Wilnsdorf. Wilnsdorfs neuer Beigeordneter arbeitet in seinen ersten hundert Tagen auf vielen Baustellen – und ist bekennender Fan von Tempo 30.
In die „Teppichetage“ ist er gar nicht erst eingezogen. Johannes Schneider will da arbeiten, wo auch die Leute aus seinem Dezernat ihre Büros haben. Das hat seinen Preis: Die Einrichtung ist noch spartanisch, und solange die Vorhänge fehlen, haben Passanten auf dem Weg ins Rathaus oder wieder heraus eine guten Blick auf den Schreibtisch des neuen Beigeordneten. „Ich hatte noch keine Zeit, mich zu kümmern“, erklärt Schneider die kahlen Wände. Neben der Tastatur steht eine Kaffeetasse mit dem Logo der Neunkirchener Realschule – ein Souvenir, das er von seinem alten Arbeitsplatz mitgebracht hat. Nicht, dass er in Wilnsdorf noch nicht angekommen wäre: Das Programm seiner ersten hundert Tage war rappelvoll.
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Feuerwehr
Das ist das erste Thema, das Johannes Schneider nennt: Bis Ende September muss der Förderantrag für den Neubau des Gerätehauses des künftig fusionierten Löschzugs Anzhausen-Flammersbach stehen – ohne eine Sondersitzung des Rates wird das wohl nicht gehen. Übernommen hat Schneider aber auch die gestoppten Neubaupläne für die Löschgruppe Wilgersdorf. Weil die Kosten explodierten, hatte der Rat entschieden, das vorhandene Gerätehaus auf den Stand der Anforderungen zu bringen. Das wird wohl schwierig, musste Johannes Schneider erkennen: „Kurzfristig wird dort nichts passieren“, optimale Verhältnisse würden dort „sicherlich nicht“ zu schaffen sein. Der Beigeordnete erwartet eine „grundlegende Diskussion“ und wagt eine Prognose: Die Neubaupläne „werden wieder auf den Tisch kommen.“
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Johannes Schneider hat weitere Feuerwehr-Themen auf dem Tisch: Die „Tagesverfügbarkeit“ der freiwilligen Wehrleite nimmt ab – was zur Folge hat, dass der Radius für den Alarm immer weiter geschlagen werden muss, damit die Löschfahrzeuge auch besetzt werden können. Schwierig wird das, wie die Arbeiten am gerade entstehenden Brandschutzbedarfsplan zeigen, in Obersdorf, Rudersdorf und Wilden – in der Konsequenz müssten dann zum Beispiel nach Obersdorf auch Einsatzkräfte aus Oberdielfen und Siegen-Eisern alarmiert werden. Lästig sind auch die langen Lieferzeiten für neue Fahrzeuge – mittlerweile bis zu anderthalb Jahr. „Wir haben drei abgängige Fahrzeuge.“
Schulen
Der Neubau der Grundschule Wilnsdorf wird vorbereitet. Auf den Architektenwettbewerb folgt die Auftragsvergabe für die Planung, und dann geht es Zug um Zug über den Bauantrag bis zum Baubeginn. 2025, schätzt Johannes Schneider, wird der Einzug möglich sein. In den nächsten Jahren wird es in den Grundschulen eng: Einige geburtenstarke Jahrgänge wachsen nach, der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung soll 2026 kommen. „Das wird eine spannende Diskussion werden“, ahnt Schneider, der auch Schuldezernent ist: womöglich darüber, eine oder mehrere der vor einigen Jahren aufgegebenen Grundschulstandorte zu reaktivieren.
Für realistisch hält Schneider Rudersdorfer Lösung: Dort könnte die Grundschule wieder zweizügig werden – für den offenen Ganztag wäre dort sowieso ein neuer Platz zu finden. Denn die Betreuung der Grundschulkinder im Hauptschulgebäude wird um so schwieriger, je stärker die Hauptschule wächst: Deren Fortbestand steht keineswegs mehr auf der Kippe, inzwischen werden dort wieder zwei 5. Klassen gebildet. Eine Rolle spielt immer auch die Grundschule des christlichen Schulvereins in Rudersdorf: Bisher wurden dort jährlich 40 bis 50 Kinder abgelehnt, nun bietet die neue Grundschule An der Weiß in Siegen zusätzliche Kapazität. „Wir gehen davon aus, dass dann nicht mehr viele Kinder aus Wilnsdorf abgelehnt werden“, sagt Johannes Schneider, „das hilft uns zunächst.“
Den Zustrom zum Gymnasium, das gerade fünf 5. Klassen bildet, sieht Johannes Schneider skeptisch: „Das sollte die Ausnahme bleiben.“ Besser wäre es, wenn Kinder aus Burbach sich zum Gymnasium nach Neunkirchen orientierten und Wilnsdorfer Kinder nicht nach Segen auspendelten, sagt Schneider. Und wenn die Entscheidung der Eltern für die Schulform fiele, die für ihrer Kinder am besten geeignet ist. Schneider setzt auf die Beratung durch die Schulleitungen: „Wir werden gezielt auf die Dörfer gehen.“ Für die Gemeinde hängt viel daran, Haupt- und Realschule stabil zu halten: „Wenn eine von beiden schwächelt, ist unser dreigliedriges System in Gefahr.“ Die Sekundarschule wird dann keine Alternative sein: Deren Errichtung ist in Wilnsdorf bereits zwei Mal an mangelnder Akzeptanz gescheitert.
