Breckerfeld. Immer wieder hat ein 20-Jähriger auf einen Werkstattbesitzer in Breckerfeld eingestochen. Vor dem Prozessauftakt gibt es Details zur Bluttat.
Es war eine grausame Bluttat, die die Hansestadt erschütterte: Durch 23 Messerstiche wurde der Inhaber einer Autowerkstatt (57) in Breckerfeld in den späten Abendstunden des 6. Juli getötet. Traurig, aber wahr: Gegen den mutmaßlichen Täter hatte das Amtsgericht Iserlohn nur 14 Tage zuvor ein Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung eingestellt.
Ab Dienstag wird sich ein 20-Jähriger aus Hemer vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen verantworten müssen. Er hat sich bislang geweigert, von einem psychologischen Sachverständigen begutachten zu lassen. Und er schweigt eisern zu den Vorwürfen.
Die Anklageschrift
Sie lautet auf Totschlag. Was dem Angeklagten genau zur Last gelegt wird, hat Staatsanwältin Miriam Strunk in neun Textzeilen, die beim Prozessauftakt vorgetragen werden, zusammengefasst: Der Angeklagte sei nach einer mündlichen Auseinandersetzung am Nachmittag des Tattages gegen 23.35 Uhr auf das Gelände der Kfz-Werkstatt an der Egenstraße 37 in Breckerfeld zurückgekehrt. Vor dem Gebäude hätte er dem Opfer in Tötungsabsicht 23 Stich- und Schnittverletzungen versetzt.
Bedingt durch den Blutverlust erlitt der Geschädigte ein Herz-Kreislaufversagen und verstarb noch am Tatort. Der Angeklagte, so der jetzige Vorwurf, hätte „als Heranwachsender einen Menschen getötet, ohne Mörder zu sein.“
Der Angeklagte
Er wurde im März 2001 in einem Dorf in Nordkasachstan, geboren und siedelte mit seinen Eltern bereits als Kleinkind in die Bundesrepublik über. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft. In Iserlohn ging er zur Grundschule, später auf eine Gesamtschule. Danach schnupperte er ins Kfz-Reparaturgewerbe: Zwischen August 2018 und Juni 2020 begann er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker, die er jedoch im zweiten Lehrjahr abbrach.
Zuletzt jobbte er in einer Zeitarbeitsfirma und verdingte sich in mehreren Autowerkstätten als Praktikant oder Arbeiter auf Probe. So stellte er sich auch am 5. Juli bei dem Breckerfelder Werkstattbesitzer vor. Am nächsten Tag durfte er dort einen Probearbeitstag antreten.
Die Vorgeschichte
Es ist der 6. Juli, ein Dienstag. Während seines Probearbeitstages ist der 20-Jährige auch an dem Audi eines Kunden mit EN-Kennzeichen beschäftigt. Dieses Auto gehört dem Onkel des Angeklagten, was später noch einmal wichtig werden sollte. Doch bereits nach wenigen Stunden, am Nachmittag, wird die Probearbeit vorzeitig beendet, weil es zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit dem Werkstatt-Besitzer gekommen ist.
Der 20-Jährige reagiert aggressiv auf seine Entlassung, schmeißt wütend sein Werkzeug in die Schublade. Dann greift er zu einem Hammer aus der Werkstatt, hebt diesen hoch und bedroht den Chef: „Ich lasse mich nicht verarschen.“ Eine Zeugin hört später noch, wie der Angeklagte beim Verlassen der Werkstatt ankündigt: „Das wird Euch noch leidtun, das werdet Ihr bereuen.“
Die verlogene Nachricht
Von den Streitereien in der Firma soll die Mutter des Angeklagten aber nichts erfahren. Um 18.26 Uhr schreibt er ihr eine WhatsApp-Nachricht, dass er in der Werkstatt noch am „Auto Schrauben“ sei. Als die Mutter arglos nachfragt, ob es ihm in der neuen Firma gefallen habe, reagierte er offensichtlich ironisch: „Ja, hat es. Und wie es mir in der Werkstatt gefallen hat!“
Um 18.29 schickte er ihr noch eine Beruhigungs-Nachricht aufs Handy und verspricht: „Ich mache keinen Scheiß mehr.“
Die Tat
Das war gelogen. Tatsächlich kehrt der 20-Jährige laut Anklage, einige Stunden später zur Autowerkstatt zurück: um 23.35 Uhr. Es ist nicht ungewöhnlich für den Firmen-Inhaber, dass er dort noch allein bis in die späten Abendstunden arbeitet. Auf dem Vorhof zum Gebäude – anderthalb Meter neben der blauen Metall-Eingangstür – dann der überraschende Angriff: Mit einem Küchenmesser wird wieder und wieder auf das Opfer eingestochen, Brille und Handy fallen herunter.
