Hilchenbach. Sein halbes Leben hat er mit dem Mobilen Musiktreff gearbeitet, schätzt Hans-Dieter Klug. Auch als Rentner macht er weiter. Aber etwas wird anders.

Er sei jetzt Rentner, sagt Hans-Dieter Klug. Und er scheint die Schrecksekunde zu genießen, die er damit auslöst. Nein, sagt der 66-Jährige dann, das Rockmobil wird nicht stillgelegt. Aber der Betrieb wird wieder kleiner: Die Mobile Musikschule, seit 1994 dem Mobilen Musktreff angegliedert, hat sich mit Leiterin Bettina Schreiber und einem eigenen Verein selbstständig gemacht. „Hade“ macht, was er seit 1990 macht: Er gibt, zusammen mit freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen, Kurse in Schulen und fährt den Truck dorthin, wo junge Leute zusammen Rockmusik machen wollen. „Und das wird auch so bleiben.“

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Das Rockmobil hat einen vollen Kalender in diesem Sommer: jede Menge Einsätze bei den Ferienspielen, nicht nur in Siegen-Wittgenstein. Einer der Höhepunkte wird im Rock-und-Pop-Museum in Gronau sein, dem Geburtsort von Udo Lindenberg. Das Museum wird 20: „Wir beteiligen uns an der Jubiläumsveranstaltung.“ Und nach den Ferien dann wieder die Schulen: Stift Keppel, Carl-Kraemer-Realschule Hilchenbach, Realschule Wilnsdorf. Möglich macht das das Landesprogramm Kultur und Schule.

Musikschule für die Stadt Hilchenbach

Der Mobile Musiktreff, kurz: MoMu, ist seit 2006 auch die offizielle Musikschule für die Stadt Hilchenbach. Vorher gab es eine gemeinsame kommunale Musikschule Kreuztal-Hilchenbach, aus der sich die Stadt Hilchenbach verabschiedet hatte – mit der Folge, dass die Stadt Kreuztal sich aus dem Gebrüder-Busch-Kreis verabschiedet hat. „Das bleibt alles wie gehabt“, sagt Hans-Dieter Klug, Um den Unterricht in Schlagzeug, Gitarre und anderen Rockmusikinstrumenten kümmert sich weiter das Rockmobil-Team, den Unterricht in den „klassischen“ Instrumenten übernimmt der neue Musikschulverein. Vier Kitas und Schulen hat MoMu in Hilchenbach als Partner, an den Kursen und am Einzelunterricht nehmen im Jahr 60 bis 100 KInder teil. Auch auf dem neuen Kulturellen Marktplatz, bei den Veranstaltungen des Kinder- und Jugendbüros und des Jugendkulturfördervereins Push ist MoMu weiterhin Partner, natürlich auch auf dem Bauspielplatz in der nächsten Woche im Alten Rathauspark.

Etwas ist aber doch anders geworden: Das Büro ist mobil geworden, die Geschäftsstelle in seinem HIlchenbacher Elternhaus gibt es nicht mehr. Schon lange wohnt der gebürtige Hilchenbacher in Köln, dort in der Gegend wird man das Rockmobil in Zukunft öfter sehen.

Als Neunjähriger hat er es mit Akkordeon versucht

„Mehr als mein halbes Leben“, sagt Hans-Dieter Klug, steckt in MoMu und im Rockmobil. Zumindest bis jetzt. 1987 war es, als der frisch gebackene Diplom-Pädagoge seinen Traum verwirklicht: Er wollte was mit jungen Menschen machen, mit Menschen mit Behinderung. Und mit Musik. Nicht Akkordeon, an dem er sich als Neunjähriger versuchte, sondern Bassgitarre, Pop und Rock. 1988 gründet er den Verein, 1990 geht er mit dem ersten selbst umgebauten Gelenkbus auf Tour, zu Jugendtreffs, zu den Punks, zu sozialpädagogischer Jugendarbeit.

Die Haltestellen sind an Jugendtreffs und Schulen und an öffentliche Plätzen, zum Beispiel am Hilchenbacher Markt. Die Musik kommt zu denen, die sonst nicht zur Musik kämen: sehr gern von Anfang an auch in die Band AG an der längst nicht mehr bestehenden Dahlbrucher Hauptschule, wo der Pädagoge und Musiker auf dem Umweg zum Abi selbst einmal ein paar Jahre Schulzeit verbracht hat. Später, Ende der 1990er Jahre, kommt der Bus mit der schallgedämmten Schlagzeugkabine zum Beispiel auch im Rahmen von sozialpädagogischer Gruppenarbeit, mit Punks in Birkelbach. „Wir haben mit denen gesprochen, ein bisschen gejammt“, erzählt Hans-Dieter Klug, „am Ende haben die sogar eigene Auftritte gehabt“.

