Schwelm. Amprion präsentiert Trassenpläne in Schwelm – Reaktionen des Netzbetreibers, der Stadt und der Bürgerinitiative.

Mehr als 300 Menschen kamen am Montag zur Infoveranstaltung des Netzbetreibers Amprion ins Leo-Theater. Die Warteschlange der Bürger, die sich über die Ausbaupläne der bestehenden 110 Kilovolt (KV)-Hochspannungsleitung von Hattingen über Schwelm nach Wuppertal-Linde informieren wollten, war bereits vor Beginn der Veranstaltung um 17 Uhr meterlang. Mit einem solchen Andrang schien Amprion nicht gerechnet zu haben. Weil die angemieteten Räume schnell zu voll wurden, musste eine Einlasskontrolle eingerichtet werden. Die Bürger wurden dann nur noch nach und nach ins Innere des Leo-Theaters eingelassen. Die lange Wartezeit verärgerte viele Teilnehmer.

Im Gespräch mit der Redaktion erklärte Projektsprecher Andreas Lehmann am Montag die Gründe für den Ersatzneubau der Stromtrasse. Ersatzneubau bedeutet, dass die neue Höchstspannungsverbindung mit 380 KV weitestgehend im Bestand der jetzigen Stromtrasse gebaut werden soll. „Wir haben eine veränderte Angebots- und Nachfrage-Situation auf dem Strommarkt“, erklärte Lehmann die Gründe dafür. „Wir gehen weg von fossilen Kraftwerken. Es gibt erneuerbaren Strom, den wir von Nord nach Süd transportieren müssen. Der andere Grund ist, dass die regionale Versorgungssicherheit sichergestellt werden muss.“

Amprion-Projektsprecher Andreas Lehmann (rechts) stellte sich den Fragen der Bürger.
Amprion-Projektsprecher Andreas Lehmann (rechts) stellte sich den Fragen der Bürger. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

25 Amprion-Mitarbeiter beantworteten Fragen

Bereits vor zwei Jahren lud Amprion zu einer Infoveranstaltung ein, um über das geplante Trassenprojekt aufzuklären. Seitdem ist bei vielen Bürgern der Widerstand gegen die Planung gewachsen. „Der Unterschied zu damals ist, dass wir jetzt mit der technischen Entwurfsplanung an die Öffentlichkeit gehen. Wir sind noch relativ früh im Verfahren“, sagte Lehmann. Auf Kritik von Seiten der Bürger sei Amprion vorbereitet. Der Netzbetreiber war mit knapp 25 Mitarbeitern vor Ort, um Fragen zu beantworten. Auf Schautafeln zeigte das Unternehmen Entwurfspläne, Bilder sowie Erklärtexte. Zudem wurden Infobroschüren verteilt.

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Zur Kritik zahlreicher Bürger sagte Andreas Lehmann: „Immer wenn man öffentliche Infrastruktur errichtet, hat man auf der einen Seite das Interesse der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite muss diese Infrastruktur irgendwie errichtet werden. Dafür gibt es entsprechende Regularien und Gesetze in Deutschland.“ Das Projekt sei von einem übergeordneten Interesse und Amprion setze es den Gesetzen entsprechend um.

Sorge um gesundheitliche Folgen

Zu der Sorge von Bürgern, dass die Höchstspannungsleitung in Schwelm gesundheitliche Folgen für die Menschen im näheren Umfeld haben könnte, sagte Lehmann: „Wir haben in Deutschland knapp 38.000 Kilometer Freileitung im Höchstspannungsbereich. Egal, wo man in Deutschland baut, gelten identische Grenzwerte.“ Hierbei gelte das Bundesemissionsschutzgesetz. „Diese Grenzwerte sind für uns bindend und man muss sie im Genehmigungsverfahren nachweisen. Dahinter steht eine entsprechende Expertenkommission, die diese Grenzwerte festlegt.“

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In Bezug auf die Forderung, statt einer neuen Höchstspannungsleitung Erdkabel für die Stromverteilung zu legen, erklärte Lehmann: „Wir sind als reguliertes Unternehmen an Gesetze gebunden. Es ist so, dass dieses Vorhaben Nummer 64 im Bundesbedarfsplangesetz ist. Dort wird explizit angeführt, welche Projekte als Pilot für Erdkabel realisiert werden können und welche nicht. Und das Projekt Hattingen-Linde wird nicht angeführt. Das heißt, wir haben keine Rechtsgrundlage, das als Erdkabel umzusetzen.“

Für Neubauten gelten andere Regeln

Das Projekt „Hattingen - Linde“ ist ein Ersatz-Neubau. Im Falle eines reinen Neubaus gelten zum Beispiel in Bezug auf Abstände zur Wohnbebauung allerdings andere Regeln als im Falle von „Hattingen - Linde“. Das bestätigt Andreas Lehmann: „Die gesetzliche Regelung ist so, dass für Ersatz-Neubauten andere Abstände gelten. Die gesundheitlichen Themen werden über die Grenzwerte geregelt. Das heißt, egal, wo sie sich neben oder unterhalb der Trasse aufhalten, müssen wir diese Grenzwerte einhalten. Die Abstände für Neubauten zur Wohnbebauung im Landesentwicklungsplan NRW sind lediglich eine raumordnerische Planungsvorgabe.“

Zum weiteren Vorgehen erklärte Netzbetreiber Amprion im Vorfeld der Veranstaltung am Montag, dass die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren Ende 2025 bei der Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde eingereicht werden sollen. „Erst dann können wir auf Basis der Detailplanung genauere und damit verbindlichere Angaben zu den Maststandorten geben. Der Baustart ist aktuell für 2028 geplant, der Abschluss der Bauarbeiten für 2033“, erklärte Andreas Lehmann.

