Neheim. In Gedenken an Hans Peter Pfeiffer und seine Partnerin Monika Barth, die leider wenige Monate nach diesem Gespräch verstorben sind.
Nachtrag - wenige Monate nach der Veröffentlichung des Artikels: In Gedenken an Hans Peter Pfeiffer und seine Partnerin Monika Barth, die leider wenige Monate nach diesem Gespräch verstorben sind.
Ein Leben auf der Straße
„Links sehen Sie das Schöne dieser Stadt, zur Rechten den gesamten Abschaum“: Worte, an die sich Hans Peter Pfeiffer auch nach rund 20 Jahren noch erinnert. Worte, die er in ähnlicher Form immer wieder hört. Seit mehr als 30 Jahren. Denn er ist einer der Wohnungslosen, die damals auf der rechten Seite des Großen Teichs in Soest sitzen, ein Teil des Abschaums, während die Touristenführerin ihre Gruppe an ihm vorbeiführt.
„Das Gefühl, das wir in diesen Momenten hatten, kommt immer wieder hoch.“
Jetzt, wo er seit sieben Jahren in einer Neheimer Obdachlosenunterkunft lebt, beginnt die bewusste Verarbeitung. Psychisch, aber auch physisch. Rund 25 Jahre lebt er auf der Straße. Schläft unter Brücken, auf Parkbänken. Überall dort, wo er ein wenig sicher ist. Vor dem Wetter, aber auch vor herablassenden Menschen. Und gefährlichen. „Das Gefühl, das wir in diesen Momenten hatten, kommt immer wieder hoch“, sagt der 65-Jährige. Mit „wir“ meint er sich und seine Lebensgefährtin, Monika Barth (58). Auch sie ist seit mehr als 30 Jahren obdachlos. Sie lernten sich vor 36 Jahren auf der Soester Kirmes kennen und sind seither ein Paar.
Zwei Menschen - und das Schicksal vieler
Hans Peter Pfeiffer greift in die Räder seines Rollstuhls. Dreht sich einmal um die Achse - und steht in „der Küche“. Zwei elektrische Herdplatten auf einem ausrangierten Schultisch. Ein Kühlschrank. Mitten im Raum ein Ehebett, ein Schränkchen und ein Sideboard. Das Wohnzimmer? Auch ein alter Schultisch, zwei Stühle. Und alles auf rund 15 Quadratmetern. 173 Euro kostet dieses Zimmer pro Person; bezahlt durch das Bürgergeld. „Wir bekommen Bürgergeld in Höhe einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft“, sagt Hans Peter Pfeiffer, „meine ganzen Verbände und Medikamente muss ich davon natürlich auch bezahlen.“
Dusche und WC im Gemeinschaftsbereich der Unterkunft. „Es ist nicht viel Platz, aber besser als auf der Straße“, sagt er. „Wir sind zu alt für die Straße - und zu krank.“ Mittlerweile schläft er sogar im Rollstuhl. Sitzend. „Wenn ich liege, habe ich noch mehr Schmerzen.“ Alle zwei Tage wechselt ein Pflegedienst seine Verbände. Den Einkauf muss Monika Barth mit ihrem Rollator erledigen.
Er zeigt auf seine Füße. Trotz der dicken Strümpfe schimmern Verbände hindurch. „Ich habe offene Wunden an den Füßen“, sagt Hans Peter Pfeiffer, „und Wasserablagerungen.“ Er habe ein Raucherbein, wie es umgangssprachlich heißt, eine Unterversorgung im Gewebe der Beine. „Um eine Operation komme ich nicht herum“, sagt er. Bislang scheute er sich davor - doch inzwischen überwiegt die Angst vor den Konsequenzen. „Ich möchte nicht, dass das Bein amputiert werden muss.“
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Drei Unterkünfte für Obdachlose zählt die Stadt Arnsberg aktuell. „Darüber hinaus haben wir ein Wohnhaus in Oeventrop gemietet, um dort von Obdachlosigkeit bedrohte Familien unterzubringen“, so Ramona Eifert, Stadtsprecherin. Derzeit sind in den städtischen Obdachlosenunterkünften 76 Menschen untergebracht (56 Männer/Jungen und 20 Frauen/Mädchen). Trotz der städtischen Bemühungen hat sich die Zahl um 18 Personen erhöht (September 2022 lebten in den Unterkünften 58 Menschen).
