Neheim/Berlin. Der Neheimer Christoph Meinschäfer hat Obdachlose in der Corona-Zeit fotografiert. Er berichtet, was er auf den Straßen Berlins erlebt hat.
Es ist die „heiße Phase“ des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie in Deutschland, wie es Christoph Meinschäfer heute beschreibt. Die Republik fährt runter, fast 80 Millionen Menschen im Stillstand.
Doch der Neheimer Fotograf möchte nicht stillstehen: Er plant eine Tour entlang die Bundesstraße 1 von der niederländischen Grenze bei Aachen bis zur polnischen Grenze im Küstriner Vorland, um über die Menschen und das Leben abseits der Straße zu berichten.
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Unterwegs fallen ihm jedoch Tafeln der bundesweiten Aktion „#wirbleibenzuhause“ auf. Promis wie Günther Jauch werben dafür und Christoph Meinschäfer ändert seine Pläne. Im Interview spricht der Neheimer über seine neue Fotoserie „Wie Zuhause bleiben, wenn man kein Zuhause hat?“, wen er auf den Straßen Berlins getroffen hat und Provokation als Stilmittel.
Die Fotoserie
Mit der Fotoserie „Wie Zuhause bleiben, wenn man kein Zuhause hat?“ ist der Neheimer Fotograf Christoph Meinschäfer für den diesjährigen Manufactum Staatspreis NRW nominiert.
Der Manufactum Staatspreis NRW wird alle zwei Jahre vergeben. Der Wettbewerb gehört mit insgesamt 60.000 Euro zu den höchstdotierten Preisen seiner Art in Deutschland.
Sollte er ein Preisgeld gewinnen, möchte Christoph Meinschäfer das Geld an Obdachlosen-Initiativen spenden.
Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite des Fotografen unter www.christoph-meinschäfer.de.
Neheimer Fotograf Christoph Meinschäfer mit neuer Fotoserie über Obdachlose
Wie bist Du auf die Idee gekommen, Obdachlose aus Berlin in der Corona-Zeit zu fotografieren?
Christoph Meinschäfer: Ausschlaggebend war für mich die Aktion des Bundesgesundheitsministeriums „#wirbleibenzuhause“. Dabei haben unter anderem Promis ein Dach über dem Kopf geformt, saßen Zuhause und haben auf das Zuhausebleiben aufmerksam gemacht. Die Kampagne finde ich völlig in Ordnung, doch ich habe mich gefragt: Was ist mit den Menschen, die eine kleine Wohnung haben? Und was machen Menschen, die überhaupt keine Wohnung haben? Wie kommt die Plakatwerbung bei denen an? So gut diese Aktion auch war, wollte ich zeigen, dass es auch Menschen gibt, die dabei hinten runterfallen.
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Wie ging es dann weiter?
Ich habe mich bei einer Freundin aus Köln, die ehrenamtlich in einem Verband für Obdachlosenhilfe arbeitet, über die Situation von Obdachlosen informiert. Sie hat mir erzählt, wie katastrophal die Zustände für die Menschen in der Zeit waren: Die konnten nirgendwo unterkommen, es gab keine Essensausgabe, sie konnten nicht duschen und auch die Touristen fehlten in der Stadt, die mal etwas Geld geben.
Ich bin dann weiter nach Berlin gefahren und habe Kontakt mit einem Hospiz für Obdachlose aufgenommen. Im Gespräch mit dem Chef sind wir dann auf die Idee gekommen, wie verrückt es wäre, wenn wir die Menschen auf der Straße mit der Handbewegung ‘Dach über dem Kopf’ fotografieren, obwohl sie das nicht haben.
Das hat Christoph Meinschäfer aus Neheim auf den Straßen Berlins erlebt
War das als Provokation gedacht?
Ein bisschen, ja. Provokation in dem Sinne, dass Menschen über diesen Punkt nachdenken sollen, dass ich einem Obdachlosen mal einen Euro gebe oder die Hilfsorganisationen unterstütze. Denn vor allem in der aktuellen Zeit brauchen sie Hilfe. Wir machen uns hier verrückt und beschweren uns, dass wir zu Hause sitzen müssen. Aber was passiert an solchen Stellen? Ich könnte natürlich auch fragen, was passiert mit Familien, die in kleinen Wohnungen leben? Aber die Serie mit den Obdachlosen soll exemplarisch zeigen, dass man an jeden Menschen denken sollte.
Wie hast Du das dann umgesetzt?
Ich habe einen Sozialarbeiter eines Berliner Hospizes zu einer Essensausgabe begleitet. Da habe ich dann Matthias getroffen. Er hat mir erzählt, dass er auf einem Friedhof wohne. Er meinte, dass er jeden Morgen um 8 Uhr das Gelände verlassen müsse. Matthias hat eine Absprache mit dem Friedhofsgärtner: Dieser versteckt tagsüber seine Sachen, so dass Matthias dann abends über den Zaun klettern, sich seine Matratze nehmen und sich zwischen die Gräber legen kann. Insgesamt war ich drei Tage lang in Berlin und es war nach dem Gespräch mit Matthias überall die gleiche Situation: Alle hatten Verständnis für mein Anliegen und fanden es gut, dass ihre Lebenssituation gezeigt wird. Alle kannten auch die Kampagne.
Obdachlosigkeit in Arnsberg auch ein Thema
In Berlin ist Obdachlosigkeit präsenter als in Arnsberg. Möchtest Du die Serie auf den ländlichen Raum ausbreiten oder ist das hier eher ein Tabuthema?
Ich habe auch mit der Stadt Arnsberg gesprochen und tatsächlich ist das hier auch ein Thema und es gibt auch hier natürlich Menschen, die sich um Obdachlose kümmern. Solche Bilder sind aber auch immer ein Eingriff in die Privatsphäre und von der Zustimmung der Menschen abhängig. Aber ich möchte die Menschen nicht nur aus Spaß ansprechen, um die Serie fortzuführen. Wir haben die Serie einmalig über die sozialen Medien verteilt und es hat hohe Wellen geschlagen. Für mich ist das jetzt abgeschlossen. Die Serie war auch hilfreich für mich.
Was hast Du persönlich mitgenommen?
Ich habe durch die Serie gelernt, demütiger zu sein und dass man sich nicht mehr so viel über die vermeintlich kleinen Probleme im Leben beschweren sollte.
Wir müssen uns bewusst sein, dass viele von uns sehr privilegiert leben.