Hagen. Ein Gutachten sagt, dass der Hagener Rettungsdienst in Teilen nicht leistungsfähig ist. Vor allem fehlt in allen Bereichen viel Personal.
Im Zuge der Affäre rund um die gefeuerte leitende Notärztin der Stadt Hagen, die offenkundig grundlos für drei Jahre bei vollen Bezügen (rund 300.000 Euro) zuhause bleiben soll, war bereits deutlich geworden, dass es im Hagener Rettungsdienst Probleme geben muss. Zumindest soll dies nach WP-Informationen immer wieder durch die in Ungnade gefallene Notärztin bei der Feuerwehrleitung deutlich angesprochen worden sein.
Der nun fertige Rettungsdienstbedarfsplan, der zwei Jahre überfällig ist, deckt die Mängel auf. Unter anderem heißt es: „Die Analysen zeigen defizitäre Abdeckungen des Einsatzgebietes vor allem im Bereich der Notfallrettung ohne Notarzt auf.“ Und: Der Rettungsdienst sei „vorgabemäßig nicht leistungsfähig“.
Hilfsfristen werden kritisch betrachtet
Es hapert gemäß Gutachter in Hagen gleich an mehreren Stellen. Drei Notarzt-Einsatzfahrzeuge (NEF) sind in der Stadt stationiert: an der Feuerwache Mitte in Wehringhausen, an der Feuerwache Ost in Hohenlimburg und bislang am nun geschlossenen Johannes-Hospital in Boele. Dazu kommen sechs Rettungswagen: Wache Mitte, Wache Ost, in Vorhalle, am Tücking, am Mops und in Dahl.
In den Kernbereichen - den dicht besidelten Bereichen der Stadt - müssen Rettungswagen oder Notarztfahrzeuge binnen acht Minuten vor Ort sein. Außerhalb der Kernbereiche gelten zwölf Minuten. In den Kernbereichen klappt das in Hagen laut Gutachten „nur“ in etwas weniger als 90 Prozent der Fälle. In den Außenbereichen zu über 90 Prozent.
Hohenlimburg ein Teil des Problems
Die Standorte der Fahrzeuge, das arbeiten die Gutachter heraus, erfüllen nur teilweise die Anforderungen. Externe Standorte - in Nachbarstädten beispielsweise - vermögen das nicht auszugleichen.
Besonders trifft es das „östliche Gebiet südlich von Hohenlimburg“. Gemeint sind beispielsweise die Ortsteile Oege und Nahmer. Und der Hagener Norden. Feuerwehrchef Veit Lenke stellt den Rettungsdienstbedarfsplan aktuell in den politischen Gremien der Stadt vor. In der Bezirksvertretung Hohenlimburg stellte er angesichts der räumlichen Schwachstellen die unverzügliche Errichtung zweier Rettungswagen-Standorte in Aussicht: an der Kreuzung Rüttstraße/Hagener Straße in Boele (wegen des geschlossenen Johannes-Hospitals) und an der Gasstraße in Hohenlimburg. „Standorte sind schon gefunden“, so Lenke.
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Ziele seit 2018 dauerhaft verfehlt
Für Notärzte selbst sieht das Gutachten eine angemessene Eintreffzeit von 13 Minuten vor. Auch das wird in Hagen nur in unter 90 Prozent der Fälle erreicht.
Die genannten Ziele werden bereits seit 2018 dauerhaft verfehlt. Die Einsatzzahlen der Notarzt-Fahrzeuge könnten überdies sinken, wenn in Hagen ein Telenotarzt-System zeitnah eingeführt würde. Insgesamt stellen die Gutachter auch einen „sinkenden Trend im Bereich der Erreichungsgrade“ fest. Also jenen Teil der Einsätze, bei denen die Hilfsfrist (acht Minuten) und die Funktionsstärke eingehalten werden.