„Das Leben auf der Straße hat uns früher nicht gestört, wir haben es einfach durchgezogen“, sagt Hans Peter Pfeiffer, „doch mit dem Alter wird das immer schwieriger.“ Er schätzt, dass die beiden gerade einmal drei Monate aushalten würden, verlören sie jetzt ihr Zimmer in der Obdachlosenunterkunft. Denn eine andere Bleibe fänden sie nicht, sagt er. „Jetzt kommen die ganzen Krankheiten dazu, verschuldet durch unseren Lebenswandel.“
„Wir haben nur uns selbst“
Doch wie gerät jemand in die Obdachlosigkeit? „Wir haben voll ins Klo gegriffen“, sagt Hans Peter Pfeiffer. Eigentlich startete sein Leben „bürgerlich“, wie es in der Gesellschaft gerne heißt. Er macht eine Ausbildung, wird Koch. Arbeitet in einem Restaurant und wird später sogar eine Zeit lang der stellvertretende Restaurantleiter. Seine damalige Ehefrau lernt er in dieser Branche kennen.
Sie heiraten, sie wird schwanger. Mehrere Kinder folgen. Doch irgendwann erfährt Hans Peter Pfeiffer, dass nur eines dieser Kinder sein eigen Fleisch und Blut ist. Seine Frau habe ihn jahrelang betrogen, so erzählt er, sogar mit seinem besten Freund. Für Hans Peter Pfeiffer bricht zu diesem Zeitpunkt eine Welt zusammen. Er reicht die Scheidung ein. Beginnt das Saufen - und lernt „falsche Freunde“, wie er sie nennt, kennen. Schnell verfällt er dem Alkohol. „Ich hatte mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Wurde schnell aggressiv - und war mehrere Male im Gefängnis.“ Insgesamt drei Jahre sitzt er ab. Die Familie stößt ihn weg. Er verliert seine Wohnung - und landet auf der Straße.
Auch in Monika Barths Leben ist es die erste Ehe, die sie aus der Bahn wirft. Unter Druck habe sie heiraten müssen, weil sie schwanger war. „So war das früher. Aber dann schlug mich mein Mann“, sagt sie und stockt, „ich habe sogar eine Zeitlang in einem Frauenhaus gelebt.“ Nach dem Frauenhaus landet sie in einer Obdachlosenunterkunft. Eine alte Schule in Hamm, die damals als solche eingerichtet wurde. Ihr Kind zieht zum Kindesvater und entfernt sich von Monika. „Es will keinen Kontakt zu mir.“
Alkohol spielt keine Rolle mehr im Leben von Hans Peter Pfeiffer und Monika Barth. „Ich bin seit 15 Jahren trockener Alkoholiker“, sagt er stolz. „Es ist hart und schwer, aber es soll so bleiben.“ Er will gesundheitlich nicht noch mehr absacken. Seine Freundin habe schon heute Angst, dass er vor ihr sterbe. „Das würde sie nicht schaffen - wir haben ja nur uns selbst.“
Spürbare Ablehnung von allen Seiten
Sie sind Verstoßene der Familie, fallen durchs System. „Aber unsere Würde“, sagt Hans Peter Pfeiffer, „unsere Würde haben und werden wir uns niemals nehmen lassen.“ Sie hätten niemals wie Obdachlose ausgesehen. Hätten regelmäßig geduscht, ihre Kleidung gewechselt.
Auch auf ihren Sozialhilfe-Tagessatz hätten sie größtenteils verzichtet. „Wir wollten kein Geld vom Staat - wollten es selbst schaffen.“ Durchs passive Betteln. „Wir haben die Menschen niemals angesprochen, keine Plakate geschrieben. Wir haben einfach dort gesessen und gewartet.“ Auch Tageslöhner-Jobs habe er angenommen. „Auf Weinfeldern, zum Aufbau auf dem Markt - was auch immer.“ Zwischen 60 und 80 Mark seien dabei damals drin gewesen.
