Ennepetal. Wolfgang ist trockener Alkoholiker. Seine Alkoholsucht hat der Ennepetaler jahrelang geleugnet. Wie die Krankheit sein Leben beeinflusste.
Einen Monat lang kein Alkohol trinken – das ist das Ziel des Social Media Trends Dry January. Bundesregierung, Blaues Kreuz, zahlreiche Krankenkassen sowie viele weitere rufen dazu auf, im Januar komplett auf Alkohol zu verzichten. Zwei trockene Alkoholiker aus der Ennepetaler Gruppe der Anonymen Alkoholiker sehen zwei Seiten beim Trend.
Dry January: Trockene Alkoholiker aus Ennepetal sehen Vor- und Nachteile
„Ich bin da zwiespältig, was den Dry January angeht“, erklärt Wolfgang. Der Ennepetaler ist Anonymer Alkoholiker (AA). Deswegen möchte er in dieser Zeitung – ebenso wie sein Freund Peter – nur mit dem Vornamen erscheinen. Der kurzzeitige Verzicht auf Alkohol hat für ihn eine besondere Bedeutung. „Wenn ich einen Monat nichts getrunken habe, war das ein sehr gutes Argument für mich. Dann habe ich gesagt, dass ich kein Alkoholiker bin, weil ich aufhören kann“, erinnert er sich.
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Trotzdem findet er den Trend nicht schlimm, denn es sei auch „eine gute Möglichkeit, auf die Problematik hinzuweisen.“ Das sieht Peter ähnlich, auch er besucht regelmäßig die Treffen der Anonymen Alkoholiker in Ennepetal. „Jeder Tag, den man keinen Alkohol trinkt, ist ein Gewinn“, erklärt Peter. „Für die Gesellschaft ist es schon ein Vorteil, es kann nur gesund sein.“ Aber auch er gibt zu bedenken, dass das Problem damit nicht beseitigt werde.
Erste Therapie des Ennepetaler Alkoholikers
Um über sein Leben und sein Verhältnis zum Alkohol zu erzählen, hat Wolfgang sich vorbereitet. Auf einem kleinen Zettel hat sich der 68-Jährige stichpunktartig notiert, was ihm wichtig ist. Peter sitzt neben ihm, um ihm beizustehen. „Ich habe öfter aufgehört, Alkohol zu trinken, aber immer wieder angefangen“, erzählt Wolfgang. „Ich hatte Angst, dass ich bei den jungen Mitarbeitern nicht mehr mithalte und dass meine Frau sich von mir trennt.“
Aus diesen Sorgen heraus sei er in Therapie gegangen: „Da hat sich dann herausgestellt, dass meine Ex schon lange einen neuen hatte. Sie hatte es mir nur nicht gesagt, weil sie Angst hatte, dass ich mich zu Tode saufe.“ Kurz darauf sei eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt. Wolfgang hatte das Gefühl: „Mein Problem ist gelöst.“ Dass er Alkoholiker war und sich sein Problem nicht auf mögliche Trennung und Kündigung beschränkte, war ihm damals noch nicht klar.
Anfänge des Alkoholkonsums beim Ennepetaler
Dabei hatte er lange Zeit nicht mehr Alkohol getrunken als andere. Kurz vor seinem 30. Geburtstag habe er dann geheiratet, beruflich sei er im Außendienst und für einige Mitarbeitende zuständig gewesen. „Da war ich gestresst“, erinnert er sich. „Wenn ich abends nicht schlafen konnte, dann habe ich ein oder zwei Flaschen Bier getrunken. Irgendwann wurden es drei. Und dann vier.“
„Wenn ich abends nicht schlafen konnte, dann habe ich ein oder zwei Flaschen Bier getrunken. Irgendwann wurden es drei. Und dann vier.“
„Da habe ich dann einen Spruch von meiner Ex bekommen: Du trinkst zu viel.“ Er habe das damals abgewiegelt. „Gönnst du mir das nicht? Dafür bringe ich auch das Geld ins Haus“, habe er geantwortet. „So war ich da drauf.“ Dann fing er an, seinen Alkoholkonsum zu verschleiern. Nach einer halben Flasche Bier sei er mit einer Ausrede ins Arbeitszimmer gegangen, um Schnaps zu trinken. „Und wenn ich dann wieder hochgekommen bin, habe ich drei Schlucke Bier getrunken und gedacht, meine Ex merkt es nicht. Aber mir war nicht klar, dass ich Alkoholiker bin.“
Ennepetal: Outing als Alkoholiker
Wann ihm klar wurde, dass er Alkoholiker ist, weiß er nicht genau. Daran, wie er es jemandem erzählt hat, erinnert er sich jedoch: „Das erste Mal habe ich mich beim Sport als Alkoholiker geoutet. Das auszusprechen ist am Anfang schwer.“ Jeder, dem Wolfgang erzählte, dass er trockener Alkoholiker sei, sei jemand, der ihm helfen könne. Aber es sei auch jemand, in dessen Ansehen er fallen könne, wenn er wieder anfange zu trinken.
