Kreuztal. Vom Stadtteilbüro bis zum Familiengrundschulzentrum und genug Personal in den Kitas: Kreuztal schultert immer mehr Unterstützungsangebote allein.

Kreuztal „ist weit vorne dabei“, stellt Jan Gruß fest, der neue Leiter des Amtes für Kinder, Jugend, Familie und Stadtteilmanagement, als er sich im Sozialausschuss vorstellt. Eher zufällig ist fast die ganze Palette an Angeboten an der Tagesordnung, auf die Menschen in Kreuztal zurückgreifen können, wenn sie Unterstützung brauchen. „Kreuztal ist sehr gut“, sagt Jan Gruß. Hat aber damit auch Probleme.

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Das Angebot

Christina Kölsch könnte endlos lang erzählen: über den Yulian-Chor, in dem Leute allen Alters aus der Fritz-Erler-Siedlung zusammen singen, über die Frauen- und Kindersprachkurse, über den Kaffeewagen, der den Spieletreff auch für Erwachsene attraktiv macht, über den Seniorensport … Um die 2700 Menschen haben im vorigen Jahr die Angebote von Stadtteilbüro und Mehrgenerationenhaus wahrgenommen. Beratungsangebote der hauptamtlichen Kräfte und die verschiedenen Gruppen- und Freizeitangebote gehen dabei Hand in Hand. Viele Menschen, die neu in Deutschland ankommen, finden in der Fritz-Erler-Siedlung ihre erste eigene Adresse. „Ein Ankommensstadtteil“, sagt Christina Kölsch, die das Stadtteilbüro leitet, „der zum Bleibestadtteil wird.“

Jan Gruß
Jan Gruß leitet das Amt für Kinder, Jugend, Familien und Stadtteilmanagement bei der Stadt Kreuztal. © Stadt Kreuztal | Stadt Kreuztal

Quartiersmanagement für die Fritz-Erler-Siedlung in Kreuztal

Migrationsberatung, Schuldnerberatung, „Brückenbauer“ – das Angebot, das verschiedene Träger im Stadtteilbüro platzieren, spiegelt den Bedarf der Bewohner der in den 1960er und 1980er Jahren gewachsenen Siedlung, die mit 709 Wohnungen das größte zusammenhängende Wohnungsbauvorhaben des Siegerlandes war und heute 40 Prozent des gesamten Kreuztaler Mietwohnungsbestandes umfasst. Das Stadtteilbüro ist seit 2009 in der Danziger Straße, umfasst heute drei ehemalige Wohnungen und einen angebauten Veranstaltungstrakt. Von hier aus wird auch das 2006 eingeführte Quartiersmanagement mit der LEG Wohnen als weiterem Kooperationspartner gesteuert. Ihren Anfang hat die Arbeit 1975 genommen: mit der AWO.Beratungsstelle in einer Wohnung am Eggersten Ring. Dieses Datum soll Anlass für die 50-Jahrfeier sein, die das Stadtteilbüro im nächsten Jahr ausrichtet.

Zur Person

Jan Gruß (43) hat zum 1, Juni die Nachfolge von Uwe Montanus als Leiter des Amtes für Kinder, Jugend, Familie und Stadtteilmanagement angetreten. Der Soziologe hat in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet und, zurück in Deutschland, an der Universität Freiburg und als Abteilungsleiter bei der Stadtverwaltung in Offenburg.

Nun hat es den gebürtigen Siegerländer zurück in die Heimat gezogen. In den Job ist er gleich voll eingestiegen. Als im Familienzeit-Ferienprogramm noch ein Betreuer für die Fahrt in den Panoramapark fehlte, ist er eingesprungen und hat die eigenen Kleinen auf die Tour mir 150 Leuten mitgenommen. „Die schwärmen heute noch davon..“

„Sie stellen richtig was auf die Beine“, lobt Jutta Jeschke (CDU) im Sozialausschuss. Elfrun Bernshausen (Seniorenbeirat) vermisst allerdings den Mitternachtssport: „Was passiert mit den jungen Männern?“ Christina Kölsch verweist auf die offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt und deren mobile Angebote. Amtsleiter Jan Gruß nennt den Bike- und Soccer-Park und die Calisthenics-Anlage im von der Siedlung leicht erreichbaren Sport- und Bildungscampus: „Das ist ein reger Treffpunkt, die Anlagen werden gut angenommen.“ Den „Melting Pot“ im Bonhoefferhaus allerdings gibt es tatsächlich nicht mehr, im Gegensatz zur „Mädchenwohnung“am Eggersten Ring.

