Kirchhundem. Mit den ersten Lockerungen ist die Zuversicht zurückgekehrt bei den Gastronomen im Kreis Olpe. Ist das große Kneipensterben schon abgewendet?
Zwei Motorräder sind vor dem Rhein-Weser-Turm geparkt. Ihre Fahrer sitzen auf der Terrasse und genießen die Ruhepause mit frisch gebackenen Waffeln und Kaffee. Eine ganz normale Szene, wie sie jeden Sommer hundertfach stattfindet. Aber in diesen Tagen etwas ganz Besonderes. Nach monatelangem Lockdown dürfen die Gastronomiebetriebe im Kreis Olpe wieder öffnen.
Dehoga-Kreisvorsitzender Bernhard Schwermer ist Wirt am Rhein-Weser-Turm. Im Interview spricht er darüber, wie die Gastronomie nach Monaten des Ausharrens wieder durchstarten will.
Seit einer Woche dürfen Sie wieder Außengastronomie anbieten – und passend dazu gab es nach Wochen endlich wieder traumhaft schönes Wetter: Wie ist der Restart am Rhein-Weser-Turm gelaufen?
Bernhard Schwermer: Am Samstag noch sehr verhalten. Am Sonntag waren wir recht zufrieden. Auch das war kein Tag, nach dem wir in Euphorie verfallen. Aber wir sind natürlich froh, dass wir wieder aufmachen dürfen und unserem Geschäft nachgehen können. Wir wollen Essen und Trinken verkaufen, bei gutem Wetter und auch bei schlechtem Wetter. Und von Letzterem sind wir noch ein bisschen entfernt. Wir müssen jetzt sehen, dass die Inzidenz unter 50 bleibt, damit die Gäste ab nächster Woche dann auch wieder reinkommen dürfen, wenn mal schlechtes Wetter ist.
Wer ist denn motivierter in das vergangene Wochenende gegangen? Die Gäste, die endlich wieder einen Kaffee auf einer Sonnenterrasse oder auch ein frischgezapftes Bier trinken können? Oder die Wirte, die endlich wieder arbeiten dürfen?
Das ist so eine gegenseitige Freude, würde ich sagen. Wir sind froh, dass wir wieder arbeiten dürfen. Unsere Mitarbeiter freuen sich, dass sie wieder einer Tätigkeit nachgehen können. Und natürlich spüren wir diese Freude auch bei den Gästen. Man hat gespürt, und das habe ich schon immer gesagt: Wir sind vielleicht nicht systemrelevant, aber wir sind spaßrelevant.
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In der Außengastronomie gilt derzeit noch die 3G-Regel. Geöffnet ist für Getestete, Geimpfte und Genesene. Wie gut hat das in der ersten Woche nach dem Neustart funktioniert?
Man sieht in manchen Fällen, dass die Vorgaben nicht allgemeinverständlich sind. Wir hatten einige Diskussionen, weil Leute den Selbsttest gemacht haben. Der ist für uns natürlich nicht gültig. Und dann gibt es viele, die sagen: Ja, ich bin doch jetzt einmal geimpft, das muss reichen. Tut es aber eben nicht. Also man hat da im Vergleich zu normalen Zeiten sehr viele Diskussionen. Da merkt man, dass die Verordnungen in den Ministerien nicht für uns gemacht werden, sondern so, dass sie selbst rechtssicher unterwegs sind. Wir haben das am Wochenende dann so gelöst, dass die Gäste, die die 3G-Vorgaben erfüllen, auf der Terrasse sitzen können und die anderen sich eben außerhalb vom Biergarten aufhalten. Das funktioniert, ist hier in der Peripherie und am Rand zum Siegerland aber natürlich eher machbar, als wenn man mitten in der Stadt nur beengten Raum hat.
Auf der anderen Seite hatten Sie durch die Lage vielleicht auch einen Nachteil. Viele Gastronomen haben ihren Lieferdienst oder Abholservice ausgebaut. Das dürfte hier schwierig gewesen sein, wenn die Menschen sich dafür mindestens eine Viertelstunde ins Auto setzen müssen.