Aufgehört zu trinken habe Wolfgang erst, als es körperlich nicht mehr anders gegangen sei. Das bedeutet: Er habe gezittert und hatte Schweißausbrüche. „Ich brauchte morgens mindestens ein Wasserglas Rum, bis ich wieder eine Tasse an den Mund führen konnte.“
Weg zum trockenen Alkoholiker
Während er über seine Hochzeiten als Suchtkranker erzählt, sitzt er im Raum der Anonymen Alkoholiker im Ennepetaler Wichernhaus. In diesem Raum fühlt er sich besonders wohl. „Unsere Gruppe ist meine Lebensversicherung“, sagt er. Die Gruppe habe ihm auch aus seiner Sucht herausgeholfen: „Als ich das erste Mal dazu gekommen bin, habe ich noch getrunken.“ Die erste Zeit als er trocken gewesen sei, sei er jeden Abend in eine Gruppe gekommen.
„Ich brauchte morgens mindestens ein Wasserglas Rum, bis ich wieder eine Tasse an den Mund führen konnte.“
„Ich habe in der Zeit und in der Gruppe vieles lernen können, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht“, sagt Wolfgang. Langsam fand er auch einen Weg zurück ins Arbeitsleben: „Ich war ein dreiviertel Jahr arbeitslos und habe dann eine neue Stelle bekommen, die war aber auf ein halbes Jahr befristet. Dabei habe ich weniger verdient, als ich Arbeitslosengeld erhalten habe.“ An seiner nächsten Stelle konnte er 18 Jahre bleiben. „Dort habe ich nichts Technisches mehr gemacht, sondern Menschen geholfen. Ich konnte Dinge lernen, die ich in meinem früheren Leben nicht hätte erleben können“, freut er sich. Als er dort anfing, war er 48 Jahre alt. Heute ist er 68.
Techniken zum Umgang als trockener Alkoholiker
Besonders die erste Zeit ohne Alkohol sei jedoch schwierig gewesen. Allein im täglichen Leben gab es für ihn viele Herausforderungen: „Ich habe mir einen Lebensmittelladen gesucht, wo man nicht so leicht Alkohol kaufen konnte“, erinnert er sich. „Ich habe nur an einer besonderen Tankstelle getankt, weil man da keinen Schnaps bekommen konnte.“
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Bei sozialen Kontakten habe er sich Unterstützung bei Freunden gesucht, die ihm beigestanden hätten, wenn ihn jemand zum Mittrinken aufgefordert habe. „Am Anfang bin ich nur mit dem Auto zu Feiern gefahren, weil ich das als Argument nutzen konnte, nichts zu trinken.“ Die erste Zeit sei vor allem von Neid geprägt gewesen. Mittlerweile habe sich das geändert: „Heute ist mir das egal. Das macht mir alles nichts mehr aus.“
Die Anonymen Alkoholiker Ennepetal treffen sich jeden Mittwoch um 19 Uhr im Wichernhaus, Ennepetal-Büttenberg, Buchenstraße 13. Weitere Informationen zur Gruppe gibt es bei Wolfgang unter 0176/43302930 und bei Peter unter 0172/1094090.