Hagen. Die Fluten des 14. Juli diktierten den weiteren Rhythmus des Jahres in Hagen. Auch für die Stadtredaktion war dies ein extremer Tag.
Die ganze Nacht schon prasselte der Dauerregen auf die Dachfenster meines Schlafzimmers. Wieder einmal ein Tiefpunkt dieses bislang ohnehin schon klatschnassen Sommers. Natürlich hatten Meteorologen reichlich Niederschläge vorhergesagt. Doch dass der Mittwoch des 14. Juli große Teile der Stadt in einer Starkregenflut sowie den im Anschluss über die Ufer tretenden Flüsse versinken lassen würde, ahnte an diesem Morgen noch niemand, als wie gewohnt gegen 5.30 Uhr mein Wecker klingelte.
Das erste Heulen der Feuerwehr-Sirenen kurz nach Mitternacht hatte ich in Haspe im Schlaf geflissentlich überhört. Doch der Blick aufs Handy um kurz vor 6 Uhr zeigte mir sofort, dass dies kein normaler Redaktionstag werden würde. Der Alarm der NINA-App blinkte auf, bei Facebook und Instagram spülte es mir im wahrsten Wortsinn die ersten Katastrophenfotos entgegen. Wassermassen in Holthausen und in der Nahmer, überspülte Straßen im Volmetal und in Wehringhausen.
Krisenstab tagt ab 3 Uhr in der Frühe
Der Krisenstab der Stadt Hagen (Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr, Enervie, HVG) unter Federführung des Ersten Beigeordneten Christoph Gerbersmann (später Henning Keune) versammelte sich erstmals kurz nach 3 Uhr in der Feuerwache Ost. Der Auftakt zu einer kaum mehr enden wollenden Taktung von Koordinierungsgesprächen zwischen der Einsatzleitung und den immer zahlreicher werdenden Rettungskräften. Bis zum Abend sollten sogar erste Spähtrupps der Bundeswehr hinzustoßen, die die Lage für die am nächsten Tag eintreffenden Bergepanzer und Pionierkräfte peilten.
Nach einem schnellen Frühstück führte mein Weg in die Stadtredaktion in der Schürmannstraße, wo die Frühdienst-Kollegin Laura Handke bereits die Informationswelle sortierte und auf der Homepage für die User die ersten wesentlichen Dinge platzierte. Die an diesem Tag nicht mehr abebbende Masse an Fakten, Hinweisen, Warnungen, Falschmeldungen, Spekulationen, Videoschnipseln, Fotos, Anrufen, Telefonaten, E-Mails und WhatsApp-Nachrichten brachte auch unser Journalisten-Team in Sommerferien-Besetzung an die Grenzen des Machbaren.
Meinen Weg in die City unterbrach ich an der Bachstraße, die sich bereits als reißender Strom präsentierte. Der Wehringhauser Bach hatte sich nicht bloß in die vor der Wiedereröffnung stehende Ausflugsgaststätte „Waldlust“ ergossen. Vielmehr war er nur wenige Meter unterhalb an einem vom Treibgut verstopften Kanal-Einlassschacht über sein Bett getreten und ergoss sich über die Fahrbahn. Klotzige Geröll- und Asphaltbrocken verteilten sich über die Straße, für Autos gab es kein Durchkommen mehr. Mehrere Anwohner sicherten ihre Fahrzeuge auf höher gelegenen Flächen und machten sich zu Fuß auf den Weg zur Arbeit. Andere musste im Laufe des Tages miterleben, dass ihr Pkw von den Wassermassen, die in den durchnässten Berghängen nicht mehr versickern konnten, mitgespült wurde.
In der Redaktion galt es derweil, die Massen an Nachrichten und Eindrücken zu kanalisieren: Was ist jetzt wirklich wichtig für die Menschen, wo liegen die Brennpunkte in der Stadt, welche Infrastruktur funktioniert noch, welchen Service können wir den Hagenern verlässlich anbieten? Alles Wissenswerte berichteten wir kontinuierlich auf der Homepage und auf Facebook in einem Online-Ticker. Den ersten umfassende Gesamtüberblick zur Lage in Hagen lieferte der Krisenstab bei einer Pressekonferenz am Vormittag. „Vom größten Unwetterereignis seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“ war bereits die Rede. Wassermassen jenseits der 200 Liter/Quadratmeter, Hangrutsche, Überschwemmungen, Geröllmassen, abgeschnittene Wohngebiete, geflutete Altenwohnheime, gesperrter Hauptbahnhof, Stromausfälle, zusammengebrochene Kommunikationsnetze und zerstörte Infrastruktur lauteten die Stichworte. Der Foto-Kollege hatte bereits zu diesem Zeitpunkt sein erst wenige Tage zuvor erworbenes Auto aufgeben müssen, weil er beim Filmen und Fotografieren in Holthausen nicht bemerkt hatte, dass sich das Wasser schneller dem Wagen genähert hatte als gehofft – Totalschaden. Einer von vielen. Die Einsatzkräfte in der Leitstelle räumten zu diesem frühen Zeitpunkt schon ein, nicht mehr alle Alarmrufe zeitnah abarbeiten zu können.
