Dortmund. Miese Überwachungsfotos, pixelige Videos von Verdächtigen: Wo der Computer an seine Grenzen stößt, dreht David Paprocki aus Dortmund richtig auf.
„Doch klar, ich vergesse auch mal was.“ Es scheint fast so, als sei es David Paprocki (46) unangenehm, wenn man ihn für ein Superhirn hält. Aus seinem ungewöhnlichen Talent macht der Dortmunder Polizist keine große Sache. „Meine Frau muss mich zuhause oft genug an Dinge erinnern, die ich mir mal wieder nicht gemerkt habe“, sagt er. Aber eines vergisst der gebürtige Pole nie: Menschen und ihre Gesichter. Ein bewusster Blick reicht – und der Mensch hat sich in Paprockis Gedächtnis gebrannt.
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David Paprocki ist seit 25 Jahren bei der Polizei. Und für seine Arbeitgeberin ist sein Talent Gold wert: Der Kripobeamte ist Superrecognizer (auf Deutsch etwa „Super-Erkenner“). Seit die Dortmunder Polizei 2018 mit einer internen Kampagne „Gesichts-Begabte“ in den eigenen Reihen suchte, hilft er mit seiner Begabung bei der Fahndung nach Verdächtigen – auf Fotos, Überwachungsvideos oder auch im Vorbeigehen in der Stadt. Immer wieder sichtet er (zusätzlich zu seiner eigentlichen Arbeit als Kripo-Beamter) Bildmaterial für seine ermittelnden Kollegen. Schon viele Gesuchte sind der Behörde dank ihm ins Netz gegangen.
Superrecognizer der Polizei Dortmund: Erster Fall auf Klassenfahrt
Etwas Besonderes sei er dadurch aber nicht, sagt er. Was für seine Mitmenschen an Hochbegabung grenzt, ist für ihn schließlich normal. „Ich kenn‘s ja nicht anders.“ Dass irgendetwas an ihm außergewöhnlich ist, war ihm schon als Kind klar: „Ich wusste immer, dass ich eine besondere Fähigkeit habe“, sagt er. „Ich wusste nur nicht, was genau das ist.“
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Der 46-Jährige kramt in seinen Erinnerungen. Der Groschen sei auf einer Jugendherbergs-Fahrt in der 10. Klasse gefallen, sagt er. „Wir haben abends gekickert, und plötzlich war der Pullover eines Mitschülers weg.“ Am nächsten Morgen fiel Paprocki im Frühstückssaal ein fremder Junge aus einer anderen Reisegruppe auf – und ihm war sofort klar: Das ist der Pullover-Dieb! „Als ich das Gesicht gesehen habe, hatte ich sofort im Kopf, wie der Junge immer wieder zum Pullover geguckt hatte.“ Immer mehr verdächtige Details kamen zurück in seinen Kopf. Bewegungen, Blicke, Gesten. Und tatsächlich: Der Pulli lag im Herbergszimmer des verdächtigen Jungen. „Das war mein erster Kriminalfall“, meint der Superrecognizer.
Frisur? Bart? 30 Jahre älter? – Dortmunder erkennt fast jeden wieder
Seitdem hat ihn seine Begabung immer begleitet. Nicht nur bei der Polizeiarbeit, bei der er auch schon Gesuchte zufällig in der Stadt erkannte und Verstärkung rief. Bei der er verzerrte Gesichter auf miesen Überwachungsfotos aus allen Perspektiven besser erkennt als jedes Computerprogramm. Oder bei der er unter zig Verdächtigen auf Tatvideos einen Gesuchten findet – an Bewegungen, Schritten oder kleinsten Gesten. Auch im Alltag lässt ihn die Gesichtserkennung nicht los: So hat er zum Beispiel nach Jahrzehnten einen Mann wiedererkannt, der ihm einmal abseits eines Fußballplatzes begegnet war. „Der hat sich sehr gewundert. Ich hatte ihn ja nur ein einziges Mal gesehen.“ Neuer Bart? Andere Frisur? Bierbauch? Ein 30 Jahre älteres Gesicht? Egal. David Paprocki erkennt fast jeden wieder.
Aber macht so ein Talent im Alltag nicht wahnsinnig? Sprengen die vielen Gesichter, die er jeden Tag sieht, nicht seinen Kopf? „Nein, das passiert schon nicht“, beruhigt David Paprocki. Einfach so im Vorbeigehen werde noch nichts gespeichert. „Ich muss jemanden sehen wollen. Ich muss einen Grund haben, bewusst hinzugucken.“
Film auf Stopp! Superrecognizer erkennt jede Schauspielerin wieder
Einen negativen Aspekt an seinem Talent findet der Superrecognizer dann aber doch: „Meine Frau ist genervt, wenn wir zusammen fernsehen.“ Denn egal, wie klein eine Nebenrolle auch ist – David Paprocki erkennt jeden Schauspieler wieder. „Ich muss dann einfach googeln und wissen, wo ich den schon mal gesehen habe“, erzählt er. Der entspannten Filmabend geht dann erst mit einer Unterbrechung weiter.
Aber das sei eigentlich unwichtig, meint Paprocki. Viel wichtiger ist ihm sein Beitrag bei der Polizei: Er liebt seinen Job auch nach 25 Jahren noch – und das Wichtigste für ihn ist das Lösen von Fällen. „Als Ermittler möchte man die Täter von der Straße bekommen“, sagt er. Und dazu trägt David Paprocki bei der Dortmunder Polizei erheblich bei.