Schmallenberg. Der hausärztliche Notdienst ist ans Krankenhaus Grafschaft umgezogen. Was sich jetzt dringend ändern muss, sagt Dr. Hans-Georg Grobbel.
Seit Ende Februar ist der hausärztliche Notdienst von Bad Fredeburg ans Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft gewechselt, eigentlich eine gute Lösung, sagt Dr. Hans-Georg Grobbel. Aber es gibt auch deutliche Verschlechterungen für die Schmallenberger Patienten, findet er und nennt Verbesserungen, die alle betreffen sollten.
An einem Mittwochnachmittag, die Arztpraxen haben geschlossen, wo finden Patienten dann den hausärztlichen Notdienst?
Man sollte annehmen, dass man ihn in Grafschaft findet. So war es zumindest früher in Bad Fredeburg. Tatsächlich müssen Patienten heute bis nach Winterberg, Hüsten oder Brilon fahren. Denn der hausärztliche Notdienst hat in Grafschaft nur am Wochenende geöffnet, samstags und sonntags von 8 bis 22 Uhr. In Bad Fredeburg gab es ihn auch wochentags von 18 bis 22 Uhr sowie mittwochs und freitags von 13 bis 22 Uhr. Das ist eine Verschlechterung, die von der KVWL nicht offen kommuniziert wurde.
Das sind weite Wege.
Vor allem im Winter oder wenn man kein Auto hat. Denken Sie an die Seniorin, die jetzt von Wormbach mit dem Bus nach Grafschaft fahren muss. Im schlimmsten Fall muss sie dann noch nach Bad Laasphe, weil da die nächste Apotheke Notdienst hat. Früher wäre es für die meisten Schmallenberger günstiger gewesen, in der Woche nach Lennestadt zu fahren. Aber auch dort wurde der Notdienst aufs Wochenende von 10 bis 16 Uhr gekürzt.
Aber es gibt auch Vorteile?
Natürlich ist es ein Vorteil, dass der hausärztliche Notdienst wieder an einem Krankenhaus ist, so wie es früher auch in Bad Fredeburg war. Die Ärzte können im Notdienst Ultraschall und Röntgengerät mitbenutzen, es gibt ein Labor und den kurzen Weg zu den Kollegen im Krankenhaus, gegebenenfalls für die stationäre Übernahme.
„Ich bin überzeugt, dass nicht mal die Hälfte der Schmallenberger die 116117 als Nummer für den hausärztlichen Notruf, auch für Hausbesuche, kennt. Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund ist das System völlig unverständlich. “
Sie halten insgesamt die Regelungen des ärztlichen Notdienstes in Deutschland für viel zu verwirrend?
Wir brauchen eine einheitliche - zunächst telefonische - medizinische Ersteinschätzung zur Dringlichkeit der Versorgung sowie eine möglichst genaue Auswahl der Versorgungsstufe: Der richtige Patient in die beste Behandlung; das kann der Hausarzt am nächsten Tag, der ärztliche Notdienst am Abend, oder der schnelle Rettungsdienst mit Einlieferung ins richtige Krankenhaus sein. Die aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen sind die Fehlsteuerung - keine zentrale Anlaufstelle, der Patient entscheidet, wo er hingeht und die Fehlversorgung - der Patient landet an der falschen Stelle.
Selbst zu entscheiden, das überfordert die Patienten?
Ja, denn wir haben jede Menge Notrufnummern, Feuerwehr, Polizei (110), Rettungsdienst (112), die 116117 für den hausärztlichen Notdienst, dazu kommen Telefonseelsorge und Giftnotzentralen. Zumindest 116117 und 112 müssen zusammengeschaltet werden, wie es schon in einigen Regionen mit Erfolg getestet wird. In anderen Ländern, beispielsweise in Holland, gibt es nur die 112. Die Disponenten dort verbinden zum korrekten Ansprechpartner. Im Fall der Rettungsdienste heißt das vor allem, dass sie unterscheiden: Ist das jetzt ein echter Notfall? Gibt es beispielsweise Anzeichen für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall? Reicht es, wenn der Patient zum hausärztlichen Notdienst fährt oder kann er auch warten, bis sein Hausarzt morgen seine Praxis wieder öffnet. Da entscheidet dann ein Experte oder eine Expertin, nicht der Patient, der in dem Moment meist erregt und überfordert ist.
Sie haben versucht, die Schmallenberger über die unterschiedlichen Notrufnummern aufzuklären.
Das war etwas enttäuschend: Eine Info-Veranstaltung zusammen mit einem Disponenten der HSK-Leitstelle 2023 im kleinen Saal der Stadthalle war sehr schlecht besucht. Dabei bin ich überzeugt, dass nicht mal die Hälfte der Schmallenberger die 116117 als Nummer für den hausärztlichen Notruf, auch für Hausbesuche, kennt. Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund ist das System völlig unverständlich. Und spätestens wenn man da in der Warteschleife hängt, fährt man direkt ins Krankenhaus nach Grafschaft oder Meschede. Doch dort belasten diese Menschen dann die Notfallambulanzen und rasten sogar noch aus, wenn sie nicht direkt drankommen. Dabei sehen sie ja gar nicht, ob der Rettungswagen gerade einen echten Notfall einliefert. In Holland zahlt man übrigens eine hohe Strafe, wenn man unter Umgehung des Hausarztes direkt ins Krankenhaus fährt.
Auch der Rettungsdienst muss reformiert werden?
Auch da gibt es Fehlentwicklungen, an denen aber schon gearbeitet wird. So kann der Rettungsdienst seine Fahrt nur abrechnen, wenn er den Patienten auch transportiert. Dabei könnte das Team 20 bis 30 Prozent der Fälle auch vor Ort behandeln. Jeder Bürger sollte wissen, dass die 112 nur für lebensbedrohliche Zustände gerufen werden sollte. Dazu gehören schon die Vermutung auf Schlaganfall oder Herzinfarkt, Herzstillstand, akute Entzündungen, schwere Blutungen, schwere Atemnot und Asthma, Krampfanfälle, allergischer Schock, Suizid, Stromunfälle, Vergiftungen oder stärkste, unerträgliche und neue Schmerzen sowie sowie akute Komplikationen in der Schwangerschaft.
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HINTERGRUND
Der Schmallenberger Dr. Hans-Georg Grobbel ist Orthopäde und Chirurg und war von 2008 bis 2012 am Krankenhaus in Bad Fredeburg tätig. 2014 hat er dort selbst noch Notdienste übernommen. Nach der Schließung arbeitete er in Siegen.
Heute ist er als Arzt im Ruhestand, stellvertretender Leiter der First Responder in Schmallenberg und setzt sich vor allem für Laien-Reanimation und Defibrillatoren-Versorgung ein.
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