Hagen. Ada Pellert verlässt im Dezember Hagen und die Fernuni. Wie die Rektorin über ihre Zeit in der Stadt und die Debatte um ein Kunstwerk sagt.
Am 1. Dezember ist Schluss. Dann tauscht Fernuni-Rektorin Ada Pellert Hagen gegen Klagenfurt. Fernuni gegen Alpen-Adria-Universität. Die Ferne gegen die Heimat. 15 Monate vor ihrem Vertragsende verlässt sie Deutschlands größte Universität und wird für die nächsten vier Jahre Rektorin in Klagenfurt. Dass Pellert geht, hatte diese Zeitung bereits berichtet.
Bevor Sie sich selbst auf die Schulter klopfen dürfen: Was haben Sie in acht Jahren an der Fernuni nicht geschafft?
Auf bundespolitischer Ebene wird leider immer noch nicht verstanden, dass wir eine Einrichtung von nationaler Bedeutung sind. Wir sind bundesweit tätig mit einem anderen Studienmodell. Die Hochschulwelt blickt aber vor allem auf die Präsenzunis in den Bundesländern. Der Bund zieht sich darauf zurück, dass Bildung Ländersache sei und unterstützt nicht genug.
Aber was hat das mit ihnen zu tun?
Mir ist es – wie meinen Vorgängern - nicht ausreichend gelungen, den Bund als Gesprächspartner dazu zu bewegen, sich intensiver mit der Fernuniversität zu befassen. Es gab Kontakte, die konnten wir aber nicht vertiefen.
Was konnten Sie hingegen umsetzen?
Mir ist es gemeinsam mit dem Rektorat gelungen, die Forschung zu stärken. Von der Zahl der Forschenden her sind wir ja eine kleine Uni. Dafür ist es gut gelungen, zusätzliches Geld hereinzuholen, zum Beispiel für fakultätsübergreifende Forschungsschwerpunkte zur Digitalisierung von Hochschullehre und Arbeitswelt. Ich bin froh, dass ich eine wichtige Wegstrecke der Fernuni erfolgreich mitgestalten konnte. In Abschiedsstimmung bin ich aber noch nicht.
Sie hatten sich auf die Fahne geschrieben, in die Stadtgesellschaft hineinwirken zu wollen. Das ist etwas, was man häufig hört, wenn wichtige Führungsfiguren Stellen in Hagen antreten. Hat das geklappt?
Wir als Fernuniversität und auch ich persönlich haben uns sehr für die Stadtentwicklung engagiert. Das ist kein einfaches Pflaster und viele Verantwortliche in Hagen haben keinen leichten Stand. Aber die Universität hat sehr viele Aktivitäten für die Stadt und mit der Stadt verwirklicht, zum Beispiel den „politischen Salon“ oder das NDW-Festival. Dafür haben wir und ich sehr gute Rückmeldungen aus der Stadtgesellschaft und auch Preise bekommen.
Sie haben sich in einer Sitzung des Unisenats sehr kritisch uns gegenüber geäußert. Anstoß war die Debatte um das hinter einer Milchglasscheibe verborgene Bild von Hans Slavos, das eine barbusige Kaffeepflückerin zeigt.
Dazu stehe ich auch. Das war kein „Kunst-Skandal“, sondern medial skandalisiert. Wie es uns dann aber gelungen ist eine vernünftige Diskussion über ein historisches Werk mit gesellschaftspolitisch problematischem Inhalt zu führen, das war gut. Mit 150 Zuhörern bei uns in der Uni. Eine Stadtgesellschaft muss den Beitrag ihrer Uni, andere Perspektiven einzubringen und zum Lernen aufzufordern, da auch aushalten können. Und vielleicht stellt ja nun doch das Stadtmuseum das Bild aus.
Was kann Ihnen realistisch bis zum 1. Dezember noch gelingen?
Ich will die Campusentwicklung in Hagen vorantreiben. Im September eröffnen wir den „Immersive Collaboration Hub“. Ein physischer Ort zum Entdecken von Technologien der Virtual und Augmented Reality. Man kann mit einer VR-Brille z.B. durchs Mittelalter laufen, wenn man es will. Eine neue Lernerfahrung und nach Chat GPT ein nächster wichtiger Meilenstein für die Lehre der Zukunft. Und wir beziehen am 22. April unseren Neubau für Psychologie.
