Winterberg. Winterberg fühlt sich als Verlierer: Vier Prozent der Fläche sollen für Windkraft gesichert werden. Studie zeigt mögliche Folgen für Tourismus.
Die Hälfte der Touristen würde es nicht stören, wenn in Winterberg Windkraftanlagen stehen würden. Das ist das Ergebnis einer nicht-repräsentativen Untersuchung durch Prof. Dr. Jürgen Schmude von der Ludwig Maximilian Universität München. Sein Thema: Der Einfluss von Windkraftanlagen (WKA) auf die touristische Entwicklung der Region.
Je öfter jemand nach Winterberg kommt, desto weniger will er WKA dort sehen
Im vollen Ratssaal des Winterberger Rathauses stellte der Fachmann für Tourismusforschung die Ergebnisse seiner Analyse vor. Dafür hatte er 806 Touristen befragt. Die Werte von Annahme oder Ablehnung von Windkraft bei den befragten Urlaubern waren in der Umfrage in etwa im Gleichgewicht. Es gab keine stark überwiegende Meinung. Lediglich eine kleine Mehrheit stand WKA positiv gegenüber.
Vorab werde nur von wenigen Urlaubern überprüft, ob WKA am Urlaubsort stehen. Auch würde eine leichte Mehrheit deswegen an ihrem Verhalten nichts ändern. Ebenso wurde in der Untersuchung deutlich, dass das Alter einer Person kaum einen Einfluss auf die Einstellung zu WKA habe. Das Urlaubsverhalten jedoch umso mehr. Je öfter Urlauber an einem Ort seien, desto kritischer seien sie gegenüber WKA. Es wurde also eine Ablehnung gegenüber Veränderung deutlich.
Dennoch sei Urlaubern in Winterberg das Landschaftsbild besonders wichtig. Wenn WKA unvermeidlich wären, dann würden die meisten Urlauber die Anlagen lieber in der Landschaft verteilt sehen. Einzelne Windräder im Abstand voneinander werden gegenüber großen Konzentrationen wie in Windparks bevorzugt.
Handlungsempfehlungen für die Region
Daraus ergeben sich für Prof. Dr. Schmude klare Empfehlungen. Grundsätzlich sollte verstärkt versucht werden Winterberg für jüngere Generationen attraktiv zu machen. Ebenso sollten Besucher, die nicht so oft hier waren, mehr gebunden werden. „Stammgäste sterben aus“, so Prof. Dr. Schmude und es gelte daher, neue Besucher zu binden und zu Stammgästen zu entwickeln.
Auch sei es empfehlenswert, Gäste über Erneuerbare Energien (EE) und Initiativen zu informieren. Die Akzeptanz für WKA steige, wenn EE der Region Vorteile bringen. Einzelne andere Studien würden zeigen, dass es positive Effekte auf Urlauber habe, wenn der WKA-Strom regional konsumiert werde und positiven Einfluss auf die Region habe. Dies könne zum Beispiel über thematische Wanderwege erreicht werden.
„Stammgäste sterben aus.“
Gleichzeitig dazu empfehle sich ein Ausbau von Outdoor-Aktivitäten und eine stärkere Naturorientierung. Dies werde für Urlauber immer wichtiger. Auch Corona habe diese Entwicklungen nochmal verstärkt. Daher sollte das Potenzial, das in der Region besteht, voll ausgeschöpft werden, so der Experte.
2 Prozent von Deutschland, 4 Prozent von Winterberg
Bevor Prof. Dr. Schmude seine Ergebnisse vorstellte, hatte Bürgermeister Michael Beckmann erklärt, in welchem Kontext die Untersuchung in Auftrag gegeben wurde. Das Problem, vor dem die Stadt Winterberg steht, nennt sich Wind-an-Land-Gesetz und trat 2022 in Kraft. Demnach sollen zwei Prozent der Fläche Deutschlands für WKA bereitstehen. Und seither haben Kommunen nicht mehr die Kontrolle bei der Ausweisung von Flächen für WKA.
Das Land NRW wurde verpflichtet, 1,8 Prozent seiner Fläche für Windenergie auszuweisen. Dazu arbeitet das Land eng mit den Bezirksregierungen zusammengearbeitet. Die Bezirksregierung Arnsberg hat einen Regionalplan erarbeitet, der in der aktuellen Version neun Windenergiebereiche für das Stadtgebiet Winterberg vorsieht. Diese umfassen eine Gesamtfläche von 597 Hektar beziehungsweise vier Prozent des Stadtgebiets.