Ja, ganz genau. Wir sind aber trotzdem nicht untätig gewesen. Wir haben Fensterverkauf gemacht. Wir sind fast jeden Samstag und Sonntag – bis auf die Wochenenden, an denen ganz schlechtes Wetter war, wo eh keiner hier hochkommt – hier gewesen. Und da hatten wir auch Tage dabei, an denen man sagen konnte: Für zwei Mann war das ein beeindruckender Umsatz. Aber gut, wir brauchen ständigen Umsatz. Wenn Sie einmal in der Woche mit einem guten Umsatz rausgehen und den dann durch sieben Tage teilen, dann hängst du doch wieder in der Krise.
Sie haben die Freude und Erleichterung bei den Mitarbeitern angesprochen. Konnten Sie Ihre Belegschaft halten oder haben sich da einige während des Lockdowns andere Jobs gesucht?
Wir haben Glück, unsere Mitarbeiter sind noch alle da. Da ist keiner abgesprungen. Aber ich kenne genug Kollegen, die richtig arge Probleme haben. Und da eine Lösung zu finden, ist wahnsinnig schwierig. Wir haben ständigen Kontakt zum Arbeitsamt, weil auch wir gerne noch jemanden einstellen würden. Aber keine Chance. Das letzte Mal, dass wir vom Arbeitsamt jemanden vermittelt bekommen haben, ist drei Jahre her. In die Dienstleistungsbranche oder ins Handwerk reinzugehen, ist heute nicht mehr so erstrebenswert. Und gerade wir in der Gastronomie haben ganz komische Arbeitszeiten. Wir müssen immer arbeiten, wenn andere Leute Spaß haben.
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Vor allem in den vergangenen Wochen ist die Ungeduld der Gastronomen ja immer größer geworden. In Schmallenberg hat der Ebbinghof trotz der bestehenden Regeln geöffnet. Haben Sie auch mal mit dem Gedanken gespielt, so ein radikales Zeichen zu setzen?
Nein, das gehört sich einfach nicht. Man kann so einen Alleingang starten, aber man sollte sich im gesetzlichen Rahmen bewegen. Das hat uns und unsere Forderungen auch überhaupt nicht weitergebracht. Zumal der Staat die Gastronomie ja auch unterstützt hat. Letztlich waren gegen das Virus beide Seiten machtlos – sowohl wir, als auch die Politiker.
Über die Staatshilfen wurde viel diskutiert. Dass sie zu spät kommen, dass zu wenig kommt. War das, so wie es gelaufen ist, ausreichend?
Auch das muss man aus zwei Perspektiven betrachten. Wenn man schon vor der Corona-Krise in Schwierigkeiten war, dann haben die sich natürlich während der Krise verstärkt. Und da ist es dann auch, wenn dann das Geld nicht zeitnah geflossen ist, eng geworden. Vor allem in Pachtbetrieben. In so einer Krise fängt eben so ein Bereinigungsprozess statt, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.
Wie umfassend wird dieser Bereinigungsprozess? Wird es ein richtiges Kneipensterben geben?
Wir sind am Anfang davon ausgegangen, dass ein Drittel der Betriebe Insolvenz anmeldet nach dieser Krise. Überraschenderweise ist das so nicht eingetreten bis jetzt. Aber klar, das hat Kneipen mit Sicherheit härter getroffen. Wir konnten ja mit Außer-Haus-Verkauf und ein paar guten Ideen zumindest ein bisschen einer Tätigkeit nachgehen.
Sind in dieser Zeit auch Ideen entstanden, die auch über die Krise hinaus gut funktionieren können?
Da fällt mit zum Beispiel das Wohnmobil-Dinner in Oedingen ein. Aber unser Kerngeschäft ist eben, dass die Leute zu uns reinkommen. Und das muss so selbstverständlich werden wie vor der Krise. Sonst ist unser Geschäftsmodell kaputt.
Sie sind nicht nur Gastronom, sondern auch Lokalpolitiker: Was müssen die Städte und Gemeinden hier im Kreis tun, damit die Gastronomie wieder Schwung aufnehmen kann?
Da hat es ja einiges gegeben, wie zum Beispiel Gutschein-Aktionen. Die Stadt hat Gutscheine gekauft und die dann verteilt. Das ist eine gute Idee, hilft aber auch nur kurzfristig. Ich habe immer gesagt: Das Beste, was die Städte und Gemeinden machen können, ist, uns einfach machen zu lassen.