Hagen. Die Fernuni Hagen schickt sich an, einen großen Wurf beim „Smart Learning“ zu machen, der die universitäre Welt, wie wir sie kennen, verändert.
Die Corona-Pandemie hatte der Fernuniversität, Deutschlands ohnehin größter Universität, ein Studierendenplus von 25 Prozent eingebracht. Fernlehre und „Blended Learning“ – also Netz- und Präsenzlernen in Kombination – boomte und die Fernuni war mit dem was sie kann gefragter denn je. „Die 25 Prozent sind wieder weg“, sagt Rektorin Ada Pellert. Doch das Wachstum und der Zulauf in bestimmten Bereichen der fernuniversitären Welt mit ihren über 60.000 Studenten sind enorm. Das hat auch mit „Catalpa“ zu tun. Und mit der Tatsache, dass es für die Transformation der Bildung kein besseres Echtzeit-Labor als die Fernuni gibt.
Zweite Etage, Gebäude 9, Blickrichtung Fleyer Wald. Das Büro von Ada Pellert, die über „Catalpa“ spricht. Das steht für „Center of Advanced Technology for Assisted Learning and Predictive Analytics“. Eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Fernuni. Rund 60 Forschende arbeiten interdisziplinär zusammen, um die Transformation der Bildung hin zu mehr Digitalität, personalisiertem Lernen, adaptiven Systemen und künstlicher Intelligenz mit evidenzbasierten Erkenntnissen zu untermauern und in der Praxis voranzutreiben.
Das „Wie“ ist entscheidend
„Ich muss immer wissen, welcher Inhalt zu welcher Form passt“, sagt Ada Pellert. Sie selbst gehörte noch zu jener Studenten-Generationen, die mit 800 Menschen in einem Audimax saß und frontal von einem Professor unterrichtet wurde. Diese Art des Präsenzstudierens ist nicht aus der Mottenkiste, sondern Realität an deutschen Präsenzuniversitäten. „Aber nur, weil sich alle Menschen auf einem Campus befinden, geschehen nicht gleich wunderbare Dinge“, sagt Pellert und will sagen, dass das „Wie“ des Lernens den Unterschied macht – nicht das Wo.
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Zahlreiche Gelder für Forschungsschwerpunkte konnte die Fernuni zuletzt gewinnen. Nicht nur „Catalpa“, sondern auch der Bereich „Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit“ sei wichtig. Der stark nachgefragte weiterbildende Masterstudiengang Umweltwissenschaften umfasse rechts-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Aspekte als auch natur- und ingenieurwissenschaftlichen Aspekte. „Wir arbeiten da auch deutlich mit der Berufserfahrung von den Leuten oder passen das Angebot an das an, was der Markt benötigt. Wir müssen in Zukunft noch stärker von den Lernenden aus denken.“
Man kann Volljurist werden
Die Uni habe es mit großer Hartnäckigkeit – aber vor allem auch, weil sie es geschafft habe, dass „Blended Learning“ kein Qualitätsverlust, sondern eine zukunftsgewandte und vor allem passende Art des Studiums sei – hingekriegt, dass die juristische Staatsprüfung im Fernstudium möglich wird. „Da sind wir sehr stolz darauf. Man kann bei uns Volljurist werden. Das und die starke Nachfrage zeigt, auf welch richtigem Weg wir sind, wie ich finde.“
Die in das „Denken in einer Disziplin“ einführenden Bachelor-Studiengänge hätten angesichts dieses Zeitgeistwandels in der Lehre weiter hohe Relevanz. „Aber nicht für jeden ist es wichtig, sich zunächst noch mal Grundlagen aus der Antike beispielsweise einzuverleiben. Das Studienangebot muss viel stärker noch zum Studierenden passen. Das ist der entscheidende Denkhebel“, sagt Pellert. Künstliche Intelligenz sei darüber hinaus kein Thema, das mit Argwohn, sondern als Chance gesehen werde.
„Künstliche Intelligenz eine Chance“
Gerade beispielsweise mit Blick auf das im Vergleich zu Präsenzunis ungleiche Verhältnis zwischen Professoren und Studierenden. „An den Präsenzunis sind es rund 100 Studierende pro Professor. Bei uns sind es 700. Wenn wir neben allen wichtigen persönlichen Begegnungen künstliche Intelligenz so klug einsetzen, dass zum Beispiel ein Teil der persönlichen Beratung davon übernommen werden kann, dann wäre das eine weitere Qualitätssteigerung“, sagt Ada Pellert. Deshalb setze die Uni auch strategisch nicht darauf, bewusst zu schrumpfen, sondern durch Erfahrungen im „Blended Learning“ und in der Bildungstechnologie die Entwicklungen klug und stetig mitzugehen.
Vor zwei Herausforderungen sieht Pellert die Uni derweil weiterhin. „Wir müssen uns noch stärker sichtbar machen für die Generationen unter unserem Durchschnittsstudenten, der 35 ist. Auch Schulabgänger müssen in unseren Fokus. Ja, man muss ziemlich gut organisiert sein als Fernstudent, aber man kann mit der Ressource Zeit ganz anders umgehen als an einer Präsenzuni, wo doch sehr viel Zeit in klassische Vorlesungen investiert werden muss, und man muss sich nicht an den Ort binden, sondern kann auch einen Auslandsaufenthalt machen.“
Den Campus beleben
Darüber hinaus blickt Pellert auf den gerade wieder wachsenden Campus, wo ein Neubau für die boomende Fakultät Psychologie entsteht. „Der Campus ist nicht sehr belebt. Sicher, das liegt in der Natur der Sache, wenn man eine Fernuni ist, aber wir müssen dennoch darüber nachdenken, wie wir bestimmte Zielgruppen für kurze Zeiträume auf den Campus kriegen, um hier zu arbeiten, zu forschen und ganz einfach zu wirken.“ Die alte Raumstruktur – die Fernuni besteht ja zu Teilen noch aus ehemaligen Verwaltungsgebäuden – gebe das schlecht her. Die Hoffnungen liegen auch in der Multifunktionalität des Neubaus der gerade entstehe.