Siegen-Wittgenstein. Vor zehn Jahren ist Andreas Müller Landrat geworden. Er macht Bestandsaufnahme und steckt Positonen ab. Tritt er wieder an?

Als er am 23. Juni 2014 sein Amt antrat, war er mit 31 1/2 Jahren einer der Jüngsten in einer solchen Position. Jetzt, wo er auf diesen Montagmorgen und die darauf folgende Zeit zurückblickt, ist Landrat Andreas Müller in seinen 40ern angekommen und kann vergleichen. „Wir haben 2014 in einer völlig anderen Welt gelebt als heute“, stellt er fest. Was für ihn aber nicht bedeute, dass sich Prioritäten und Positionen geändert hätten, betont er. „Es soll Politiker geben, die hoffen, dass die Menschen im Idealfall vergessen. Das ist bei mir anders.“

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Dritte Amtszeit für Siegens Landrat Andreas Müller?

Warum Andreas Müller zum Rückblick einlädt? Nicht, um den Strich unter seine Wahlperioden zu ziehen. Und auch nicht, um den Hut für den nächsten Wahlkampf in den Ring zu werfen. Das würde der Sozialdemokrat, auch wenn er das in seinem Amt nicht mehr müsse, immer noch einer Partei überlassen, der mit der Vorbereitung auf Kommunal- und Bundestagswahlen im nächsten Herbst sowieso noch eine anstrengende Kandidatensuche bevorsteht. Würde die SPD ihn jetzt fragen, bekäme sie wohl auch keine brauchbare Antwort: „Ich habe mich noch nicht entschieden.“

„Ich habe jeden Tag weniger Verständnis dafür, dass Umweltschützer Straßensanierungen mit Klagen über Jahre verzögern.“

Andreas Müller, Landrat

Erkennbar wird allerdings, wie Andreas Müller, der die meiste Zeit – von ein paar Monaten schnell wieder geplatzter Kooperation von SPD und CDU abgesehen – keine eigene Mehrheit im Kreistag hatte, sich positionieren würde: „Ich will, dass wir Industrieregion Nummer 1 in NRW bleiben.“ Dass Unternehmer äußerten, sich nicht mehr willkommen zu fühlen, „stimmt mich sehr nachdenklich.“ Zur „Basis des Wohlstands in unserer Region“, sagt er, gehören Flächen und Gewerbe und die Infrastruktur für Verkehr, Energie und Datenübertragung. Und meint damit sowohl Glasfasernetz als auch die „Route 57“ von Kreuztal nach Wittgenstein. Die, die dagegen sind, schätzt er als „kleine, aber sehr laute Minderheit“ ein. Andreas Müller wird deutlich: „Ich habe jeden Tag weniger Verständnis dafür, dass Umweltschützer Straßensanierungen mit Klagen über Jahre verzögern.“ Das seien, weil der Widerspruch am Ende doch nicht durchgesetzt werde, „verlorene Jahre, auch für die Demokratie“. Denn die Bevölkerung wende sich ab, wenn sie sich nicht mehr vertreten sehe.

Siegens Landrat Andreas Müller: Für Integration und Inklusion

„Ich bin sehr beruhigt, dass ich mir keine andere Position zu dem Thema überlegen muss.“ Andreas Müller spricht das Thema Zuwanderung an und zitiert sich selbst. „Auch Zuwanderer und Flüchtlinge müssen sich integrieren wollen und bereit sein, die Regeln, die bei uns gelten, zu akzeptieren.“ Und: Geflüchtete, die keinen Anspruch auf Schutz haben, müssen wieder gehen. „Tun sie das nicht freiwillig, werden wir sie abschieben müssen.“ 2015 und 2016 war Müller auch überregional gefragt, weil er mit der „Erstaufnahmeeinrichtung neuen Typs“ Pilotprojekte vorzeigen konnte. In Burbach und Bad Berleburg waren Unterkunft, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge („BAMF“) und Ausländerbehörde unter einem Dach. „Die wünscht man sich heute eigentlich wieder zurück.“