Zur Person
Johannes Schneider (56 ) hat sein Amt als Beigeordneter am 1. Juni angetreten. Der Rudersdorfer wurde vom Gemeinderat einstimmig gewählt. Zu seinem Dezernat gehören Bürgerdienste, Schulen, Kultur, Sport, Soziales und Museen. Von 2014 bis 2021 war Schneider Leiter des Fachbereichs Schulen und Soziales bei der Gemeinde Neunkirchen. Beginnen hat er seine Laufbahn bei der Stadt Netphen, wo er zuletzt den Bereich Stadtentwicklung leitete.
Verkehr
Zu viele Autos fahren zu schnell durch die Dörfer. „Wir werden uns in den nächsten vier bis fünf Monaten jede einzelne Ortsdurchfahrt vornehmen“, kündigt Johannes Schneider an. Wenn er von angestrebter „Tempoänderung“ spricht, meint er nicht Beschleunigung: „Ich bin Verfechter von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen.“ Auf denen, und nicht irgendwo in abgelegenen Seitenstraßen, müsse auch der Radverkehr Platz finden: „Wenn wird das nicht ändern, haben wir es nicht verstanden.“ Die Ortsdurchfahrt Wilden wäre so ein Kandidat für einen Ausbau nach neuen Maßstäben: „Wo, wenn nicht da?“
Wobei der Beigeordnete es mit den Gegebenheiten aufnehmen muss: Auch Wilnsdorf hat Radwege von den Hauptachsen verdrängt, zum Beispiel auf den Verbindungen Gernsdorf-Rudersdorf und Anzhausen-Dielfen. „Wir werden die Wege, die wir haben, ertüchtigen“, sagt Schneider: Rudersdorf-Wilnsdorf wird ausgebaut, Wilden-Salchendorf asphaltiert. Die Kritik an früheren Weichenstellungen bleibt: „Allein würde ich meine Kinder nicht durch den Wald fahren lassen.“
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Im öffentlichen Nahverkehr sieht Johannes Schneider Perspektiven: am Bahnhof Rudersdorf, den die Gemeinde gekauft hat, wo der Pendlerparkplatz „gerammelt voll“ ist, der Umstieg vom und in den Bus funktioniert: „Dieses Pfund müssen wir nutzen.“ Und in Niederdielfen – die Wiederinbetriebnahme des Haltepunktes steht seit Jahren auf diversen Wunschzetteln: „Das wäre der beste und gescheiteste Weg, um ein paar Autos von der Straße zu bekommen.“
Schwerer tut sich Johannes Schneider mit dem Verwaltungs- und Geschäftszentrum direkt vor der Rathaustür: Mit einer Einbahnregelung und geschützten Fußgängerbereichen werde die Gemeinde Ordnung in das Gelände bringen, das vor allem ein großer Parkplatz ist, kündigt Schneider an. „Ich bin nicht blauäugig“, antwortet Schneider auf die Frage nach weiteren Veränderungen, „um Aufenthaltsqualität zu schaffen, müssen wir uns vielleicht auf andere Bereiche konzentrieren“, zum Beispiel rund ums Museum. Die Gemeinde habe eben „in der Vergangenheit pragmatische Ansätze verfolgt“.
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Außerdem
Der Strauß an Themen, die der zweite Mann im Rathaus neben Bürgermeister Hannes Gieseler angehen will, ist noch größer: „Kleinigkeiten“, nennt Schneider, wie eine Offensive von Dorf zu Dorf gegen zugeparkte Gehwege – aber auch große Dinge wie neu gestaltete Ortsmittelpunkte. „Wir gehen Ortsteil für Ortsteil durch.“ Angehen will Johannes Schneider auch die Planung für ein weiteres, viertes Altenpflegeheim in der Gemeinde, gern im Bereich Wilgersdorf: „Wir haben erste Gespräche geführt, wir sind auf Grundstückssuche.“
Und dann wäre da noch der große weiße Fleck im Portefeuille des Beigeordneten, der zwar ein 200.000-Euro-Budget für das Museum, nicht aber ein Defizit für ein Bad zu verantworten hat: Wilnsdorf hat kein Hallenbad, kein Freibad und bald auch auf Jahre keinen Landeskroner Weiher. „Das sind wir nicht sehr gut ausgestattet. Ich beneide jede Kommune, die so ein Angebot machen kann.“
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