Darum gehts: Junge Leute lernen Instrumente, formieren sich als Bands. Ohne MoMu wäre das nicht für alle möglich gewesen.
Darum gehts: Junge Leute lernen Instrumente, formieren sich als Bands. Ohne MoMu wäre das nicht für alle möglich gewesen. © Stadt Bad Laasphe | Stadt Bad Laasphe

Es gibt auch ein paar andere Rockmobile in Deutschland. 2008, zum 20-Jährigen des Vereins, kommen ein paar von ihnen zu Treffen in Stift Keppel. Zuletzt hat Hans-Dieter Klug sie im vorigen Herbst in Köln wiedergesehen. „Fast unverändert.“ Auch in Düsseldorf, Karlsruhe und Saarbrücken sind die Rockmobile Anfang der 1990er Jahre an den Start gegangen. Die einen - wie die Berliner - sind mehr in Schulen, andere - wie in Hannover- eher in Jugendzentren unterwegs. Die Schwerpunkte unterscheiden sich: Die einen wollen vor allem Musikunterricht geben, die anderen sozialpädagogisch arbeiten. MoMu ist irgendwo dazwischen. „Kulturpädagogisch“, sagt Hans-Dieter Klug, sehr gern mit denen, die von zu Hause nicht ohne weiteres an einer Musikschule angebunden.

Das erste Rockmobil.
Das erste Rockmobil. © MoMu | MoMu

Deutschlands einziger Rock-Gelenkbus

„Aber einen Gelenkbus hatten nur wir“, sagt Hans-Dieter Klug. 1990 den ersten. 1998 den zweiten, 2006 den dritten. Bus Nummer 4 ist 2016 schon gekauft, wird aber nicht mehr umgebaut, weil das Geld nicht aufzubringen ist. Als MoMu 2018 30-Jähriges bei Kultur Pur auf dem Giller feiert, ist das Rockmobil ein Truck mit Kabinenaufbau. Eigentlich kein schlechter Tausch, findet Hans-Dieter Klug auch heute noch: Hier können richtige Bands zusammen spielen, bis zu zehn Personen, „wie in einem richtigen Probenraum“. Im Gelenkbus war zwar sogar für bis zu 20 Leute Platz. Die haben dann aber, bis auf die kleine Band in der Kabine, für sich allein gespielt, mit Kopfhörer, um nicht von den Platznachbarn gestört zu werden. Der Mini-Sattelzug mit Iveco-Zugmaschine kann auch mit dem Pkw-Führerschein gefahren werden – für die Arbeit ein sehr praktischer Vorteil. Den die Busse konnte nur Hans-Dieter Klug steuern, dessen alter, alle zwei Jahre zu verlängernder Klasse-2-Führerschein inzwischen abgelaufen ist. Fahrgäste wollten an den Haltestellen übrigens nur in den ersten Monaten einsteigen. Man gewöhnte sich dann doch schnell an den etwas anderen Bus im Stadtbild.

Der zweite (vorn) und der dritte Bus.
Der zweite (vorn) und der dritte Bus. © MoMu | MoMu

Young Stage: Theater, Musik und Tanz

Das Rockmobil erlebt Höhepunkte: den NRW-Initiativenpreis 1995 die Auszeichnung durch die Stiftung von Phil Collins im Jahr 1997, die Auszeichnung bei „Menschen und Erfolge“ 2013. Im selben Jahr startet das Theater-Musik-Tanz-Projekt „Young Stage“, bei dem MoMu die Fäden einer großen regionalen Veranstaltergemeinschaft zusammenhält, in verschiedenen Zusammensetzungen bis heute. Auch hier geht es, wie von Anfang an, um Integration. Bis 2018 werden drei Programme erarbeitet. 30 bis 40 Auftritte werden absolviert. Manche Mitwirkende haben als Kinder mit 12 angefangen und sind als junge Erwachsene weitergezogen. „Das war schon ein tolles Projekt“, sagt Hans-Dieter Klug, Für eine Neuauflage gibt es Überlegungen, auch mit neuen Partnern, vielleicht auf dem neuen Dahlbrucher kmd. „Wir werden dabei sein. Aber nicht mehr federführend.“ Das ist das Privileg des Rentners, sich die Bürokratie vom Hals halten zu können.

Der Truck.
Der Truck. © Mobiler Musiktreff | Mobiler Musiktreff

Viele Spender verhindern das Aus für das Rockmobil

Beinahe wäre 2020 alles aus gewesen. Mit einem Foto vom Rockmobil und dem Text „2020. The. End.“ löst Hans-Dieter Klug auf seiner Facebookseite Bestürzung aus. „Traurig.“ „Hier geht etwas Großes für die Stadt verloren.“ „Das geht nicht.“ „Das ist doch Kulturgeschichte.“ Hans-Dieter Klug, der mit einer halben Stelle als Geschäftsführer bei MoMu festangestellt ist, geht in Kurzarbeit. Das Rockmobil muss in die Werkstatt. 5000 Euro kostet die anstehende Reparatur, für 9000 Euro könnte die Zugmaschine komplett ausgetauscht werden. Das Crowdfunding hat Erfolg, der „Virtuelle Hut“ - zur Erinnerung: die Streaming-Plattform während Corona – leistet einen Beitrag, das Rockmobil wird gerettet. Und so fährt es heute noch, bis auf einen 5000-Euro-Zuschuss der Stadt Hilchenbach allein mit Projektgeldern und Unterrichtshonoraren finanziert. Da sage noch mal einer, man könne von Träumen nicht leben. Es geht. Bis zur Rente.

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