Menden. Sarah (39) ist lesbisch und lebt mit Partnerin und Kindern in Menden. Ihr bereitet der Zuwachs von Partein wie der AfD Sorge.
„Ich habe den Urlaub bisher immer so ausgewählt, dass wir dort auch Händchen halten können und uns nicht verstecken oder verstellen müssen.“ Dadurch wird die Welt kleiner. Eigentlich reizvolle Ziele sind plötzlich keine Option mehr. Nicht der vermeintlichen Norm zu entsprechen, nicht heterosexuell zu sein, das ist auch 2024 noch ein Thema. Sarah* aus Menden weiß das. Sie ist Führungskraft in der IT, Mama in Elternzeit und lesbisch. Sie lebt gemeinsam mit ihrer Partnerin und den Kindern in einem Haus mit Garten. Die Familie hat sich in Menden einen Wohlfühlort geschaffen, ein Zuhause. Mama, Mami und die Kinder: Für Sarah und ihre Liebsten ist das alles völlig normal. Nicht der Rede wert. Doch eben nicht für jeden Menschen. „Wenn wir Hand in Hand durch die Stadt laufen, schauen uns Menschen an. Meine Partnerin sagt dann, dass die Leute uns hinterhergucken. Mir fällt das nicht auf“, erklärt die selbstbewusste Frau. Im Interview erzählt Sarah, was die Stimmung in der Gesellschaft und der Rechtsruck in ihr und ihrer queeren Familie auslösen. Sie offenbart ihre Sorgen, aber hat auch Hoffnung und Wünsche für die Zukunft.
„Ich habe den Urlaub bisher immer so ausgewählt, dass wir dort auch Händchen halten können und uns nicht verstecken oder verstellen müssen.“
Nicht jeder kommt mit Familienmodell zurecht
Sarah ist eigentlich ein Großstadtkind und liebt den Trubel und Puls der Stadt. Über Umwege hat es sie irgendwann aufs Dorf verschlagen - als lesbische Frau ins katholische Menden. Passt das zusammen? „Menden ist schön. Wir fühlen uns wohl“, sagt sie. Ihre Partnerin sei hier verwurzelt, die Kinder auch. Sie verstehen sich gut mit der Nachbarschaft und haben bisher kaum negative Erfahrungen gemacht. Gemeinsam hat das Paar zwei Kinder bekommen, für die Sarah die Mami ist. Ihre Partnerin wird von den Kindern Mama genannt und hat zwei weitere Kinder aus ihrer vorherigen Beziehung mitgebracht.
Auch interessant
„Optisch sind wir keine klassischen Klischee-Lesben. Wir haben keine kurzrasierten Haare, tragen keine Baggypants oder Muskelshirts. Uns sieht man die Sexualität nicht an.“
Sarah weiß aber auch, dass nicht jeder mit ihrem Familienmodell zurecht kommt. „Ich bin kein Kirchgänger und lebe das Vereinsleben nicht so intensiv“, sagt sie und ergänzt: „Optisch sind wir keine klassischen Klischee-Lesben. Wir haben keine kurzrasierten Haare, tragen keine Baggypants oder Muskelshirts. Uns sieht man die Sexualität nicht an.“ Das sei vielleicht auch ein Grund dafür, dass sie weniger auffallen. Immer mal wieder komme es vor, dass sie als Freundinnen wahrgenommen werden. „Ach, seid ihr ohne eure Männer hier?“, heiße es dann oft. „Ähm, nö?!“, sagt Sarah und lacht. „Wir brauchen keinen Mann. Wir können allein eine Lampe aufhängen oder auch den Rasen mähen.“
Auch interessant
Rechtsruck bereitet zwar keine Angst, aber Sorge
Die 39-Jährige ist taff. Und dennoch bereitet ihr der Rechtsruck Sorge. „16 Prozent haben die AfD gewählt - eine Partei, die Familienkonstellationen wie unsere ablehnt. Auch in Menden. Ich meine: Das ist jeder Siebte. Irgendwo müssen diese Menschen ja sein. Das bereitet mir Sorge.“ Dass die Partei es schaffe, viele Menschen so zu bewegen, dass sie Errungenschaften wie Toleranz, Vielfalt und Demokratie ablehnen, sei kein schönes Gefühl. „Ich habe Sorge, dass Parteien wie die AfD noch mehr Zulauf bekommen.“ Für sie sei es nicht nachvollziehbar, wieso Menschen so grundlegende Errungenschaften plötzlich ablehnen würden.
