Thülen. In Thülen schießt ein Mann auf seine Freundin. Jedes Jahr gibt es zehntausende Verstöße gegen das Waffenrecht. Thülen ist kein Einzelfall.
Am 3. September 2023 erschüttert ein Vorfall das kleine Dorf Thülen bei Brilon: Ein Ex-Bundespolizist schießt auf seine Freundin. Es kommt zu einem SEK-Einsatz bei dem der Tatverdächtige in Gewahrsam genommen werden konnte. Nach bisherigen Erkenntnissen befand sich der 38-Jährige zum Tatzeitpunkt in einer psychischen Ausnahmesituation. Er wurde daher inzwischen in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen.
Was zunächst nach einem tragischen Einzelfall aussieht, wirft eine zentrale Frage auf: Woher stammt die Waffe? Wie sich herausgestellt hat, kommt sie aus dem legalen Besitz eines Familienangehörigen des Täters. Doch wie kann das sein? In Deutschland gelten für solche legal im Besitz befindliche Waffen strenge Vorschriften im Waffenrecht. Die Lagerung von Waffen und Munition ist gesetzlich festgelegt und nur mit einer entsprechenden waffenrechtlichen Genehmigung gestattet. Waffenbesitzer sind verpflichtet, für eine sichere Verwahrung zu sorgen. Dabei gilt grundsätzlich: Wer Waffen oder Munition besitzt, muss Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass diese verloren gehen oder unbefugt von Dritten genutzt werden.
Debatte um schärfere Waffengesetze
Fest steht auf jeden Fall, dass eine legal registrierte Waffe, zu einem Tatwerkzeug wurde. Der Umstand wie der Tatverdächtige sich diese aneignen konnte, ist Gegenstand weiterer Ermittlungen. Doch wie häufig ist so etwas der Fall? In der Debatte um schärfere Waffengesetze bleibt oft unklar, ob die in Verbrechen verwendeten Waffen illegaler Herkunft sind oder – wie in Thülen – aus legalem Besitz widerrechtlich entwendet werden. Die Antworten darauf könnten entscheidende Auswirkungen auf den Umgang mit Waffen in Deutschland haben.
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Die Zahlen
Ein erster Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass es im Jahr 2023 insgesamt 36.362 Straftaten gegen das Waffengesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz gab. Davon entfielen 563 Straftaten gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und 35.799 gegen das Waffengesetz. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wurde jedoch nicht erfasst, ob die in Straftaten verwendeten Waffen legaler oder illegaler Herkunft waren.
Auf eine Anfrage hin hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat geantwortet, jedoch konnten keine „Informationen zur Anzahl der Straftaten unter Verwendung legaler bzw. illegaler Schusswaffen“ gegeben werden. Diese seien weder in „der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), im Polizeilichen Informations- und Analyse-Verbund (PIAV) oder im Nationalen Waffenregister (NWR) abgebildet.“ Kurzum: Die Zahlen sind nicht bekannt. Es sei jedoch geplant die Datenlage diesbezüglich zu verbessern.
Aktuell würde diese Datenlage in den Erfassungssystemen nicht ausgewiesen werden, da die Erfassung dieser Daten in zahlreichen Fällen nicht möglich sei. Dies liege an unaufgeklärten Fällen oder solchen in denen die Waffe nicht sichergestellt werden konnte. Daher wäre eine Erhebung zum Status der verwendeten Waffen oft nicht möglich. Die Frage warum die Daten für aufgeklärte Fälle und solche in denen die Tatwaffen sichergestellt wurden nicht ausgewiesen werden, bleibt offen.
Woher kommen illegale Waffen?
Es bleibt die Frage: Woher kommen illegale Waffen? Immerhin konnte auf diese Frage zumindest teilweise geantwortet werden. Ein großer Teil werde „dem legalen Markt durch Diebstahl oder illegale Umbauten/Rückbauten entzogen.“ Ein Blick in die PKS zeigt, dass 2023 in insgesamt 483 Fällen der Straftatbestand des Diebstahls von Schusswaffen erfasst wurde. Zudem seien auch „illegale Eigenbauten und professionelle Totalfälschungen von Schusswaffen festzustellen“, wie uns Dr. Sonja Kock, die stellvertretende Leiterin des Pressereferats, mitteilte.
Ein weiterer Beschaffungsweg sei das Internet. Sowohl im Clearnet als auch im Darknet und über Messengerdienste würde dort ein Handel stattfinden. In der PKS wurden dazu 252 Straftaten gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Waffengesetz festgestellt. Davon sind 22 gegen das Kriegswaffenkontroll- und 230 gegen Waffengesetz entfallen. Dr. Kock sprach von einem Rückgang der Verstöße gegen Waffengesetz „unter Verwendung des Tatmittels Internet“ und führt diese Entwicklung auf den hohen Strafverfolgungsdruck in diesem Bereich zurück.
Auch seien die Betreiber von Webseiten und Messengerdiensten eine Hilfe, da diese die Möglichkeiten, solche Angebote auf ihren Plattformen zu platzieren, einschränken und entsprechende Beitrage löschen würden. Ebenso der Umstand, dass viele solcher Angebote scheinbar in betrügerischer Absicht erstellt wurden, sei hilfreich durch das dadurch entstehende Abschreckungspotenzial. Die Dunkelziffer in diesem Bereich, würde jedoch „trotz der Erfolge bei der Bekämpfung (…) als hoch eingeschätzt“, so Dr. Kock.
Extremisten und psychische Probleme
Im Zusammenhang mit dem Waffenhandel über das Internet wurden von Dr. Kock auch noch die Ermittlungserfolge der Strafverfolgungsbehörden gelobt. Diesen sei es „trotz des hohen Anonymisierungsgrads im Internet und insbesondere im Darknet“ gelungen Tatverdächtige zu identifizieren. Darunter seien „immer wieder auch Personen, die psychisch auffällig sind oder ein extremistisches und verfassungsfeindliches Weltbild verfolgen.“
Die psychischen Probleme waren auch schon bei der Tat von Thülen ein Faktor. Die dort verwendete Waffe war legaler Herkunft. Der Vorfall zeigt, dass nicht nur der illegale Waffenhandel, sondern auch der Missbrauch legal erworbener Waffen ein Problem ist. Welches Problem das größere ist, bleibt eine offene Frage. Es bleibt zu hoffen, dass die Datenlage hierzu weiter ausgebaut wird.