Warnung schon zwei Tage vorher
Die erste amtliche Warnung des Landes aufgrund der Meldungen des Deutschen Wetterdienstes hatte die Hagener Feuerwehr bereits zwei Tage zuvor erreicht. Als daraufhin Einsatzleiter Ralph Blumenthal eine erhöhte Ansprechbarkeit des Führungsstabes anordnete, wurde er von den Kollegen zunächst belächelt. Doch das Tiefdruckgebiet „Bernd“ präsentierte an diesem Mittwoch sein grimmigstes Gesicht. In der Krollmann-Arena am Ischeland richtete die Stadt eine Notunterkunft für jene Menschen ein, bei denen sich Gewässer, von deren Existenz bis zu diesem Tag teilweise niemand etwas ahnte, sich einen Weg durch ihre Wohnung gesucht hatten.
Parallel dazu galt es in der Redaktion, sich noch um einen SEK-Einsatz in der Innenstadt zu kümmern. Dort hatte sich ein psychisch kranker Mann in einer Wohnung verschanzt, nachdem er zuvor ein Mädchen belästigt haben soll. Außerdem setzten Staatsanwaltschaft und Polizei für den Nachmittag noch eine Pressekonferenz zu dem Werkstattmord in Breckerfeld an – in den Augen der Ermittler war der Täter identifiziert und es sollte ein öffentlicher Fahndungsaufruf rausgehen. Zwei Extra-Themen, die den Nachrichten-Job an diesem besonderen Tag wahrlich nicht einfacher machten. Als um 17 Uhr die Stadt bei einer weiteren Pressekonferenz in der Feuerwache Ost ein Update der Flut-Gesamtlage skizzierte, war es draußen angesichts der tiefschwarzen Regenwolken schon fast duster – mitten im Juli. Die Sportkollegen hatten – neben knöcheltief überspülten Fußballplätzen – zu diesem Zeitpunkt bereits Fotos von der hoffnungslos überströmten Lenne-Kanustrecke ins Netz gestellt. Es sollte lediglich ein Vorgeschmack auf die stetig ansteigenden Flüsse sein, die inzwischen auch das Wasser aus dem Sauerland nach Hagen trugen.
Rasant steigende Flusspegel
Die Hochwasserwarnungen der Stadt überschlugen sich inzwischen im Stundenrhythmus. Längst hatte sich eine Kombination aus Ennepe und Hasper Bach auch in den Hagener Westen ergossen und die tiefsten Lagen in Haspe überspült. Eine Unterstützungsbitte an die Bundeswehr, die in den nächsten Tagen mit mehr als 200 Landsern anrücken sollte, war längst raus. An der Baustelle der Marktbrücke stauten sich mächtige Baumstämme und Geäst, am Rathaus an der Volme drohte der Fluss aus seinem gemauerten Bett zu treten.
Kurz nach 18.30 Uhr forderte der Krisenstab angesichts weiterer Flusspegel-Prognosen sämtliche Personen auf, die in unmittelbarer Nähe zu den Flüssen wohnen, vorsorglich ihre Häuser sofort zu verlassen, sich in höhere Gefilde zu retten oder zumindest die Obergeschosse aufzusuchen. Denn aus den Tälern rauschten die Fluten eines hundertjährigen Hochwassers auf Hagen und die längst erschöpften Einsatzkräfte und Betroffenen zu.
Volme in der Hagener Innenstadt tritt über die Ufer
Eine Botschaft, die von der Redaktion sofort über sämtliche Online- und Social-Media-Kanäle verbreitet wurde. Und tatsächlich trat am späten Abend dann auch noch die Volme in der City über die Ufer und ergoss sich in die Keller der angrenzenden Wohn- und Geschäftshäuser, des Rathauses, der Shopping-Galerien und flutete obendrein weite Teile von Eckesey.
Als das Team der Stadtredaktion, das neben dem Online-Geschäft zum x-ten Mal die Printausgabe noch einmal aktualisiert hatte, an diesem kaum enden wollenden Redaktionstag nach Hause fuhr, legte sich bereits die Dunkelheit der Nacht über Hagen. Auf der Heimfahrt habe ich es prompt geschafft, völlig ermattet mit gut 40 km/h in den Blitzer in der Finanzamtsschlucht zu rauschen. Ich bekenne: Das dazugehörige Knöllchen hat mich bis heute nicht erreicht. Die Verantwortlichen der Stadt, die in den darauffolgenden Tagen wahrlich an ihre Leistungsgrenzen gerieten, hatten dringlichere Dinge zu erledigen. Eine kleines Stück vom Glück in der großen Katastrophe.