Der schwer verletzte Firmen-Chef flüchtet durch die blaue Tür in die Werkstatt, schließt hinter sich ab und wählt den Notruf: Er sei überfallen worden und überall angestochen. Doch noch vor dem Eintreffen der Rettungskräfte stirbt er an seinen inneren Verletzungen. Beim Gerangel mit dem Opfer hatte sich der Täter auch selbst mit dem Messer verletzt.
Die Tatwaffe
Ein Küchenmesser mit schwarzem Plastikgriff, genau 26,5 Zentimeter lang. Klingenlänge 13,5 Zentimeter. Exakt die gleichen Haushaltsmesser befanden sich in der Besteckschublade des Aufenthaltsraums der Auto-Werkstatt. Womöglich hatte der 20-Jährige dort bereits nachmittags die Tatwaffe gestohlen. Zur Spurenauswertung wurden von den Ermittlern später DNA-Abriebe von dem Messer untersucht: Neben der DNA des Opfers wiesen diese die DNA einer unbekannten männlichen Person auf.
Eine Blutspur, die vom Tatort wegführte und von einem Kaffeebecher, den der Angeklagte allein benutzt hatte, stimmten überein. Sie sind identisch mit der DNA aus der Speichelprobe, die dem Angeklagten bei seiner Verhaftung am 5. August in Dülmen entnommen wurde und ein wichtiges Indiz, dass der Angeklagte als den Täter überführen soll.
Die Suchhunde
Um den Fluchtweg des Täters zu rekonstruieren, ließ die Staatsanwaltschaft Hagen mit Unterstützung der Kripo am 10 Juli drei sogenannte „Maintrailing-Hunde“ einsetzen. Diese können eine Spur durch Luftpartikel erschnuppern.
Die Hunde verfolgten verschiedene Geruchsträger. Einer davon war aus dem Stichkanal des Getöteten gewonnen worden, um fremde Geruchspartikel auszuschließen. Alle drei Hunde führten die Ermittler nacheinander immer wieder zu derselben Adresse in Breckerfeld: Dort wohnt der Onkel, an dessen Audi der Angeklagte während seines Probearbeitstages herumgeschraubt hatte. Ein weiteres Indiz.
Der Prozess
Er beginnt am Dienstag, 14. Dezember, und wird voraussichtlich Mitte Februar nächsten Jahres beendet. Verteidiger Martin Düerkop (Iserlohn) hat bereits angekündigt: „Mein Mandant hat im Vorfeld stets zu den Vorwürfen geschwiegen und wird sich auch im Prozess zunächst durch Schweigen verteidigen.“
Als Nebenklägerin tritt die Witwe auf. Ihre Anwältin Heike Tahden-Farhat (Gevelsberg): „Die ganze Familie des Getöteten ist noch immer bis ins Mark erschüttert. Die Witwe sieht sich außerstande, dem Angeklagten gegenüberzutreten.“ Gerichtssprecher Bernhard Kuchler wartet mit einer Überraschung auf: „Die Kammer hat in ihrem Eröffnungsbeschluss darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht kommen könnte.“ Als sonstiger niedriger Beweggrund käme Rache infrage.