Der Bike- und Skaterpark mit der Calisthenics-Anlage ist beliebter Treffpunkt auch für Jugendliche aus der Fritz-Erler-Siedlung.
Der Bike- und Skaterpark mit der Calisthenics-Anlage ist beliebter Treffpunkt auch für Jugendliche aus der Fritz-Erler-Siedlung. © Kai Osthoff | Kai Osthoff

Ein Familienzentrum an der Grundschule an Dreslers Park

Die meisten Kinder aus der Fritz-Erler-Siedlung besuchen die Grundschule an Dreslers Park. Weil sie viele Probleme mitbringen, die in den Folgen von Flucht und noch nicht ausreichenden Sprachkenntnissen, aber auch von Armut wurzeln, wurde dort schon 2018 ein Familienstützpunkt eingerichtet, der inzwischen „Familiengrundschulzentrum“ heißt, eine vom Land neu geschaffene Einrichtung, die vergleichbar mit den Familienzentren an Kitas ist: Beratung, Betreuung und Freizeitangebote werden dort angedockt, eng ist die Zusammenarbeit mit dem Stadtteilbüro.

Kreuztal: EU-Bürger aus Südosteuropa schutzlos

1300 Menschen aus Rumänien, Kroatien, Bulgarien, Ungarn und Slowenien leben in Kreuztal, auch von ihnen wiederum ein großer Teil in der Fritz-Erler-Siedlung. Weil ihr Anteil an den Zuwanderern um mehr als 50 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt, sind im Rahmen des Landesprogramms „Zuwanderung aus Südosteuropa“ zwei Fachkräfte als „Ankommenslotsinnen“ eingesetzt worden. Die EU-Bürgerinnen und -Bürger laufen besonders leicht Gefahr, in prekäre Lebensbedingungen abzustürzen: Sie haben weder Anspruch auf Bürgergeld noch auf eine Krankenversicherung, in der Folge kann Kindern auch der Kita-Besuch verwehrt bleiben, weil sie nicht an die erforderliche Masern-Impfung gelangen.

Gute Nachricht: In Kreuztals städtischen Kitas fehlt kein Personal

Für Neugeborene bietet die Stadt eigene „Begrüßungsbesuche“ an. Später, wenn Betreuung gebraucht wird, stehen auch die elf von der Stadt selbst getragenen Kitas bereit. „Da sind wir ganz gut unterwegs“, sagt Jan Gruß, auch mit Blick auf freie und kirchliche Träger, denen Fachkräfte fehlen. Es gibt nämlich keine unbesetzten Stellen: „Eine glückliche Lage.“ Das Betreuungsangebot muss nicht gekürzt werden. Zusätzlich steht ein „Pool“ von 14 Vertretungskräften bereit, die ebenfalls unbefristete Arbeitsverträge haben.

„Alle Kinder essen mit“ heißt ein Härtefallfonds des Landes, der im vorigen Jahr in Kreuztal von 32 Familien, in diesem Jahr von einer größeren Anzahl in Anspruch genommen wird. „Es gibt definitiv mehr förderungsberechtigte Familien“, weiß Jan Gruß. Die 90 Euro im Monat für das Schul-Mittagessen entlasten sogar die Stadtkasse, weil die Familien sich ihren Eigenanteil nicht mehr über ihren Stadtpass erstatten lassen müssen. Für eine Klassenfahrt werden pro Schuljahr bis zu 150 Euro bezahlt.

