Meschede. Bundesweit schlagen Mediziner Alarm. Sie klagen über verbale und körperliche Gewalt in den Praxen. Wie erleben das die Mescheder Ärzte?
Beleidigungen, Bedrohungen, Belästigungen gehören für viele Praxisteams inzwischen zum Arbeitsalltag. Das beunruhigt auch die KVWL, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe.
Die Ergebnisse einer Blitzumfrage, an der sich rund KVWL-760 Mitglieder beteiligt hatten, seien alarmierend. So gab ein Viertel an, dass sie aufgrund verbaler oder körperlicher Gewalt schon einmal darüber nachgedacht haben, ihre Praxis aufzugeben. Weiteres Warnsignal: Fast 20 Prozent finden aufgrund von Gewalterfahrungen nicht genügend Personal.
Die Redaktion hat nachgefragt, wie das die Ärzte in Meschede erleben. Das Fazit, alles nicht so schlimm, wie in Großstädten - und doch hat sich das Klima verändert.
„Ich schätze es, wenn mir Patienten auf Augenhöhe sagen, wenn etwas nicht gut läuft, aber brüllt einer herum, würde ich vorschlagen, dass der sich eine andere Praxis sucht.“
Mangel an Respekt - überall in der Gesellschaft
Jörg Tigges, Sprecher der Mescheder Ärzte, hat sich bei seinen Kollegen erkundigt: „Gewalt scheint hier bisher kein Thema zu sein“, sagt er. Insgesamt zeichne sich ab, dass die Kollegen „die mediale Eskalation nicht unbedingt sinnvoll finden“. Soll heißen, eine Berichterstattung darüber auch eher ablehnen.
Allerdings fällt Tigges auf, „ob in der Praxis oder auch in anderen Bereichen“, dass es generell einen Mangel an Respekt und Rücksichtnahme gibt. „Dies hat sich seit Corona massiv verstärkt.“ Da die medizinische Versorgung sehr emotional belegt ist, komme es hier zu ausgeprägteren Szenarien.
Pöbeln und Poltern als Spiegelbild der Gesellschaft
Auch Dr. Gisbert Breuckmann, Allgemeinmediziner aus Freienohl und Vorsitzender der Ärztekammer Westfalen-Lippe im Verwaltungsbezirk Arnsberg, beobachtet seit Corona einen „allgemeinen Respektverlust in der Gesellschaft, ein Pöbeln und Poltern“. Und letztlich, so ergänzt der Mediziner, „sind unsere Praxen auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft“.
Prellbock Arzthelferin
Dabei gehe es in seiner Praxis nicht um körperliche Gewalt, sondern um verbale Angriffe, die dann vor allem die Medizinischen Fachangestellten (MFA) abbekämen. Eine MFA aus Meschede haben wir befragt, sie möchte anonym bleiben. Sie kenne das Thema zwar aus bundesweiten Chat-Gruppen, sagt sie, glaubt aber, dass es vor allem ein Problem in größeren Städten ist. „Der Ton ist zwar rauer geworden, auch aus Zeitmangel, aber hier funktioniert noch vieles, einfach weil man sich kennt.“
„Mangel an Respekt und Rücksichtnahme hat sich seit Corona massiv verstärkt.“
Keine Angst vor schlechten Online-Bewertungen
Etwa einmal im Jahr, so schätzt Breuckmann, rastet ein Patient in seiner Praxis aus und brüllt herum. „Sowas darf man sich nicht gefallen lassen“, betont der Mediziner. „Ich schätze es, wenn mir Patienten auf Augenhöhe sagen, wenn etwas nicht gut läuft, aber bei einem solchen Ton würde ich dann vorschlagen, dass derjenige sich eine andere Praxis sucht.“ Man dürfe dann auch keine Angst vor schlechten Online-Bewertungen haben.
Tigges erklärt die Veränderungen auch mit den Sozialen Medien: „Offensichtlich ist eine Kultur der Selbstwertsteigerung durch Verbreitung von ‚viralen‘ Videos entstanden“, sagt er und nennt als Beispiel, dass Menschen Radmuttern von Rettungsfahrzeugen lösten oder Menschen in Lebensgefahr filmten, statt ihnen zu helfen.
Wartezeiten nur schwer zu verstehen
Thema für Beschwerden sind in den Praxen oder auch in der Notfallambulanz der Kliniken oftmals lange Wartezeiten. Doch das könnten Patienten in der Regel gar nicht genau durchschauen, so Breuckmann. „In unserer Praxis zum Beispiel arbeiten fünf Mediziner, die alle eigene Terminlisten abarbeiten. Hinzu kommen Notfälle, die vorgezogen werden.“ Man müsse sich schon darauf verlassen, dass die Triage, die Auswahl der Patienten, von Fachleuten vorgenommen werde. Alle, so findet Tigges, sollten noch mal das Grundprinzip einer Solidargemeinschaft googeln - und dazu gehöre ja die gesetzliche Krankenversicherung. „Hier steht das Ich nicht an erster Stelle!“
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Diskussionen darüber machten die Arbeit in den Praxen natürlich nicht einfacher, so Tigges „und führen auch zu Frustration. Die Zeit, die für diese Patienten draufgeht, fehlt natürlich für diejenigen, die sie dringend benötigen.“
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