Essen. Im Herbst droht Kitas in NRW wieder eine Krankheitswelle. Das führt zu großer Verzweiflung – und Streit zwischen Eltern und Erzieherinnen.

Kira Fortmann steht auf dem Spielplatz der „Kindervilla“, um sie herum spielen die Kinder Fangen. Viele von ihnen haben verschnupfte Nasen. „Manche Kinder sind seit Tagen erkältet. Und wir haben gerade auch wieder mehr Corona-Fälle“, erzählt die 25-Jährige. Sie arbeitet als Heilerziehungspflegerin und Erzieherin im Fröbel-Kindergarten & Familienzentrum „Kindervilla“ in Essen. Eine neue Krankheitswelle erreicht derzeit viele Kitas an Rhein und Ruhr – und schürt bei Mitarbeitenden und Eltern Sorgen vor der dunklen Jahreszeit. Drohen wie im vergangenen Jahr wieder vermehrt Notbetreuung und Schließungen?

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Für Kira Fortmann ist heute wieder einer dieser besonders stressigen Tage. Der Koch ist krank geworden, was bedeutet, dass sie und ihre Kolleginnen einspringen müssen. „Wir müssen Leute rausziehen, die sich ums Essen kümmern. Die fehlen dann aber wieder in der Betreuung“, sagt sie.

Corona, Magen-Darm, Hand-Mund-Fuß in Kitas: „Irgendwas ist immer“

Fortmann arbeitet seit rund einem Jahr in der Einrichtung im Essener Osten. Dass sie und ihre Kolleginnen den Dienstplan umstellen und improvisieren müssen, sei für sie nichts Neues. Ob Corona, Magen-Darm oder Hand-Fuß-Mund: „Irgendwas ist eigentlich immer“, sagt sie.

Aus ihrer Sicht ist ein großes Problem, dass viele Eltern ihre Kinder krank in die Kita geben. Ob die Kleinen nur erkältet sind oder Corona haben, kann Fortmann nicht überprüfen. Die Eltern sind schließlich nicht verpflichtet, ihr Kind auf das Virus zu testen. „Wir müssen ihnen vertrauen, wenn sie sagen, dass der Test negativ war. Manche Eltern geben aber auch ganz offen zu, dass sie erst gar keinen Test gemacht haben“, erzählt Fortmann.

Eltern geben Kinder trotz Fieber in die Kita

Nicht selten komme es vor, dass Kinder selbst mit Fieber abgegeben werden. Fortmann kann die berufstätigen Eltern verstehen, die oft keine andere Möglichkeit sehen. „Aber wenn die Kinder krank kommen, stecken sie andere Kinder an und auch uns Fachkräfte“, sagt sie. „Wir versuchen, das aufzufangen, aber irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem das nicht mehr geht.“

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Denn das eigentliche, größere Problem ist: Weil der Personalmangel in vielen Kitas weiterhin den Alltag bestimmt, gibt es nicht genug Mitarbeitende, die für kranke Kolleginnen und Kollegen einspringen können. „Wenn ich selbst krank bin, spüre ich einen großen Druck, weil man weiß, dass dann eventuell wieder eine Gruppe schließen muss“, sagt Fortmann.

„Woche der Politik“ in NRW-Kitas

Was brauchen Kitas, um eine verlässliche Betreuung und gute frühe Bildung zu leisten? Das sollen Politikerinnen und Politiker aus NRW während der sogenannten „Woche der Politik“ des „Kita-Bündnis NRW“ erfahren. Dafür laden neben Fröbel noch fünf weitere Kita-Träger bis zum 22. September politische Entscheidungsträger in ihre Einrichtungen ein.

Im „Fröbel-Kindergarten & Familienzentrum Kindervilla“ in Essen-Kray war etwa Frank Müller, Landtagsabgeordneter der SPD für den Essener Nord- und Südosten zu Besuch. Die Fachkräfte und Müller tauschten sich über aktuelle Herausforderungen aus – und waren sich etwa einig darüber, dass das Alltagshelfer-Programm hätte weiter ausgebaut werden müssen. Die sogenannten Alltagshelfer entlasteten während der Corona-Pandemie die Fachkräfte bei alltäglichen Aufgaben, etwa dem Desinfizieren.

Wird es diesen Herbst wieder so schlimm wie im letzten? Mit dieser Sorge wenden sich gerade viele Eltern an sie, erzählt Daniela Heimann vom Landeselternbeirat NRW. „Die ersten Kitas sind schon wieder in der Notbetreuung, die Angst vieler Eltern ist groß“, sagt sie.

Die meisten Eltern wüssten, dass sie ihr Kind nicht krank in die Kita bringen sollen. Der Landeselternbeirat setze sich auch dafür ein, Eltern dafür zu sensibilisieren, welche Folgen das für den ganzen Kita-Betrieb haben könne. Aber manche hätten einfach keine andere Wahl, so Heimann: „Ich weiß von Eltern, die dreimal überlegen müssen, ob sie ihr krankes Kind zuhause betreuen oder doch in die Kita bringen sollen, weil ihre Arbeitgeber Druck machen.“ Viele fühlten sich hilflos und im Stich gelassen.

Kita-Kinder müssten Chance bekommen, sich auszukurieren

Von der Not vieler Eltern weiß auch Maryam Dalir. Sie ist Geschäftsleiterin der „Fröbel Bildung und Erziehung GmbH“ in der Region – und berichtet von teils angespannten Situationen am Kita-Tor. „Wenn wir zum Beispiel sagen müssen, dass wegen Krankheitsständen nur bestimmte Gruppen kommen dürfen, passiert es durchaus, dass Eltern das ignorieren. Wenn sie einfach auftauchen und sagen, sie lassen ihr Kind trotzdem da, ist das nicht nur für die Fachkräfte eine schwierige Situation. Das Kind gerät zwischen die Fronten, was kein schönes Gefühl ist“, sagt Dalir. Es sei wichtig, den Eltern klarzumachen, dass es nicht nur um die Gesundheit der Fachkräfte geht, sondern vor allem um das Wohl des Kindes. Die Kleinen müssten schließlich die Chance haben, sich in Ruhe auszukurieren.

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Dass das viele Eltern vor Herausforderungen stellt, weiß Dalir. Es brauche dringend mehr Personal und Entlastung, etwa durch Alltagshelfer. Doch unter den aktuellen Umständen, so Dalir, sei es nicht auszuschließen, dass im Herbst wieder Notbetreuung droht und Gruppen oder gar ganze Einrichtungen geschlossen werden.

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