Herdecke. Interesse hat nachgelassen, Nachwuchs fehlt, dazu Corona: Der 1867 gegründete Männerchor Herdecke hat sich aufgelöst. Es bleiben Erinnerungen.

1867 wird Otto von Bismarck Bundeskanzler. Und in Herdecke gründet sich ein Männerchor. Der hat sich nun nach 153 Jahren aufgelöst. Der Blick zurück verdeutlicht, wie lange Generationen von heimischen Sängern zusammen Lieder anstimmten, ja welch epochale Ausdauer die Gruppe hatte. „Es ist das Ende einer Ära“, sagt Heinz Kühnholz, der als stellvertretender Vorsitzender den singenden Musikverein Ende 2020 abmeldete.

50 Jahre gehörte Kühnholz dem Herdecker Männerchor 1867 an. Sein Vater, der ihn einst zu einer Probe mitnahm, schaffte noch ein Jahrzehnt mehr. „Von uns Sängern konnte kaum einer Noten lesen, bei uns ging es aber eigentlich immer harmonisch und gesellig zu“, meint Heinz Kühnholz und blickt zurück.

Internationale und lokale Auftritte

„Wir haben oft in Herdecke für die Stadt gesungen“, erinnert sich der 87-Jährige und denkt an Eröffnungen der Maiwoche, an Feierlichkeiten zur Einweihung oder zum Jubiläum des Rathauses oder an Auftritte im Zuge der Städtepartnerschaft mit Blankenburg (inklusive Freundschaft mit der dortigen Singgemeinschaft). Nicht zu vergessen die Gründung des Kulturrings, die der langjährige Vorsitzende Horst Kirch anstoß. Hinzu kamen Heimspiele in hiesigen Kirchen und bei „Herdecke singt“, als jahrzehntelang befreundete Chöre mit musizierten und für eine volle Bleichsteinhalle sorgten. Auf dem Freiluftgelände dort ging es beim traditionellen Sommerfest rund 50 Jahre ebenfalls fröhlich zu.

Der Männerchor trat in Altenheimen, durch zufällige Kontakte zu Kurt Biedenkopf auch mal bei einem CDU-Parteitag in der Essener Grugahalle (Kühnholz: „Eugen Sattler schwärmt heute noch davon“), beim deutschen Sängerfest – unter anderem in Wien – und eigentlich fast überall auf.

2014 und 2017 die letzten Auftritte

Das letzte offizielle Konzert fand im November 2014 in der Stiftskirche statt, es folgte noch ein Auftritt zum 150. Jubiläum 2017 im Zweibrücker Hof. Das restliche Geld aus der Kasse spendete der Männerchor dem Herdecker Verein Sterntaler.Kühnholz erinnert sich auch daran, dass der langjährige Bürgermeister Hugo Knauer den Männerchor – in diesem machten übrigens Hobbysänger aus allen Berufsgruppen (meist im gesetzteren Alter) mit – lange begleitete.

Heraus ragen internationale Konzerte. Etwa im französischen Elsass, Straßburger Münster, in Luxemburg oder am Gardasee. Die Reise hatte der ebenso agile Vorsitzende Hans Röder in den 1970-er Jahren organisiert, für ein Promenadenkonzert sowie eine Messe italienische und lateinische Lieder eingeübt. „Wir waren in dem Zusammenhang auch in der Arena von Verona, wo wir kurzfristig Lieder anstimmten und von Touristen Applaus erhielten“, berichtet der langjährige stellvertretende Vorsitzende und betont, dass viele Ehefrauen die Herren bei ihren Ausflügen begleiteten.

Eine besondere Rolle kam Elisabeth Luderer zu. Die hervorragende Pianistin war (als Vorgängerin des letzten Leiters Dag Neuhaus) die einzige weibliche Dirigentin, sonst führten nur Männer die Sänger an – unvergessen etwa Friedhelm Bertram, der ca. 30 Jahre den Takt vorgab. Zuletzt war es Akkordeonspieler Ben Rolefsen, der einige Shanty-Lieder für die Gruppe anstimmte.

In all der Zeit traf sich der Männerchor – in Hochzeiten gehörten ihm 60 Sänger an – zu Jahresanfang und besprach die Aktivitäten in den folgenden Monaten. „Wir hatten ein gutes Miteinander und haben oft gelacht.“ Beim Gedanken an die Geselligkeit fällt Kühnholz sofort der Zweibrücker Hof ein, dort fanden viele Auftritte und Feiern statt.

Zuletzt nur noch 16 Aktive

Bis März 2020 probte der Männerchor nur noch und sang bei kleineren Anlässen. Zuletzt war es Akkordeonspieler Ben Roelofsen, der einige Shanty-Lieder für die Gruppe mit nur noch 16 Aktiven anstimmte. „Dann kam noch Corona, das hat das Aus beschleunigt. Im Sommer haben wir entschieden, uns aufzulösen. Es war schwierig, neue Mitglieder zu finden, das Interesse ließ nach“, erzählt Heinz Kühnholz und weiß, dass es anderen Chören ähnlich ging oder geht.

Es bleibt die Erinnerung an die Musik. Ob russische, englische oder Gospel-Titel für die Kirche, Klassisches von Beethoven, Mozart oder Schubert bis hin zu populären Liedern von Udo Jürgens, Tony Marschall oder den Comedian Harmonists – der Männerchor sang je nach Anlass. Nur mehrstimmige Vokalmusik (Motette) war zu kompliziert. „Es ist kein Auftritt in die Hose gegangen. Nur bei der Hochzeit eines Mitglieds mussten wir zweimal ansetzen.“ Alles Vergangenheit. Das letzte Wort von Kühnholz zum Ende des Männerchors: „Schade.“