„16 Prozent haben die AfD gewählt - eine Partei, die Familienkonstellationen wie unsere ablehnt. Auch in Menden. Ich meine: Das ist jeder Siebte. Irgendwo müssen diese Menschen ja sein. Das bereitet mir Sorge.“
Die kleinen Dinge im Alltag machen Hoffnung
Doch bei all den Sorgen hat Sarah auch Hoffnung. Es gebe viele kleine Dinge im Alltag, die ihr Mut machen und sie positiv stimmen. So sei es beispielsweise im Sauerlandpark Hemer ohne Diskussion möglich gewesen, eine Familien-Dauerkarte zu bekommen. Auch in der Mendener Bibliothek funktioniere es super oder beim Kinderarzt. „Meine Partnerin brauchte beim Kinderarzt keine besondere Entscheidungsbefugnis“, erklärt sie. Überall dort, wo die Familie mit Menschen in den direkten Austausch trete, funktioniere es gut. Auch der Kindergarten begegne der Familie sehr offen, auch wenn es mit der richtigen Anrede (Mama oder Mami) nicht immer sofort klappe. „Die Kinder haben damit keine Probleme - die wissen das und sagen: Guck mal, da kommt deine Mami.“
Auch interessant
Und wenn es doch mal hakt - beispielsweise auf irgendwelchen Anmeldeformularen? „Dann streiche ich ,Vater‘ einfach durch“, sagt Sarah selbstbewusst. Und das, so sagt sie, macht sie nicht nur rein aus Prinzip, sondern auch für die Kinder. „Für die Kinder ist es Alltag. Ich will keine Unsicherheiten vermitteln, nach dem Motto: Das Formular passt aber nicht zu uns.“ Würde sie zu lange zögern oder diskutieren, würden die Kinder möglichweise das Gefühl bekommen, dass mit ihrer Familie irgendwas nicht stimme. Dass sie anders seien. Und das will Sarah vermeiden. Um die Kinder zu bestärken, besucht die Familie auch alle acht Wochen andere Regenbogenfamilien in Dortmund. Um Normalität zu vermitteln, denn in Menden kennen sie keine anderen queeren Familien. Darüber hinaus meidet Sarah queere Treffen. „Uns verbindet ja nichts außer die Sexualität. Man würde sich ja auch nicht nur treffen, weil man hetero ist.“
„Dann streiche ich ,Vater‘ einfach durch.“
Wunsch nach Courage und weniger Klischee
Die 39-Jährige schaut ihr Baby an und denkt einen Moment nach, bei der Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht. „Was ich mir wünschen würde? Mehr Rückgrat zum Beispiel von Wirten, wenn sie hören, dass ihr Tischgespräch von ordinär zu diskriminierend abdriftet. Gerade im ländlichen Raum gehört es leider oftmals noch zum ,guten Ton‘, in der Männerrunde in der Kneipe herablassend über Queers zu sprechen“, sagt Sarah. Grundsätzlich wünscht sie sich auch, dass das Bewusstsein für andere Familienformen - ganz gleich, ob queer oder nicht - in der Gesellschaft zunehme. „Es gibt so viele Alternativen zu dem klassischen Mutter-Vater-Kind-Modell. Und ich möchte nicht die Minderheit zur Mehrheit machen. Ich meine damit aber auch beispielsweise getrennte Eltern, Paare mit Kind im Rollstuhl, Ausländer, Kinder mit einem verstorbenen Elternteil und so viele mehr.“ Es wäre in ihren Augen schön, wenn diese Randgruppen auch hin und wieder in Büchern vorkommen würden.
„Gerade im ländlichen Raum gehört es leider oftmals noch zum ,guten Ton‘, in der Männerrunde in der Kneipe herablassend über Queers zu sprechen.“
Sarah versucht darauf beim Kinderbuch-Kauf zu achten, doch einfach sei es nicht. „Es gibt in den Geschichten in der Regel immer eine Mama und einen Papa“, sagt sie. Und diese würden in der Regel Klischeerollen erfüllen. So gehe der Papa stets arbeiten und die Mama koche fröhlich das Essen und kümmere sich um den Haushalt. Doch die 39-Jährige weiß sich auch da zu helfen: „Ich lese die Bücher konsequent anders, mit zwei Müttern, anstatt Mutter und Vater“, sagt sie. Deshalb komme es nicht selten vor, dass eine von beiden in den Erzählungen einen Bart habe, ergänzt sie lachend. Das nimmt sie aber gerne in Kauf.
*Auf Wunsch der Familie nennen wir nur den Vornamen von Sarah.