Hagen. Angesichts der wieder steigenden Schuldenlast in Hagen fordern der Unternehmerrat und das Aktionsbündnis der Städte dringend Sofortmaßnahmen.
„Klamme Haushaltskasse, hohe Sozialausgaben, sinkende Gewerbesteuereinnahmen und immense Altschulden: Die finanzielle Lage in Hagen ist prekär“, bilanziert der Hagener Unternehmerrat beim Blick auf die Stadtfinanzen. Mit einem Minus von 886 Millionen Euro erreichen die Liquiditätskredite (städtischer Dispo im September) fast das gleiche Niveau wie im Vorjahr. Die aktuelle Lage lasse keinerlei Spielraum für notwendige Modernisierungen und Weiterentwicklung, so die Wahrnehmung der Wirtschaft. Umso ernüchternder seien die jüngsten Meldungen, dass eine Lösung der Altschuldenproblematik in absehbarer Zeit nicht in Sicht sei, da das Bundesfinanzministerium in dieser Legislaturperiode keinen Vorschlag für eine Altschuldenlösung vorlegen wolle. Die Begründung: Im Bundestag und Bundesrat gebe es keine grundgesetzändernde Mehrheit für eine Altschuldenregelung des Bundes.
„Da in dieser Hinsicht aber offenbar keine Fortschritte erzielt wurden, ist eine kurzfristige Übergangslösung wie der geforderte Zinserlass umso dringender, um die Handlungsfähigkeit finanzschwacher Kommunen zumindest zum Teil wiederherzustellen.“
Drängen auf eine Lösung
Da nach Ansicht des Hagener Unternehmerrats vor diesem Hintergrund eine alternative, kurzfristige Lösung dringend erforderlich ist, hat er sich in einem Schreiben an NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) erneut für eine Übernahme der Zinslast durch das Land für einen gewissen Zeitraum ausgesprochen. Bereits im Februar ist das Bündnis vieler Hagener Unternehmer mit dieser Forderung an die Ministerin herangetreten, wozu jedoch nach Angaben von Initiator Winfried Bahn keine konkrete Stellungnahme erfolgte. In ihrem Antwortschreiben stellte die Ressortchefin lediglich in Aussicht, den im Juni 2023 angestoßenen Ansatz zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden weiterzuentwickeln, „um eine dauerhafte Lösung herbeizuführen“.
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„Da in dieser Hinsicht aber offenbar keine Fortschritte erzielt wurden, ist eine kurzfristige Übergangslösung wie der geforderte Zinserlass umso dringender, um die Handlungsfähigkeit finanzschwacher Kommunen zumindest zum Teil wiederherzustellen“, meint Bahn. Beispielhaft erwähnt er an dieser Stelle Länder wie Hessen oder Rheinland-Pfalz, die Kommunen in schwieriger Finanzlage u. a. durch niedrige Zinsen und Finanzhilfen bei der Entschuldung unterstützen. „Die enorme Altschulden- und Zinslast droht Hagen zu erdrücken. Um weiteren Stillstand zu vermeiden, braucht es jetzt eine schnelle Lösung“, betont Bahn.
„Um weiteren Stillstand zu vermeiden, braucht es jetzt eine schnelle Lösung“
Soziallasten steigen rasant
Parallel dazu meldet sich auch das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ zu Wort und verweist ebenfalls auf die im ersten Halbjahr 2024 deutlich gewachsenen Ausgaben im Sozialbereich. Dadurch müssten die Kommunen wieder neue Schulden auftürmen, um ihre Pflichten erfüllen zu können. Den traurigen Spitzenplatz belege dabei wieder einmal Nordrhein-Westfalen: Dort sind die Sozialausgaben nach Angaben des Bündnisses in den vergangenen Monaten am stärksten gestiegen, nämlich um rund 75 Euro pro Einwohnerin und Einwohner.
Den anderen Bundesländern geht es kaum besser. Dort liegt der Aufwuchs zwischen 36 und 70 Euro. Insgesamt sind die Kosten im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als zwölf Prozent nach oben gegangen. Das ergibt sich aus der Kassenstatistik des Statistischen Bundesamts. Die Faktoren dieser Entwicklung sind vielfältig. Besonders stark fällt das Plus im Bereich „Bildung und Teilhabe“, für die Jugendhilfe und die Eingliederungshilfen aus. All das sind Aufgaben, die die Kommunen für Bund und Länder wahrnehmen. Sie bekommen die Kosten allerdings nicht in tatsächlicher Höhe ersetzt.
„Der Anstieg bei den Sozialausgaben trifft vor allem Städte und Gemeinden – und in ganz besonderem Maße die finanzschwachen Kommunen, weil dort überdurchschnittlich viele Sozialleistungen gezahlt werden.“
„Deshalb trifft der Anstieg bei den Sozialausgaben vor allem Städte und Gemeinden – und in ganz besonderem Maße die finanzschwachen Kommunen, weil dort überdurchschnittlich viele Sozialleistungen gezahlt werden“, sagen Hagens Ex-Kämmerer Christoph Gerbersmann und Martin Murrack, beide Sprecher des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“. Die wachsenden Sozialkosten sind daher eine wesentliche Ursache für eine andere bittere Entwicklung: Die Kommunen müssen wieder vermehrt Liquiditätskredite aufnehmen. Im ersten Halbjahr 2024 waren es rund 2,4 Milliarden Euro.
Das bedeutet in den Augen der 71 zusammengeschlossenen Bündnisstädte unter dem Strich: Die Kommunen verschulden sich, um Aufgaben zu erfüllen, die Bund und Land ihnen übertragen haben. Das Geld fehlt dann, um vor Ort in Straßen, ÖPNV, Kitas und Schulen sowie Digitalisierung und Klimaschutz zu investieren. Daraus leite sich die Gefahr ab, dass die Bürgerinnen und Bürger zunehmend das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der ersten Ebene des Staates, nämlich in die Kommunen verlieren.
Vor diesem Hintergrund fordert das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ zwei grundlegende Veränderungen:
1. Altschulden-Lösung: „Die aktuelle Entwicklung zeigt, warum die Kommunen weitgehend unverschuldet finanzschwach geworden sind. Bund und Länder tragen eine wesentliche Verantwortung für die Schulden und müssen daher auch bei der Lösung des Problems wesentlich Verantwortung übernehmen. Viele Bundesländer haben dies schon getan, Nordrhein-Westfalen hat im Sommer mit reichlich Verspätung immerhin einen Vorschlag präsentiert. Das Bundesfinanzministerium hat allerdings jüngst erklärt, dass es keine grundgesetz-ändernde Mehrheit für eine Altschuldenregelung im Bundestag sieht und deshalb keinen Gesetzesentwurf dazu einbringen wird. Das steht im Gegensatz zu dem Versprechen, das die Bundesregierung im Koalitionsvertrag gemacht hat.“
2. Auskömmliche Finanzausstattung: Damit die Probleme in Zukunft nicht wieder auftreten, müsse es eine faire Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen geben. Die Städte und Gemeinden müssten, so die Forderung, finanziell so ausgestattet werden, dass sie sich nicht für delegierte Aufgaben verschulden.