Hagen. Ein 77-Jähriger soll seinen Stiefbruder erschossen und zwei weitere Männer schwer verletzt haben. Jetzt sagen erste Zeugen im Mordprozess aus:

Brutaler Mord und versuchter Mord in zwei Fällen: Es sind schreckliche Minuten, die ein 23-Jähriger am Freitag im Gerichtssaal nach einem tödlichen Familienstreit um eine Firmen-Nachfolge Revue passieren lassen muss. Es sind die Minuten, in denen sein Onkel (77) mit einer Pistole erst mehrmals auf einen Mitarbeiter (48) des Wertstoffhofes im Lennetal schießt und seine Waffe dann auf ihn richtet. „Ich habe nur gesagt: Bitte nicht. Dann hat er geschossen“, sagt der junge Mann, der in der Familienfirma einen neuen Job antreten wollte, unter Tränen. Er wird am rechten Oberschenkel, an der rechten Schulter und am Gesäß getroffen, als er sich im Büro unter den Schreibtisch wirft. „Ich habe mich dann tot gestellt.“

Danach soll der Angeklagte in das angrenzende Büro seines Stiefbruders gestürmt sein und das Feuer auf ihn eröffnet haben. Der 54-Jährige wird von vier Schüssen in die Brust getroffen und stirbt noch am Tatort. „Er stand bei ihm und hat gewartet, bis mein Vater nicht mehr geatmet hat. Ich habe leise die Polizei gerufen, aus Angst, dass er mich hört, aber sofort wieder aufgelegt“, sagt der 23-Jährige vor Gericht aus. Sein Onkel sei dann noch einmal zu ihm gekommen, um zu schauen, ob er sich noch bewege. „Dann ging er weg.“

Die Polizei sichert Spuren am Tatort im Lennetal. Dort wurde auch die Tatwaffe gefunden.
Die Polizei sichert Spuren am Tatort im Lennetal. Dort wurde auch die Tatwaffe gefunden. © Alex Talash | Alex Talash

Die Polizei konnte den dringend tatverdächtigen Mann noch am Tattag im Umfeld festnehmen, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Und seit Freitag auf der Anklagebank vor dem Schwurgericht des Landgerichts Hagen. Einlassen zu den schwerwiegenden Vorwürfen wollte er sich zum Prozessauftakt nicht.

Streit um die Firmen-Nachfolge

Im Hintergrund sollen, so die bisherigen Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden, vor allem Konflikte um die Führung der Firma eine Rolle gespielt haben: Im Juni 2023 hatte der jüngere Stiefbruder als Geschäftsführer die Leitung des Wertstoffhofes übernommen, den sein Stiefbruder gegründet und über Jahre geleitet hatte. „Es gab immer wieder Streit zwischen den beiden“, sagt die Ehefrau des Verstorbenen, der schon über Jahre im Lennetal mitgearbeitet hatte, dazu aus. Ihr Mann solle das Gefühl gehabt haben, dass der 77-Jährige nicht mehr in der Lage sei, die Geschäfte vernünftig zu führen. Auch Schwierigkeiten mit den Steuerbehörden soll es in der Vergangenheit gegeben haben. Die Staatsanwaltschaft führt als mögliches Tatmotiv auch den „Verlust der damit verbundenen Reputation und materiellen Möglichkeiten“ nach der Absetzung als Geschäftsführer auf.

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Die Situation eskalierte dann offenbar am Tattag im Januar gegen 14.45 Uhr: „Da sollte der Zugangscode zur Tür der Verwaltung geändert werden“, erklärte Oberstaatsanwalt Bernd Haldorn zuletzt gegenüber dieser Zeitung. Vorangegangen war nach Zeugenaussagen ein erneuter Streit unter den Stiefbrüdern. Dass der 77-Jährige sich überhaupt auf dem Firmengelände aufhielt, sei nicht ungewöhnlich gewesen. Er soll auch nach der Firmenübernahme noch täglich dort gewesen sein, mit Kunden gesprochen haben und lebte in einer kleinen Wohnung auf dem Gelände.

Zugangscode sollte geändert werden

Als der 48-jährige Mitarbeiter sich auf Anweisung des neuen Chefs daran machte, den Zugangscode zum Büro zu ändern, soll der Angeklagte aus der Küche gekommen sein, eine Pistole gezogen und ihm aus circa 1,5 Metern Entfernung in den Rücken geschossen haben. Er erlitt schwerste Verletzungen - unter anderem am unteren Lungenlappen - konnte aber „durch eine Operation gerettet werden“, heißt es in der Anklageschrift. Auch der angeschossene 23-Jährige musste im Krankenhaus operiert werden, „die Ärzte haben gesagt, ich habe Glück, dass ich noch lebe.“

Der Angeklagte soll auf dem Gelände gelebt haben. Er leitete über Jahre den Wertstoffhof im Lennetal.
Der Angeklagte soll auf dem Gelände gelebt haben. Er leitete über Jahre den Wertstoffhof im Lennetal. © Alex Talash | Alex Talash

Die Tatwaffe wurde nur kurz nach der Tat von Kriminalbeamten auf dem Firmengelände gefunden. Bei der Waffe handelt es sich um eine Walther 7,65 mit 50 Schuss Munition. Eine von der Kammer veranlasste Untersuchung des Angeklagten durch einen psychiatrischen Sachverständigen habe bisher, so das Gericht, keine Hinweise auf eine Einschränkung der Schuldfähigkeit ergeben.

Für den Fall sind weitere Verhandlungstermine vor dem Schwurgericht angesetzt, bei denen weitere Zeugen gehört werden sollen. Unter anderem der schwer verletzte 48-jährige Mitarbeiter des Wertstoffhofes.

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