„Unsere Würde haben und werden wir uns niemals nehmen lassen.“
Und dennoch kein Zurück ins Leben? „Nein, wir haben damals keine Hilfe bekommen - die Leute mieden uns“, so Pfeiffer. „Ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung.“ Oft seien sie extrem herablassend behandelt worden - auch in den Sozialämtern verschiedener Städte. „Wir sind von Ort zu Ort gezogen. Haben mal hier und mal dort übernachtet.“ In Leipzig sei es am gefährlichsten gewesen. „Dort wurden wir sogar von Rechten gejagt - wir haben all unser Hab und Gut liegengelassen und sind weggelaufen.“ Ein Sicherheitsgefühl auf der Straße gibt es nirgends, sagt Hans Peter Pfeiffer, aber an manchen Orten sei es besonders gefährlich. Was überall gleich sei, sei die Ablehnung der Menschen. Die Stigmatisierung.
„Es muss klick machen“: Der Wendepunkt im Leben eines Obdachlosen
Ein Grund, warum viele Obdachlose gar nicht mehr „zurück ins normale Leben“ wollen, sagt Pfeiffer. „Die Angst vor der Ablehnung ist zu groß - ebenso wie die Scham.“ Auch die Sucht nach Alkohol oder anderen Drogen hemmt. Letztlich gelingt das nur, wenn es irgendwann - wie eben auch bei ihm und seine Freundin - funkt. „Irgendwann sagte Monika, dass sie nicht mehr kann“, erzählt er, „sie schmiss ihre Tasche einen Abhang hinunter.“ Daraufhin hätten sich die beiden auf den Weg in Monikas Heimat, Arnsberg, gemacht. Und hier sei ihnen auch geholfen worden.
So können Sie obdachlosen Menschen helfen
Hans Peter Pfeiffer (verstorben im Mai 2024) wusste, wovon er sprach - dieser Redaktion gegenüber sagte er, dass ein jeder einem obdachlosen Menschen helfen könne, indem:
- man etwas zum Essen kauft und dem obdachlosen Menschen schenkt (Es muss nicht immer Geld sein!).
- man einen Schlafsack oder eine Decke anbietet (gerade in der kälteren Jahreszeit).
- man Jacken, Hosen, Shirts -einfach Kleidung- verschenkt.
- man ggf. als beratende Person fungiert, sprich Tipps gibt und unterstützt (WICHTIG: auf Augenhöhe, nicht bevormundend und vor allem nicht von oben herab).
- man einfach mal kurz stehenbleibt und sich mit dem Menschen unterhält; vorurteilsfrei und nicht bemitleidend.
- man auf ggf. in der Stadt vorhandene Beratungs-/Unterstützungsstellen hinweist. Locker, nicht bevormundend.
„Es muss klick machen im Kopf, ansonsten kommt man nicht aus dieser Spirale heraus“, sagt Hans Peter Pfeiffer, „der Herzenswunsch nach einem normalen Leben reicht da nicht aus, auch der Verstand muss mitspielen.“ Was einem Obdachlosem auf der Straße am meisten helfen würde? „Kein Geld!“, sagt er, „etwas zum Essen, eine Decke, ein Schlafsack - oder eben auch nur mal ein Gespräch.“ Kein Mitleid - sondern ein Gespräch auf Augenhöhe.
„Wir haben niemals unsere Menschlichkeit verloren“
Denn Menschlichkeit ist das, was sich obdachlose Menschen wünschen. „Auch wir haben niemals unsere Menschlichkeit verloren“, sagt Hans Peter Pfeiffer. Ob es das junge 13-jährige Mädchen gewesen sei, das sie auf der Straße kennenlernten und unter ihre Fittiche nahmen, wie er sagt, oder auch aktuell in der Obdachlosenunterkunft. „Wenn jemand Hilfe braucht und wir helfen können, dann tun wir das auch.“ Aktuell habe er über Facebook ein paar Sachspenden generiert. „Nicht nur für uns, sondern für alle, die hier wohnen.“
Viele Menschen in Arnsberg seien sehr hilfsbereit. „Einmal in der Woche kommt ein Paar vorbei und bringt uns allen frisches Obst und Gemüse“, sagt er, „das ist superlieb.“