Andreas Müller muss sich keine Sorgen machen, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Sozialer Zusammenhalt, Inklusion, Integration stehen ganz oben auf der persönlichen Agenda. Auch das zieht sich durch die beiden Amtszeiten: Gerade erst bei seinem Auftritt gegen den rechtsextremistischen „3. Weg“ in Hilchenbach („Sie werden hier nie eine Heimat haben“), kurz nach Amtsantritt schon, als er zum jährlichen CSD Regenbogenflaggen vor dem Kreishaus hissen ließ und dafür – erfolglos – von einem Professor der Siegener Uni verklagt wurde. „Heute ist das völlig normal. Das zeigt, dass wir weitergekommen sind.“

Nächster Nahverkehrsplan bis in die 2040er Jahre

Der Landrat spricht über den Ausbau der Kindertagesbetreuung, über Projekte für den Klimaschutz. Über den öffentlichen Nahverkehr, der ausgebaut wurde (um jährlich 500.000 Buskilometer), der für den Kreis teurer wurde (von 3,9 Millionen Euro 2014 auf jetzt 16 Millionen) und für den im nächsten Frühjahr ein neuer Nahverkehrsplan zu beschließen ist, der wohl bis in die 2040er Jahre hinein gelten wird: „Ich hoffe, dass man sich nicht zu eng an die jetzige Haushaltssituation klammert.“

Und dann sind da die Themen, die durchgehend auf der Tagesordnung bleiben: Die Wirtschaftsförderung, die in Müllers Amtszeit von der KM:SI, in der Sparkasse, Volksbank, IHK und Universität gemeinsam mit dem Kreis Wirtschaftsförderung machten, ins Kreishaus zurückgeholt wurde. Und nun erneut, wie die Tourismusförderung, auf einer Einsparliste steht: „Hier zu sparen, ist sehr kurzsichtig.“ Was Andreas Müller den sechs der mittlerweile zehn Kreistagsfraktionen vorwirft, die sich zu einer Haushaltsmehrheit zusammengefunden haben. „Dass gute Vorschläge breite Mehrheiten erfahren, scheint nicht mehr zu gelten. Das ist sehr, sehr bedauerlich“, sagt Müller, „ich hoffe, dass das kein Dauerzustand wird.“

Siegens Krankenhäuser bekommen die Quittung aus Düsseldorf

Das andere Dauerthema sind die Krankenhäuser. Ja, sagt Landrat Müller, das kreiseigene Klinikum habe sich entwickelt: mit der neuen Lungenklinik, die Lungenkrebszentrum werden soll, dem Adipositaszentrum, der psychiatrischen Tagesklinik („Wir denken schon über die nächste nach“), dem medizinischen Versorgungszentrum mit angegliederten Haus- und Facharztsitzen. Im neuen BiGS, dem Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe, seien drei der vier Krankenhausträger vereint. Die große Krankenhausfusion allerdings sei nicht gelungen. Dass das NRW-Gesundheitsministerium den Wettbewerb in Siegen „ruinös“ nenne und nun selbst über die Aufgabenverteilung bestimme, „ist die Quittung dafür.“

2017 ließ Landrat Andreas Müller sich für die erste Hälfte seiner ersten Amtszeit mit einem SPD-Logo fotografieren und handelte sich dafür eine Beschwerde bei der Kommunalaufsicht ein (die das allerdings nicht anstößig fand). Heute würde er das wohl nicht wieder tun. Dabei war die SPD auch schon 2014 nicht auf der Pole-Position, als sie mit dem Holzhausener Juso in die Wahl zog. Dass Andreas Müller in der Stichwahl CDU-Amtsinhaber Paul Breuer aus dem Amt treiben würde, hatten zumindest die Genossen mit eigenen Ambitionen einfach nicht auf dem Zettel.

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