Daneben fehlt es an Fahrzeugen und vor allem auch an Personal. Ingesamt sollen Notarzteinsatzfahrzeuge künftig 24 Stunden vorgehalten werden können. Das ist bislang nicht der Fall. Auch ein weiteres Tages-Notarztfahrzeug soll geprüft werden.
Die Wochenstunden der Rettungswagen müssen angesichts der Lage von 1292 auf 1656 erhöht werden - knapp 400 Stunden mehr pro Woche. Für all diese Maßnahmen braucht es dringend qualifizierte Menschen. Und in diesem Bereich gibt es die wohl größten Probleme. Es fehlen laut Gutachter über 40 angestellte Notfallsanitäter, knapp sieben Rettungssanitäter und zehn Rettungshelfer.
Es fehlt massiv an Personal
Bei den Notfallsanitätern wird die eigene Ausbildung den Bedarf kaum decken. 2024, 2025 und 2026 starten je zwölf davon die Ausbildung. Mit Neueinstellungen sollen bis Ende 2026 43 Notfallsanitäter der Stadt neu zur Verfügung stehen. Feuerwehrchef Veit Lenke dazu: „Wir brauchen dringend weiteres Personal. Andere Kommunen schlafen ja auch nicht“, deutet er den scharfen Abwerbungs-Wettbewerb unter den Städten an. Hagen hatte zuletzt viele Notfallsanitäter verloren.
Dann sagt Lenke noch einen Satz, den Rettungs- und Sicherheitsbehörden verwenden, wenn die Situation Sorgen bereitet: „Ich bin zuversichtlich, dass wir vor die Lage kommen.“ Dass der Rettungsdienstbedarfsplan 2017 nicht nach den vorgeschriebenen fünf Jahren aktualisiert wurde, begründet Lenke mit dem damaligen Gutachter: „Der hat zeitverzögert geliefert. Ein erstes Ergebnis wurde nicht von den Kostenträgern getragen.“ Der aktuelle Gutachter werde die Stadt vier Jahre weiter begleiten und jährlich überprüfbare Indikatoren liefern.
Staatsanwaltschaft prüft noch
Seit dem letzten Rettungsdienstbedarfsplan habe sich der Personalbemessungsfaktor laut Verwaltung wegen unterschiedlicher „Arbeits- und Ausfallzeiten, der starken Auslastung der Rettungsmittel, durch Beurlaubungen und die erforderliche Aus- und Weiterbildung bei gestiegenen Qualifikationsanforderungen erhöht.“ Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Bei den Nicht-Beamten im Hagener Rettungsdienst sind die Ausfallzeiten deutlich höher als in anderen Kommunen: 102 Tage pro Jahr, 38 davon durch Krankheit, während es bei den Beamten im Rettungsdienst nur 86 Ausfalltage und 20 durch Erkrankung sind. Ein deutliches Anzeichen der Überlastung.
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Derzeit prüft die Hagener Staatsanwaltschaft weiter, ob in dem Fall der gefeuerten Notärztin alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Einen beim Arbeitsgericht angesetzten Gütetermin hatten beide Parteien platzen lassen und sich außergerichtlich geeinigt. Nach WP-Informationen soll in der ausgehandelten Kündigung von „betriebsbedingten Gründen“ die Rede sein.
Der beschriebene und große Personalmangel - übrigens auch im Verwaltungsapparat des Rettungsdienstes - steht dem konträr gegenüber. Der Rettungsdienst schrumpft nicht - im Gegenteil: Er muss dringend wachsen. Die Stadt ließ alle Anfragen dazu, ob man die Notärtzin wegen ihrer Beharrlichkeit in dieser Sache loswerden wollte, unbeantwortet. Die Betroffene, die aktuell in einem Krankenhaus in einer Nachbarstadt arbeitet, ebenso.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft befinden sich noch immer in einer formalen Vorprüfung, ob überhaupt ein strafbarer Anfangsverdacht besteht und deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden müsste. Die Staatsanwaltschaft hat die Betroffenen bislang nach WP-Informationen nicht befragt.