fand im Schlosspark mit dem Familienfest eine weitere Veranstaltung statt. Gegen Abend wurde die Innenstadt dann brechend voll, zeitweise kaum ein Durchkommen auf dem Veranstaltungsgelände, zu dem die Innenstadt geworden war.
Jubiläums-Stadtfest Siegen etwas länger und größer - aber kein neuer Besucherrekord
Ob auf dem Schlossplatz „Willer Watz“ mit schweißtreibenderen Rhythmen oder einen Tag später Gregor Meyle mit nachdenklicheren Tönen (und weniger Publikum...), den Bands „Hörgerät“ und „Superliquid“ auf der Bühne am Kölner Tor, die vielen Vereine, Gaukler und sonstige Akteure: Sie alle trugen ihren Teil dazu bei, dass Siegen feiern konnte. Gänzlich unbeschwert vielleicht nicht - dazu waren die Ereignisse von Freitagabend an der Stadtgrenze zu Neunkirchen zu furchtbar und zu präsent. Aber wohl in einem Modus des „Wir-lassen-uns nicht-Unterkriegens“.
Veranstaltungschefin Astrid Schneider von der städtischen Kulturabteilung nennt am späten Sonntagnachmittag die Zahl von 120.000 Besucherinnen und Besucher. „Wir haben nicht nur unsere Stadt gefeiert, sondern auch die Gemeinschaft, die unsere Stadt zusammenhält“, sagt der Bürgermeister dazu.
Stadtfest Siegen: Was gut geklappt hat und was nicht so gut
Die Erleichterung sei im Team groß gewesen, dass die Siegenerinnen und Siegener trotzdem kommen und sich das Feiern nicht nehmen lassen, auch unter dem Eindruck dieser Ereignisse, sagt Astrid Schneider. Diese Befürchtung hätten sie schon nach Solingen gehabt - und nach dem schrecklichen Vorfall am Freitagabend umso mehr: Kommen die Siegener? Sie kamen. Ein neuer Rekord (der liegt bei 130.000 beim Uferfest 2016) wurde mit diesem längeren und größeren Stadtfest nicht aufgestellt - „aber am Ende ist die gute Stimmung wichtig und nicht die Statistik“, sagt sie.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Die Jugendmeile am Freitag habe teilweise funktioniert, sei zum Teil auch sehr zurückhaltend besucht gewesen - im Gegensatz zum Bluestock-Festival auf der Sandstraße, das ganz hervorragend angenommen wurde, so Astrid Schneider. Auch der frisch eröffnete Herrengarten sei direkt in Beschlag genommen. Nach der Schocknachricht am Freitagabend und den Reaktionen habe sich im Lauf des Samstags ebenfalls Erleichterung breit gemacht, als sie die Bilder der Überwachungskameras in der Zentrale sahen: Es wurde voll. Etwas später als erwartet und vielleicht nicht ganz so sehr wie beim Uferfest 2016. Aber voll. Und am Sonntag? Hätten sich alle bedankt, sagt die Stadtfest-Chefin. Fürs Familienfest im Schlosspark, das „super angenommen und toll organisiert“ wurde, „ein absoluter Gewinn fürs Stadtfest“. Dafür, dass Siegen gefeiert hat, sich nicht habe unterkriegen lassen. Für Astrid Schneider ist das nicht zuletzt der Verdienst von Orga-Leiter Martin Horne, Pia Scharnberg, Katja Leichsenring und Nives Carstensen aus ihrem Team. „Die haben sich ein Jahr lang zwei Beine ausgerissen“, bis zum Schluss. Auch ohne Ereignisse wie Solingen und die Bus-Attacke der pure Stress.