In den sind Millionen geflossen. Aus dem Uni-Umfeld heißt es, dass tatsächlich nur eine räumliche Auslastung von 10 bis 20 Prozent auf dem Campus herrschen soll. Der Rest der Büros soll leer sein. Gerade Corona soll das Homeoffice an der Fernuni hochattraktiv gemacht haben. Und dann noch ein Neubau. War das ein Fehler?
Nein, denn es gibt kein Raumüberangebot auf dem Campus. Die Fakultät für Psychologie betreut mehr Studierende als jede andere psychologische Fakultät in Deutschland und braucht dringend ein eigenes Gebäude. Wie an jeder anderen Universität sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler meist Dienstag, Mittwoch und Donnerstag vor Ort. Zudem haben wir als Fernuni ja auch wenige Studierenden auf dem Campus, das war aber auch schon vor Corona so. Was wir tatsächlich brauchen, sind andere Nutzungskonzepte. Wir haben eher noch das Problem, dass wir einen großen Raum für 500 bis 600 Personen bräuchten, um große Veranstaltungen durchzuführen, die auch die Stadt beleben würden. Dafür fehlen im Übrigen auch entsprechende Hotelkapazitäten in der Nähe. Im Herbst wird die Kreishandwerkerschaft auf den Campus ziehen. Und wir holen die Hochschulübergreifende Fortbildung NRW, deren Geschäftsstelle an der Fernuniversität ist, auf den Campus.
Die Digitale Hochschule hat Hagen während ihrer Amtszeit indes verlassen.
Die DH.NRW ist eine zentrale Einrichtung aller 42 NRW-Hochschulen, deren Geschäftsstelle ich 2017 ja überhaupt erst an die Fernuniversität nach Hagen gebracht habe, als ich DH.NRW-Vorsitzende wurde. Bei solchen Einrichtungen ist es normal, dass mit dem Amt der Vorsitzenden auch der Sitz der Geschäftsstelle wechselt, und sieben Jahre war ein ungewöhnlich langer Zeitraum für ein solches Ehrenamt. Ich habe mich sehr engagiert für diese wichtige NRW-Einrichtung.
Sie galten von Anfang an in der Öffentlichkeit als digitale Vorreiterin. Mit ihrer Mitgliedschaft im Digitalrat der Bundesregierung sind Sie regelrecht beworben worden. Was entgegnen Sie jenen Kritikern aus der Uni-Kulisse, die sagen, davon habe man gar nichts gespürt?
Wer das sagt, hat vielleicht eine zu einfache Vorstellung davon, wie man Digitalisierung in großen Institutionen umsetzen kann. Das ist nämlich nicht einfach. Die einen wollen, dass alles so bleibt wie es immer war. Den anderen geht es nicht schnell genug. An einer Uni muss man möglichst alle Leute mitnehmen. Ich glaube, vor allem in ihrem Lehr-/Lernmodell hat die Uni in meiner Zeit große Fortschritte gemacht.
Das beantwortet nicht ganz die Frage: Ist ihnen ein zu großer Ruf vorausgeeilt?
Was meinen Ruf angeht: Das müssen andere beurteilen. Digitalisierung ist vor allem ein Prozess. Viele Veränderungen werden auch an der Oberfläche nicht sichtbar, oder nicht gleich. Wissen Sie, worüber wir im Digitalrat der Bundesregierung die meiste Zeit gesprochen haben? Darüber, wie die Verwaltung anders arbeiten kann und muss. Da geht es vor allem um Mindset und Organisationsentwicklung. Da drückt man nicht auf den Knopf und alles ist digitalisiert. Auch in der Universität hat Digitalisierung vor allem mit Veränderungen in allen Bereichen zu tun – in der Forschung, in der Lehre und in der Verwaltung. Überall dort hat sich die Fernuniversität in den letzten Jahren auf den Weg gemacht. Aber wenn man den ordentlich beschreitet, dann sind das keine Prozesse, die von jetzt auf gleich an ihr Ziel kommen – das wissen Sie sicher aus Ihrer Redaktion. Man muss sich nicht nur mit Technik befassen, sondern auch viel über Inhalte sprechen – in unserem Fall über das Lernen der Zukunft. Und wir forschen auch ganz viel zu verschiedenen Aspekten der Digitalisierung.
Corona bescherte ihnen ein großes Studierenden-Plus. Das ist aber wieder abgeflacht. Ist von dem Boom nichts geblieben?