„Winterberg ist ein Verlierer der Regionalplanung.“
Beckmann erklärte, dass WKA nur unter bestimmten Vorbedingungen gebaut werden können. Daher habe die Stadt Winterberg der Bezirksregierung ihre Sorgen über den Einfluss von WKA auf Tourismus vorgelegt. Die Antwort aus Arnsberg sei ablehnend gewesen.
Darum wurde die Untersuchung in Auftrag gegeben. Sie wurde bereits in Arnsberg nachgereicht, aber die Stadt Winterberg erwartet damit keinen Erfolg. Das Verwaltungsverfahren werde laut Beckmann kaum noch beeinflusst werden können. Gesetzesänderungen würden es Kommunen immer weiter erschweren mitzubestimmen. Die Stadt Winterberg setzt jetzt darauf, im politischen Diskurs Veränderung zu bewirken und den Regionalrat zu überzeugen.
Es gibt einen Unterschied zwischen Einstellung und Handeln
Prof. Dr. Schmude verwies in seinem Vortrag darauf, dass WKA und Tourismus ein sehr emotionalisiertes Thema sei. Er selbst komme aus Bayern und dort gebe es nur ein Thema, das so hitzig diskutiert werde wie Windkraft – und zwar Wintersport. In einer solchen Debatte sei es auch wichtig, noch einmal auf die Grenzen seiner Untersuchung zu verweisen.
Es handelte sich dabei um eine Online-Umfrage, die von Mitte Mai bis 15. August durchgeführt wurde. Insgesamt gab es 905 Teilnehmer, wovon 806 Touristen waren. Die übrigen Teilnehmer waren Einheimische, die als Kontrollgruppe verwendet wurden. Nicht jeder Teilnehmer hat jede Frage beantwortet. Eine weitere Umfrage ist nochmals für den Winter geplant.
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Der Fachmann gab zu bedenken, dass durch die zufällige Stichprobe von der Untersuchung nicht die Realität komplett abgebildet werde. Dazu müsste die Stichprobe die Gesamtheit der Touristen widerspiegeln - sowohl hinsichtlich sozio-demographischer Aspekte als auch in punkto Herkunft. Daher seien die Ergebnisse nicht repräsentativ, sondern können nur Strukturen und Tendenzen aufweisen.
Zudem verwies Prof. Dr. Schmude darauf, dass es zwischen der Einstellung eines Menschen und seinem Verhalten oft Unterschiede gebe. Bei einer solchen Befragung würden Leute daher mitunter anders antworten, als sie handeln würden. Einer der Bürger pflichtete ihm nach dem Vortrag bei. In einer Umfrage würde er sagen, dass er nach einer Preiserhöhung nicht mehr in sein Lieblingsrestaurant gehen würde. Tatsächlich würde er es aber dennoch aufsuchen. Nur in der Hoffnung die Preissteigerung abzuwenden, würde er „Nein“ antworten.
Ein kleines gallisches Dorf
Die Bürger begannen am Ende noch eine rege Diskussion und äußerten ihre Sorgen. Obwohl nur eine knappe Mehrheit der Urlauber aufgrund von WKA ihr Verhalten nicht ändern würde, bleibt bei den Winterbergern große Angst. Denn wenn auch nur ein kleiner Teil der Urlauber ausbliebe, hätte das ökonomisch fatale Auswirkungen. Als Tourismus-Region sei man hier auf die Gäste angewiesen, wie Beckmann mehrmals betonte.
Die Bürger brachten noch eigene Beispiele und Erfahrungen vor. Jemand erzählte, dass ihn die WKA in Schleswig-Holstein nicht gestört hätten. Es sei dennoch dort alles ausgebucht gewesen. An anderer Stelle kam Widerspruch. Landschaftlich sei das nicht zu vergleichen. Die WKA seien dort weit weg und man würde sie kaum bemerken. Hier schaue man auf die Hügel und habe sie direkt vor der Nase.
Das Wind-an-Land-Gesetz wird in Winterberg als ein Kampf mit unfairen Mitteln empfunden. Noch im Ratssaal und auch bei Gesprächen vor dem Rathaus wurde mehrmals von Bürgern der Vergleich zu einem kleinen gallischen Dorf gezogen. Die Menschen hier wollen kämpfen, um ihre waldtypische Landschaft zu erhalten. Sie befürchten eine Umzingelung durch WKA.