Meschede. Der Mescheder Arzt Dr. Jörg Tigges liebt seinen Beruf, betont er. Doch er warnt: „Die Stimmung kippt!“ Ein dramatischer Hilferuf an die Politik.

Während des bundesweiten Ärztestreiks blieben zuletzt die Praxen in Meschede geöffnet. Das könnte sich ändern. „Auch in unserer Region werden ähnliche Aktionen mit Sicherheit folgen, wenn sich nichts ändert“, sagt Jörg Tigges. Er ist Sprecher der Ärzteschaft in Meschede. Tigges warnt: „Die ambulante Versorgung steht vor grundlegenden Problemen.“

Digitalisierung der Arztpraxen klingt erstmal gut - doch die verordnete Telematikinfrastruktur hat nach Angaben der Praktiker vor Ort ergebliche Mängel.
Digitalisierung der Arztpraxen klingt erstmal gut - doch die verordnete Telematikinfrastruktur hat nach Angaben der Praktiker vor Ort ergebliche Mängel. © dpa | Patrick Pleul

Tigges listet mehrere Punkte auf: „Wir ersticken in Bürokratie!“ Zuerst nennt er die Telematikinfrastruktur. Praxen werden inzwischen gezwungen dieses digitales Netzwerk zu nutzen, unter anderem für die elektronische Krankmeldung. Doch das System hat laut Tigges erhebliche Mängel: „Etablieren wir es nicht, wird unsere Vergütung gekürzt.“ Die Rückfinanzierung der Anschaffung und Unterhaltung sei unzureichend. Fazit des Mescheder Arztes: „Unterm Strich haben wir erstmal mehr Arbeit und kaum Nutzen.“

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Dann die Altersstruktur bei den niedergelassen Ärzten: „Besorgniserregend“, sagt Tigges. „Es fällt zunehmend schwerer noch junge Kollegen zu finden, die sich niederlassen wollen angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen. Zudem haben wir große Probleme qualifiziertes Personal zu finden und in Zukunft auch zu halten. Die Vergütung unserer Leistung reicht nicht, aus um die inflationsbedingten Mehrausgaben sowie die berechtigterweise gestiegenen Löhne der Medizinische Fachangestellten zu kompensieren.“

Blutdruck messen in einer Hausarztpraxis: Die niedergelassenen Mediziner schlagen Alarm angesichts ihrer Bedingungen.
Blutdruck messen in einer Hausarztpraxis: Die niedergelassenen Mediziner schlagen Alarm angesichts ihrer Bedingungen. © dpa | Bernd Weißbrod

Tigges: „Gesundheitsminister Karl Lauterbach ließ dazu verlauten, man werde sich um eine Entbürokratisierung bemühen. Finanziell sieht er da kein Problem, weil niedergelassene Ärzte im Schnitt ja 2400.00 Euro verdienen würden. Umsatz und Einkommen werden hier wohl immer mal wieder verwechselt. Sein Kommentar, dass dann die Patienten deutlich mehr zahlen müssten, um den Wohlstand der Ärzte zu finanzieren, ist ein gutes Beispiel für seinen Umgang mit uns niedergelassenen Ärzten.“ Da sei dann die Rede von Klagen auf hohem Niveau, „wir sollten mal weniger Golf spielen - passt ja auch gut ins Klischee.“

Wird von den Hausärzten kritisiert: Der Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach.
Wird von den Hausärzten kritisiert: Der Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach. © dpa | Michael Kappeler

Fakt sei, dass die Stimmung und auch die finanzielle Situation kippten. Der Mediziner erklärt: „Wenn unser Personal erstmal abwandert, können wir die Türen schließen, eine adäquate medizinische Versorgung der Bevölkerung wird dann nicht mehr möglich sein.“

Fehlende Mittel

Parallel zu dem bestehenden System will das Ministerium laut Tigges 1000 Gesundheitskioske etablieren: „Bei dem jetzt schon bestehenden Personalmangel und fehlenden finanziellen Mitteln der Krankenkassen stellt sich die Frage, wie das funktionieren soll und welcher Zusatznutzen eine solche Parallelstruktur bringen soll.“

Angesichts dieser Entwicklung stelle sich die Frage ob die ambulante Versorgung nun schrittweise verstaatlicht werden solle. „Das würde das Ende der bisher etablierten Strukturen bedeuten. Gerade hier auf dem Land ist eine flächendeckende hausärztliche Versorgung essenziell wichtig, zentralisierte Strukturen können das nicht leisten.“

Auch ein Wirtschaftsunternehmen

Tigges sagt: „Ich liebe meinen Beruf und ich arbeite gerne auch mal länger für meine Patienten, aber das geht nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Auch eine Arztpraxis ist ein Wirtschaftsunternehmen , wir kriegen nichts geschenkt. Ich werde auch nicht irgendwelche medizinisch fragwürdigen Leistungen anbieten, um die Praxis quer zu finanzieren. Mir ist auch klar, dass die Kosten für die medizinische Versorgung angesichts der demografischen Entwicklung massiv steigen und kein Politiker das gut verkaufen kann - aber das ist nicht das Problem derjenigen, die diese Versorgung stemmen.“

Wird es in Zukunft noch genügend Hausarzt-Praxen geben? Die Altersstruktur ist hoch - zugleich fehlt der Nachwuchs.
Wird es in Zukunft noch genügend Hausarzt-Praxen geben? Die Altersstruktur ist hoch - zugleich fehlt der Nachwuchs. © dpa | Stephan Jansen

Tigges will seinen Ausführungen ausdrücklich als seine persönlichen Eindrücke verstanden wissen. „Aber ich denke, dass ich damit die Stimmung vieler Hausärzte gut wiedergebe. Ich habe persönlich ein Problem damit, meinen Angestellten in die Augen zu sehen, weil ich weiß, dass sie mitbekommen wie in vielen Bereichen die Gehälter deutlich steigen und Inflationsausgleichzahlungen in üppigen Höhen gezahlt werden. Niedergelassene Ärzte tragen alle Risiken der Selbstständigkeit, aber haben keinerlei Möglichkeit ihre Leistungen gemäß der Regeln der Marktwirtschaft anzupassen.“

Kaum noch Termine

Vielmehr seien die Leistungen budgetiert. Die Nachfrage sei enorm, Tendenz steigend. Das Angebot werde immer weniger. Termine zeitnah zu bekommen sei jetzt schon nicht einfach bis unmöglich. „Und es dürfte klar sein, das aktuell 2,1 Prozent Steigerung bei den Einnahmen nicht kostendeckend sind. Auch 3,8 Prozent für 2024 bilden nicht ansatzweise den Bedarf ab.“

Ihm liegt die Versorgung der Patienten am Herzen, aber unter diesen Bedingungen habe er berechtigte Sorge um die Zukunft der ambulanten Strukturen wie das aktuelle Beispiel der kinderärztlichen Versorgungsengpässe bereits zeigt. Tigges: „Während Corona hat man uns kurz beklatscht und danach abgeklatscht. Und nein, ich spiele nicht Golf und fahre auch keinen Porsche.“