Hagen. Die Landesregierung plant erhebliche Streichungen im Sozialbereich. Die Wohlfahrtsverbände in Hagen warnen vor dem Kahlschlag.

Die NRW-Landesregierung scheint zwar ein Stück zurückzurudern, dennoch stehen im Sozialbereich erhebliche Kürzungen an. Ursprünglich war von rund 80 Millionen Euro die Rede, jetzt sprechen die Fraktionen „nur“ noch von 43 Millionen Euro. Für die Wohlfahrtsverbände in Hagen, die ohnehin erheblich finanzielle Sorgen plagen - der Kreisverband Hagen des Deutschen Roten Kreuz hatte zuletzt Insolvenz in Eigenregie beantragen müssen - werden die geplanten Kürzungen trotzdem teils erhebliche Auswirkungen haben.

Auf Initiative des Hagener AWO-Vorsitzenden Wolfgang Jörg werteten Vertreterinnen und Vertreter der freien Wohlfahrt in Hagen jetzt bei einem Treffen, das noch vor den Fraktionsankündigungen stattfand, die gravierenden Auswirkungen auf Einrichtungen in der Stadt aus. Nach Einschätzung der Hagener Sozialverbände (AWO, Caritas, Diakonie und Paritätischer) sind unter anderem bei der sozialen Beratung und Unterstützung, im Bereich Alter und Pflege, beim Thema Migration und Integration sowie bei der Armutsbekämpfung erhebliche Streichungen zu befürchten.

Streichung bei Hilfen für Geflüchtete

„Diese Kürzungen sind nicht nur Zahlen im Landeshaushalt, sondern wirken sich ganz erheblich auf die soziale Landschaft in unserer Stadt aus“, warnt AWO-Geschäftsführerin Birgit Buchholz als Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Hagener Wohlfahrtsverbände. Der Sparkurs der schwarz-grünen NRW-Landesregierung richte sich insbesondere gegen die Migrations- und Flüchtlingshilfe. Insgesamt sollen die Ausgaben für die soziale Beratung von Geflüchteten um zwei Drittel gekürzt werden, eingespart werden soll auch bei Rückkehrerprojekten und der Koordinierung von Maßnahmen für junge Geflüchtete.

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„Gerade diesen Initiativen ist es gelungen, Integration im Stadtteil zu fördern“, erklärte Matthias Börner, Geschäftsführer der Hagener Diakonie. Mit Blick auf die aktuellen Debatten rund um das Thema „Innere Sicherheit“ fügte er hinzu, dass Kürzungen im Bereich der Angebote für Migranten und Flüchtlinge unverständlich und kontraproduktiv seien: „Diese Angebote tragen zum sozialen Frieden bei.“

Kürzungen bei Hilfe für Familien

Die Eltern in der Stadt Hagen werden die drastische Reduzierung von präventiven Angeboten für Familien deutlich spüren. Luisa Kinzel, Sozialpädagogin bei der Evangelischen Familienbildung, wies auf die drohende Kürzung im Bereich der Familienbildung um zwei Drittel hin – Zielgruppe sind Familien, die bei hohen Preisen und nicht funktionierender Kinderbetreuung ohnehin unter Druck stehen.

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Viele Leistungen im Sozialbereich müssen auf den Prüfstand gestellt werden: Das Arztmobil des Diakonischen Werks versorgt Patienten, die alleine nicht den Weg in die Praxis finden.
Viele Leistungen im Sozialbereich müssen auf den Prüfstand gestellt werden: Das Arztmobil des Diakonischen Werks versorgt Patienten, die alleine nicht den Weg in die Praxis finden. © WP | Michael Kleinrensing

Besonders betroffen von den Mittelkürzungen sind auch die Suchthilfe sowie die Aidshilfe. Das werde nach Einschätzung der Sozialverbände die bewährten Präventions- und Hilfemaßnahmen im Sucht- und AIDS-Bereich nahezu unmöglich machen. Komplett beendet werden soll die Förderung der Fachberatung Schuldnerberatung – das hätte gravierende Auswirkungen auf alle Schuldnerberatungsstellen.

Auswirkungen auf die Lebensqualität

Kürzungen bei Maßnahmen der Berufsvorbereitung würden vor allem die Zielgruppen treffen, die diese Angebote am dringendsten benötigen. Als Beispiel führte Torsten Gunnemann vom Vorstand der Caritas Hagen die Berufseinstiegsbegleitung an, die sich an Jugendliche ohne Schulabschluss und ohne eine Perspektive am Ausbildungsmarkt richtet. Berufseinstiegsbegleitung sei eine Maßnahme der Agentur für Arbeit, die nur mit einer Kofinanzierung umgesetzt werden kann. Diese Kofinanzierung habe das Land NRW in den letzten Jahren mit Landesmitteln und Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds geleistet, erläutert Gunnemann. Da nutze es dann nichts, wenn ESF-Gelder für NRW umgeschichtet werden.

Zeichen für wachsende Armut: Die Schlangen vor den Stellen, an denen in Hagen kostenlos eine Mahlzeit ausgegeben wird, werden länger.
Zeichen für wachsende Armut: Die Schlangen vor den Stellen, an denen in Hagen kostenlos eine Mahlzeit ausgegeben wird, werden länger. © WP | Michael Kleinrensing

Die Vertreter der freien Wohlfahrt in Hagen zeigten sich einig, dass die geplanten Einsparungen im sozialen Bereich erhebliche negative Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bürger haben werden. „Reichere Kommunen werden in der Lage sein, die Kürzungen selbst aufzufangen. Doch Hagen gehört nicht dazu“, so Jan Philipp Krawinkel, Kreisgruppen-Geschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die Kürzungen des Landes verschärften noch die Liquiditäts-Probleme, die etliche Dienste und Einrichtungen schon jetzt hätten.

Sparen löst Dominoeffekt aus

Die Einsparungen werden nach seiner Einschätzung einen Dominoeffekt beim Rückgang von Angeboten für die Menschen auslösen. „Zerschlagene Strukturen und Arbeitsplätze, die in diesem Bereich einmal wegfallen, können kaum wieder neu aufgebaut werden“, lenkte Krawinkel den Blick auf die Kipp-Punkte eines kontinuierlichen Sparkurses.

Caritas-Vorstand Rolf Niewöhner fasste die Situation der Freien Wohlfahrtspflege zusammen: „Wir als Träger leisten eine unverzichtbare und gesellschaftlich anerkannte Arbeit, die weder vom Staat noch von kommerziellen Anbietern in dieser Qualität geleistet wird. Die Kürzungen der Landesregierung bedrohen die Trägervielfalt in der gesamten Sozialwirtschaft und verstoßen damit gegen das Subsidiaritätsprinzip, das den Sozialstaat seit Jahrzehnten trägt!“