Was die Studierendenzahlen angeht, erleben wir jetzt eher die Rückkehr zur Normalität, das heißt das starke Wachstum flachte wieder ab. Und jetzt sehe ich mit Freude, wie wir wachsen. Als eine der ganz wenigen Hochschulen in NRW. Das liegt daran, dass wir uns nicht nur um die weniger werdenden 19- und 20-Jährigen raufen, sondern alle Altersschichten bedienen. Und wir sind nicht, wie die privaten Fachhochschulen, auf Profit ausgelegt. Wir sind eine stolze staatliche Einrichtung. Organisatorisch hat der Boom bei uns vor allem einen Digitalisierungsschub in der Verwaltung ausgelöst, denn die war auf Präsenzbetrieb geeicht. Hier haben wir viele gute Neuerungen eingeführt und beibehalten.
Stolz, aber finanziell auf Kante genäht, oder?
Das muss ich zugeben: Es gibt Luft nach oben, was die Grundfinanzierung durch das Land NRW angeht. Trotz aller eingeworbenen Forschungsgelder: Das strukturelle Defizit ist nicht behoben. Wir haben eine Kapazitätsrechnung, nach der dürften wir eigentlich nicht so viele Studierende haben. Wir sind da gut 15.000 Studierende über den Durst. Wir haben zuletzt die Gebühren erhöhen müssen und alle Studierenden sind zum Glück mitgegangen.
Das strukturelle Defizit ist kein Pappenstiel. Es fehlen Qualitätsverbesserungsmittel in Millionenhöhe.
Die Landesregierung hatte in ihr Koalitionspapier aufgenommen, dass die Fernuni genauso Qualitätsverbesserungsgelder bekommt wie andere Unis auch. Jetzt sind aber Finanzen knapp. Die Ministerin wartet auf frisches Geld und der Finanzminister sagt, man müsse Gelder umverteilen. Unser Schmerz ist: Das Land bekommt vom Bund für unsere Studierenden viel Geld, reicht es aber nicht weiter.
Über was für ein Delta sprechen wir?
Es wären 29 Millionen Euro, wenn wir so bedient würden wie andere Unis.
Wovon auch Personal bezahlt wird, oder? Es sollen allein 70 Planstellen in der Verwaltung unbesetzt sein.
Das sind Stellen, die noch im Stellenplan stehen, das ist richtig. Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Es ist, gerade in unserem Bereich, ein „War of talents“. Die jungen Leute haben viele Optionen in der freien Wirtschaft. Aber ich sehe auch eine Renaissance des öffentlichen Sektors.
Es fehlen ja auch Professorinnen und Professoren.
Auch das stimmt, liegt aber nicht an uns, sondern an den knapp bemessenen Landesmitteln. Unser Betreuungsschlüssel ist nicht optimal. An Präsenzunis betreut ein Professor/eine Professorin bis zu 150 Studenten. Bei uns sind es 700. Das ist nicht gut.
Müssten Sie das Geld nicht einklagen? Wäre das nicht ein Zeichen?
Meiner Meinung nach wäre das nicht der richtige Weg. Wir müssen einen Einstieg auf Gesprächsebene in dieses Thema kriegen. Eine Klage bringt uns da nicht weiter.
Am 15. November beginnt das Jubiläumsjahr. 50 Jahre Fernuni. Zwei Wochen später verabschieden Sie sich.
Aber es war mir wichtig, mich trotzdem stark ins Jubiläumsjahr einzubringen. Unser „Dies Academicus“, die Ehrung der besten Absolventinnen und Absolventen wird bereits im November im Jubiläumsformat stattfinden. Der Ministerpräsident kommt.
Der kommt sicher nicht zu einer Feier, deren Finanzierung nicht steht?
(lacht) Nein. Und die Finanzierung und ein schönes Programm stehen, keine Sorge.
Haben Sie in Klagenfurt schon etwas gefunden?
Ja, ich habe mir schon eine Wohnung organisiert. Ich hoffe darauf, dass auch mein Lebenspartner sich mit Klagenfurt anfreunden wird. Er ist Finne.
Wird Ihnen irgendetwas an Hagen fehlen?
Die Natur hier ist schon ein besonderes „Asset“. Das ist ein großer Pluspunkt. Als ich herkam, haben mir Bekannte gesagt: „Hagen ist gut. Von da aus bist du überall schnell in ein paar Minuten“. Ich hielt das erst für eine komische Form des Stadtmarketings. Heute begreife ich, was gemeint war. Die schnelle Erreichbarkeit von Wald und Natur und die zentrale Lage der Stadt in einer wichtigen Region