Dortmund. In Dortmunds Wäldern gibt es keine Hirsche – dafür aber Wildschweine und Waschbären. Ein Jäger erklärt, was in der Stadt geschossen wird.
Nass ist es an diesem Vormittag von oben und von unten, es regnet in Strömen, der Boden ist durchgeweicht. Dennoch sind Spaziergänger, meist mit Hund, im Wald unterwegs, auch ein Mountainbiker kreuzt den Weg und fährt über den schlammigen Trampelpfad. „Dabei muss man sich immer bewusst machen: Wir stehen hier im Wohnzimmer des Wildes“, sagt Jörg Tigges. „Das ist nicht schön für die Tiere.“
In Dortmunds Wäldern wird man keine Hirsche treffen: Damwild gibt‘s nicht, Rotwild auch nicht. Gejagt wird trotzdem. Der Vorsitzende der Kreisjägerschaft Jörg Tigges hat bei einem Spaziergang durch den Kurler Busch erklärt, was und warum in der Stadt geschossen wird. Und wo jetzt auch die Wildschweine wieder ein Problem sind.
Drei Kitzrettungs-Teams helfen den Bauern in Dortmund
Tigges ist jemand, der sich stark macht für das Wohl des Wildes. „Sie leben hier und sie haben einen Rechtsanspruch darauf“, sagt der Anwalt. Viele Jahre hat der Vorsitzende der Kreisjägerschaft in diesem Waldstück gejagt. Es ist einer von etwa zehn Pirschbezirken, die es in den städtischen Wäldern gibt, in jedem davon ist jeweils ein Jäger für das Wild zuständig. „Etwa zwei Prozent der Arbeit macht dabei das Jagen aus“, erklärt Tigges. Der Rest sei Hege. Wildäcker anlegen, Nistkästen aufhängen. Nicht nur mit Stadt und Jagdbehörde arbeiten die Jäger zusammen, sondern auch mit den Bauern. „Wir haben allein drei Kitzrettungs-Teams.“ Sie fliegen mit Wärmedrohnen über die Felder, bevor gemäht wird.
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Retten, um sie dann zu schießen? Tigges kennt die Kritik und winkt ab. Was gejagt werden dürfe, sei genau festgelegt. „Wir schießen nicht alles, was wir sehen. Wir wollen schließlich einen Wald mit Wild“, sagt er. „Aber es geht darum, alle Arten in einem für die Natur verträglichen Maß zu halten.“ Rotwild habe bei uns schließlich keine natürlichen Feinde, ohne Jagd würden sich die Rehe unkontrolliert vermehren. „Dann würden die Kitze verhungern“, betont der 59-Jährige. „Glauben Sie mir, da ist der Tod durch einen Schuss das kleinere Übel.“ Und wenn es einen natürlichen Feind für das Rotwild gebe, dann sei es das Auto. Die Statistik zeigt: Von den 299 Rehen, die in Dortmund im letzten Jahr zu Tode kamen, wurden 124 nicht von Jägern, sondern im Verkehr erlegt.
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Wildschweine haben die Autobahn überquert
Doch nicht nur Rehe werden in Dortmund geschossen, neuerdings können die Schützen auch wieder auf die Jagd nach Schwarzwild gehen. „Seit etwa zwei Jahren haben wir wieder Wildschweine in der Stadt“, weiß Tigges. Die ersten Exemplare hätten offenbar im Süden die Autobahn überwunden und sich im Bereich der Hohensyburg angesiedelt – nicht nur zum Leidwesen der Golfer dort. 15 Stück wurden dort im vergangenen Jahr geschossen. „Wir wollen nicht, dass sie sich ausbreiten.“
Das gleiche gelte auch für die Waschbären, von denen 86 Exemplare erlegt wurden. „Die können eine echte Plage werden“, sagt der Jäger, „die gehen auch an die Mülltonnen.“ Nicht gejagt werden derzeit hingegen Hasen – im Gegenteil. Die Population von Hasen und Kaninchen sei durch Krankheiten in den letzten Jahren dramatisch eingebrochen. Die Jäger hoffen, dass es wieder mehr werden: „Wir versuchen, sie hochzuhegen.“ Und was ist mit dem Wolf? „Das ist in Dortmund bislang eine theoretische Frage.“
Geschossen werden darf rund um die Uhr
Geschossen werden darf in der Jagdzeit übrigens rund um die Uhr, auch nachts. Aber nicht überall. In den städtischen Wäldern ist es noch von den Ansitzen aus erlaubt. Fünf von ihnen stehen im 54 Hektar großen Pirschbezirk im Kurler Busch. Auch von dort sind die Vorgaben für einen Schuss streng. Es darf kein Weg kreuzen, es darf kein Baum im Weg stehen, von dem die Kugel abprallen könnte. „Wir Jäger tragen eine enorme Verantwortung“, sagt Tigges. „Und wir werden ihr gerecht.“ Schließlich gebe es praktisch keine Vorfälle – bei mehr als einer Million Schüsse bundesweit im Jahr.
Dabei werden die Jäger in Dortmunds Wäldern vor besondere Herausforderungen gestellt. Anders als in den großen Revieren in Sauer- oder Siegerland, ist kaum ein Weg mehr als 20 Meter von den Ansitzen entfernt. „Der Wald dient schließlich nicht nur den Tieren als Lebensraum, sondern auch den Menschen als Erholung.“ Das sei gut und richtig, meint Tigges. Er würde sich aber mehr Rücksicht von der Bevölkerung wünschen.
Hunde und Radfahrer sollten auf den Wegen bleiben
Denn das größte Problem für das Wild seien nach wie vor freilaufende Hunde, die die Tiere aufscheuchen und hetzen. „Ach, ich hab gar nicht gesehen, dass da was stand“: Diese Entschuldigung hört Tigges immer wieder. „Natürlich nicht, das Wild versteckt sich“, stellt er klar. Auch Mountainbiker, die querfeldein durchs Gelände fahren und das Wild zur Flucht treiben, seien eine Gefahr. „Auf den Wegen bleiben“, diese Bitte richtet der Vorsitzende der Kreisjägerschaft an Hund, Herrchen und Radfahrer. „Denkt immer dran: Der Wald lebt.“
Kein Altherrenclub mehr
Etwa 1500 Dortmunder sind im Besitz eines Jagdscheins. In der Kreisjägerschäft sind von ihnen etwa 900 aktiv. Doch nur 60 bis 70 jagen auch wirklich in der Stadt, die anderen haben Reviere außerhalb.
Seit Jahrzehnten wächst die Jägerschaft bundesweit. Allein NRW erlebte einen Zuwachs von mehr als fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch bei der Kreisjägerschaft Dortmund gibt es keine Nachwuchssorgen. 30 Jungjäger würden pro Jahr ausgebildet, sagt der Vorsitzende Jörg Tigges, der für die Ausbildung im Landesverband zuständig ist.
Was ihn freut: Die Jagd sei in den letzten Jahren deutlich weiblicher geworden, immer mehr Frauen machten dabei mit. „Wir sind längst kein Altherrenclub mehr.“
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