Die neue Wegeverbindung zwischen Stadtmitte und Fritz-Erler-Siedlung ist Teil des städtischen Handlungskonzepts, zu dem auch das Quartiersmanagement gehört.
Die neue Wegeverbindung zwischen Stadtmitte und Fritz-Erler-Siedlung ist Teil des städtischen Handlungskonzepts, zu dem auch das Quartiersmanagement gehört. © Stadt Kreuztal | Stadt Kreuztal

Die Aussichten

Das vielfältige Angebot steht zumindest finanziell auf unsicheren Beinen: Fast alles, was einmal mit Förderung des Landes eingeführt wurde, belastet inzwischen allein den Etat der Stadt Kreuztal. „Da steckt Methode hinter“, ärgert sich Bärbel Büttner (SPD im Sozialausschuss, der das Szenario zur Kenntnis nimmt:

Das Südosteuropa-Programm läuft zum Jahresende aus. „Wir sind bemüht, die Fachkraft zu halten“, berichtet Stadtrat Patrick Zöller, „wir haben da auch schon einen Plan.“

Kreuztal hofft auf „Startchancen“ für Grundschulen

Das Familiengrundschulzentrum bezahlt die Stadt allein, seit die Finanzierung über die Städtebauförderung ausgelaufen ist. „Ernüchternd“ sei der Ausgang der Bemühungen der Stadt: „Eine neue Förderung ist nicht in Aussicht.“ Unterstützung wird aber nun aus anderer Richtung erwartet: Die Grundschule an Dreslers Park ist ins Startchancen-Programm des Bundes aufgenommen worden, als Schule mit dem Sozialindex 9, das ist die Stufe der höchsten „sozialen Belastung“. Damit kann wiederum zusätzliche Schulsozialarbeit fabriziert werden. Dieselbe Förderung, so Zöller, werde nächstes Jahr vielleicht auch für die Grundschule Buschhütten (Sozialindex 6) möglich.

Picknick am Gemeinschaftsgarten: Viele Angebote des Stadtteilbüros werden ehrenamtlich von den Bewohnern der Siedlung selbst vorgeschlagen und betreut.
Picknick am Gemeinschaftsgarten: Viele Angebote des Stadtteilbüros werden ehrenamtlich von den Bewohnern der Siedlung selbst vorgeschlagen und betreut. © Verena Schlüter | Verena Schlüter

Personal wechselt von der AWO zur Stadt Kreuztal

Für das Stadtteilbüro trägt die Stadt den Kostenanteil, den bis 2022 noch das Land übernommen hat. Die Förderung war „gekoppelt“ an die – bauliche – Stadterneuerung in der Fritz-Erler-Siedlung. In dem Vertrag von 2022 wurde die Regie an die AWO übertragen, vorher war die AWO „Unterauftragnehmer“ des Kölner Stadt- und Regionalplanungsunternehmens Dr. Jansen, das nach der Ausschreibung des Quartiersmanagements den Zuschlag bekommen hatte. Jetzt vollzieht die Stadt den nächsten Schritt: Das bei der AWO beschäftigte Personal wechselt zur Stadt, einstimmig hat sich der Sozialausschuss für den neuen Kooperationsvertrag ausgesprochen. „Das erleichtert die Abläufe“, sagt Stadtrat Patrick Zöller, „die AWO wird auf jeden Fall im Boot bleiben.“ Sie ist ohnehin weiter mit ihrer Migrationsberatungsstelle im Haus vertreten. Das Stadtteilbüro wird weiter bis 2028 als „Mehrgenerationenhaus“ vom Bund gefördert.

Seit 2009 gibt es das Stadtteilbüro Fritz-Erler-Siedlung in der Danziger Straße in Kreuztal.
Seit 2009 gibt es das Stadtteilbüro Fritz-Erler-Siedlung in der Danziger Straße in Kreuztal. © WP | Jennifer Wirth

Begrüßungsbesuche für Neugeborene in Kreuztal auf der Kippe

Ob Kreuztal auch nach 2025 „Begrüßungsbesuche“ für Neugeborene anbieten kann, „müssen wir klären“, sagt Stadtrat Patrick Zöller, Die DRK-KInderklinik scheidet aus der Kooperation aus. „Ein Rückschritt“, bedauert Bernd Meichelböck (SPD). Die bei der Kinderklinik angestellte Fachkraft wird für zehn Wochenstunden im nächsten Jahr von der Stadt Kreuztal bezahlt, danach geht sie in Rente.

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