Dortmund. Brände, Unfälle, Partys: Die verlassene Sprengstoff-Versuchsanlage im Dortmunder Norden war ein beliebter „Lost Place“. Jetzt ist Schluss.
Abschied von Dortmunder Lost Place: Sprengstoff-Testanlage abgerissen
„Fuck you! Das war der beste Lost Place!“ Diese Worte sprechen Bände. Achtlos hingesprayed auf einen Bauschutt-Container sind sie der beste Beweis dafür, wie beliebt dieser Ort war. Bei Kindern. Bei Teenagern, bei jungen Erwachsenen. Bei Fans verlassener, vergessener Orte – aber vor allem bei Menschen, die nur auf wilde Zerstörungswut aus sind.
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Und genau das wurde der alten, verlassenen Sprengstoff-Testanlage im Dortmunder Norden jetzt zum Verhängnis: Die Scherereien und das Risiko, das etwas passiert, waren einfach zu hoch. Der „Lost Place“ wird abgerissen. „Es hat immer wieder gebrannt, fast jedes Wochenende gab es Partys, Feuerwehr und Polizei waren so oft da“, erklärt Peter Hauser. Er ist Geschäftsführer der Zünderfabrik Sobbe direkt nebenan. Der Sobbe-Stiftung gehört das Gelände mit der alten Explosions-Anlage.
Lärm und Vandalismus in Dortmunder Lost Place: „Immer wieder zugemauert“
„Wenn‘s nur das Gucken gewesen wäre. Darüber hätte man ja reden können. Aber die sind einfach reingegangen, haben Heizkörper durch die Fenster geworfen, Kung-Fu-Übungen gemacht und die Wände eingetreten“, sagt Hauser. Einmal habe er bei seiner Hunderunde zwei Mädchen beim Graffiti-Sprayen ertappt. „Wir üben doch nur“, hätten sie gesagt. „Zuhause können wir das nicht. Und hier ist doch niemand.“ Stimmt schon, kaputt machen konnte man hier nichts. Aber was Peter Hauser ärgert: „Das war für die völlig normal, dass die hier aufs Gelände kommen.“ Auch Partys gab es oft. Lärm machen konnte man ja ordentlich, ohne jemanden zu stören. Einmal musste die Polizei sogar einen illegalen Rave mit 100 Leuten auflösen.
Immer wieder ließen Sobbe-Chef Peter Hauser und Stiftungsvorsitzender Dr. Michael Kohler das Gelände sichern. „Wir haben mehrfach die Zäune geflickt, die Fenster verrammelt, die Türen zugemauert, haben überall Schilder aufgestellt – aber die haben das als Wettbewerb gesehen und am Tag danach die Mauern wieder eingerissen“, schildert Hauser. Ein Security-Team wäre für das ansonsten nutzlose Areal zu teuer gewesen. „Aber Schilder interessieren niemanden.“
„Ich bedauere den Abriss. Ich denke immer: ‚Du warst auch mal Jugendlicher.‘“
Am Ende sei es einfach zu gefährlich geworden: „Da sind ja immer Leute auf den Flachdächern rumgeturnt. Und wenn mal ein Kind vier Stockwerke tief stürzt, sind wir in der Haftung. Die Verantwortung will niemand tragen.“ Als im Mai 2024 ein Teenager in einem Aufzugschacht feststeckte und von der Feuerwehr befreit werden musste, war allen Verantwortlichen endgültig klar: So geht‘s nicht weiter.
Es blieb nur der Abriss. 750.000 Euro für acht Gebäude, billiger ging es nicht. Anfang November rückte in Hostedde schweres Gerät an, im März ist der Lost Place endgültig lost. „Ich persönlich bedauere das sehr“, sagt Stiftungsvorsitzender Kohler. „Ich finde das eigentlich schade, weil ich mir denke: ‚Du warst auch mal Jugendlicher, du warst bestimmt genauso‘.“
Aber ebenso wie Geschäftsführer Hauser findet auch Stiftungs-Chef Kohler deutliche Worte: „Eine Juristin hat mir gesagt: Wenn was passiert, bist am Ende immer du Schuld.“ Den finanziellen Schaden übernehme zwar die Versicherung, „aber nicht den moralischen. Wenn sich jemand verletzt, bleibt das an uns persönlich hängen.“
Kein SEK-Training mehr – und keine Chance auf Wohnbebauung
Und was passiert jetzt mit dem Areal? „Wir brauchen Schutzabstände, weil wir mit Sprengstoff arbeiten“, erklärt Sobbe-Chef Hauser. Wohnbebauung ist daher nicht möglich – das Gelände ist quasi tot. „Da dürfen jetzt Bäume wachsen. Und wenn wir uns mal erweitern wollen, hätten wir genug Platz“, so Hauser. Immerhin ist die Zündermanufaktur Sobbe mit ihren 40 Mitarbeitenden hochspezialisiert und weltweit im Geschäft.
Aber komplett ungenutzt bleibt das Gelände nicht. Zwar kann das SEK hier jetzt keine Übungen mehr abhalten, aber die Rettungshunde kommen wieder: Die Schutthaufen bleiben liegen – und ein Rettungshunde-Verein aus dem Ruhrgebiet nutzt das Areal weiter zur Ausbildung.
Dazu diente die „Berggewerkschaftliche Versuchsstrecke“ in Dortmund:
Die Explosions-Versuchsstrecke in Derne entstand schon um 1900. Bei den Sprengstoff-Versuchen, die dort stattfanden, drehte sich alles um den Bergbau. Die Experimente (unter anderem auf einer 200 Meter langen Kohlenstaub-Versuchsstrecke) halfen, Grubenunglücke und Schlagwetter-Explosionen zu verstehen und die Technik weiterzuentwickeln. Bis 2023 wurde hier noch getestet. Zuletzt gehörte das Gelände der Deutschen Montantechnik (DMT), dann der Dekra, bevor die Brache auf Sobbe überging.
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