Dr. Harald Schloßmacher, Vorsitzender des Vereins Energievernunft Schwelm, im Gespräch mit interessierten Bürgern.
Dr. Harald Schloßmacher, Vorsitzender des Vereins Energievernunft Schwelm, im Gespräch mit interessierten Bürgern. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

Laut Amprion befinde man sich auch im Austausch mit der Bürgerinitiative Energievernunft Schwelm. Der Verein, der mittlerweile knapp 150 Mitglieder hat, war am Montag mit einem Infostand vor dem Leo-Theater ebenfalls vor Ort, um aufzuklären und weitere Mitstreiter gegen das Trassen-Projekt zu gewinnen. Vereinsvorsitzender Dr. Harald Schloßmacher freute sich, dass so viele Bürger zu dem Infoabend gekommen sind. „Wir haben im Vorfeld schwer die Werbetrommel gerührt. Amprion wird sich heute Fragen gefallen lassen müssen.“

Fragen, mit denen besorgte Bürger auf den Verein zugingen, seien zum einen, ob es überhaupt sein müsse, eine solche Leitung durch ein dicht besiedeltes Gebiet zu bauen. „Gibt es da keine Alternativen?“, gab Schloßmacher eine der Fragen wieder. „Und genau diese Alternativen fordern wir.“

Bürger fürchten Wertminderung ihres Eigentums

Eine weitere Sorge sei eine mögliche Wertminderung von Grundstücken und Häusern. „Wenn Ihr privates Haus überspannt wird und Sie dadurch einen riesigen Wertverlust erleiden, der bis zu 80 Prozent betragen kann, hat man natürlich Verständnis dafür, dass die Leute sagen: ,Das will ich auf keinen Fall‘“, sagte Schloßmacher.

Der Verein befinde sich in der Terminfindung mit Amprion, um über die Pläne zu sprechen. „Wir sind offen für diese Gespräche.“ Gleichzeitig sei der Verein skeptisch: „Die Erfahrungen anderer Bürgerinitiativen, die auch mit Amprion zu tun haben, geben uns nicht allzu viel Hoffnung.“

Weil der Verein ehrenamtlich arbeite, sei er auf mehr Hilfe angewiesen. „Wir haben das Glück, Ingenieure in unseren Reihen zu haben, die technische Fragen klären können. Wir haben auch Juristen. Dennoch braucht man ein Fach-Knowhow und das müssen wir bezahlen. Deshalb sind wir auf Spenden angewiesen.“ Einige seien zum Glück bereits eingegangen, sodass der Verein Fachanwälte für Verwaltungsrecht bezahlen kann. Aber: „Wenn nächstes Jahr das Planfeststellungsverfahren anläuft, werden wir einen richtigen Schub an Beratung brauchen, damit wir uns da richtig aufstellen.“

Der Kontakt zur Stadt Schwelm sei bislang sehr gut. „Die Stadt hört uns zu, und wir verbalisieren die Wünsche der Bewohner“, sagte Schloßmacher. „Ich denke, dass auch die Stadt diese Leitung quer durch die eng bewohnten Gebiete nicht haben will. Und deswegen, so schätze ich das ein, steht die Stadt an unserer Seite.“

Schwelms Bürgermeister Stephan Langhard machte sich bei der Infoveranstaltung von Amprion selbst ein Bild und sprach mit Bürgern über das Projekt und ihre Bedenken.
Schwelms Bürgermeister Stephan Langhard machte sich bei der Infoveranstaltung von Amprion selbst ein Bild und sprach mit Bürgern über das Projekt und ihre Bedenken. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

Schwelms Bürgermeister Stephan Langhard machte sich am Montagabend selbst ein Bild der Infoveranstaltung. Zu dem Ansturm an interessierten Bürgern sagte Langhard: „Das ist ein starkes Signal der Bevölkerung.“ Man könne deutlich sehen, dass das Thema Umspannwerk und Höchstspannungsleitung die Menschen in der Stadt bewege. „Ich bin sehr froh, dass die Menschen hier sind und dass man Flagge zeigt und deutlich macht, dass die Bürger Fragen haben und sich Sorgen um die Gesundheit und das Eigentum machen.“

In Bezug auf die Energiesicherheit in der Region sagte Langhard: „Diese Sicherheit hatten wir auch in der Vergangenheit. Tatsächlich ist die Energiewende ein nationales Thema, das sehe ich auch so. Aber die Frage ist nicht die, ob die Energiewende kommt, sondern in welcher Art und Weise.“

Langhards Forderung an Amprion lautete dann auch, über die Nutzung anderer Wege nachzudenken. „Es gibt die Variante über Opladen oder, zumindest in Teilen, ernsthaft zu prüfen, inwiefern eine Bodenverkabelung möglich ist, um den Großteil der Stadt zumindest ein Stück weit zu entlasten.“

Natürlich könne sich Amprion auf die entsprechende Rechtslage zurückziehen, dass das nicht Teil ihres Auftrages sei. „Ich glaube, dass da auch politischer Druck aufgebaut werden muss, um dieses Fenster zumindest zu eröffnen.“ In einem Hochtechnologie-Land wie Deutschland müsse es möglich sein, solche Auswirkungen auf die Bevölkerung zu vermeiden.

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