HSK/Winterberg. Mutter-Kind-Kliniken wie St. Ursula Winterberg sind in Finanznot. Gibt es den Willen, sie zu retten? Antworten von Friedrich Merz und Dirk Wiese.
Die Corona-Pandemie hat vor allem Familien an ihre Belastungsgrenzen gebracht. Homeschooling, Lockdowns, Erkrankungen. Die Caritas Brilon betont, dass die zum Teil extremen Belastungssituationen von Familien sich auch in Zahlen widerspiegeln: Um 30 Prozent ist aktuell die Nachfrage in den Beratungsstellen des Müttergenesungswerkes nach Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen gestiegen. Die Anfragen nach Plätzen in Mutter-Kind-Kliniken sind hoch. Doch der Bund lässt die finanzielle Unterstützung, einen existenziellen Schutzschirm für diese Kliniken, auslaufen – trotz steigenden Bedarfs. „Umso mehr schockiert uns der Wegfall des Rettungsschirms für die Kliniken und die Einschränkung bei der Refinanzierung von Hygiene- und Schutzmaßnahmen“, sagt Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon. In Trägerschaft der Caritas Brilon liegen die Mutter-Kind-Kliniken St. Ursula in Winterberg und Talitha in Bad Wildungen.
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Seit Beginn der Covid-Pandemie kämpfen die ohnehin schon „chronisch unterfinanzierten Kliniken um ihre Existenz“, heißt es in einer Mitteilung der Caritas. Rettungsschirme wurden in den vergangenen Jahren nur scheibchenweise verlängert. „Und jetzt drohen die Corona-Hilfen ganz auszulaufen, obwohl Corona noch in der Welt ist“, sagt Caritas-Vorstand Eirund.
Winterberger Klinikleitung will den Müttern mehr Selbstfürsorge beibringen
Klinikleitung Karin Krohn sitzt in ihrem hellen Büro. Sie telefoniert, organisiert. Besorgt nebenbei einer Mutter noch einen Massagetermin. „Danke“, strahlt sie. Und Karin Krohn lächelt zufrieden. Ernster wird sie erst, wenn es um die Belastung der Mütter geht, die in ihre Klinik nach Winterberg kommen. „Frauen haben eine Doppelrolle zu erfüllen. Sie erledigen ihren Beruf und managen eine Familie. Das ist auch heute noch oft Hauptaufgabe der Frauen, denn die Rollenverteilung ist doch meistens klassisch.“ Oft vergessen laut Krohn die Frauen dabei, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen und Grenzen zu ziehen. „Frauen haben die Idee, wenn es der Familie gut geht, geht es ihnen auch gut und irgendwann sind ihre Bedürfnisse dran. Frauen müssen aber lernen, dass sie auch mit Kindern weiterhin auf sich achten müssen.“ In ihrer Klinik sollen die Frauen lernen ihren Perfektionismus aufzugeben und wieder mehr Selbstfürsorge zu betreiben. „Es gibt wenige Modelle in denen die Frau sagt: Ich bin wichtig“, betont Karin Krohn. Politische Strukturen sorgen zusätzlich dafür, dass Frauen die Mütter werden oft Benachteiligung erfahren: ungleiche Bezahlung, ausbaunötige Betreuungsmöglichkeiten, fehlende Zahlungen für die Care-Arbeit. Entscheiden sich Mütter heute dazu, für ihre Kinder nur in Teilzeit zu arbeiten und sich um die Pflegearbeit daheim zu kümmern, bezahlen sie spätestens in der Rente dafür.
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Kliniken testen die Mütter weiterhin freiwillig auf Corona – zum Schutz der Patienten
Politik sorgt nun auch dafür, dass die Mutter-Kind-Kliniken wie St. Ursula vor einer existenziellen Bedrohung stehen. Nach der Pandemie testen die Kliniken weiterhin regelmäßig die Mütter und Kinder, um ihre Patienten und auch die Mitarbeitenden zu schützen. Die Finanzierung der Schutz- und Hygienemaßnahmen ist jedoch zum 1. Juli ausgelaufen. „Der ausgehandelte Rahmenvertrag mit den Krankenkassen ist Geschichte“, schreibt die Caritas Brilon. Die Krankenversicherungen haben ihre Erstattungen eingestellt. „Die Mutter-Kind-Kliniken bleiben damit auf den Mehraufwand-Kosten sitzen“, sagt Ulrich Fliege-Sölken, Fachbereichsleiter Kliniken bei der Caritas Brilon. Auch der Schutzschirm, der bis dato Kurausfälle aufgrund von Covid-Infizierungen bis zu 60 Prozent finanziell ausglich, ist gestrichen worden. Karin Krohn erklärt: „Wenn eine Frau für drei Wochen in eine Kur kommt und nach einer Woche abreisen muss wegen eines positiven Tests, dann bekommen wir für die restlichen zwei Wochen kein Geld.“ Ein echtes Problem. Karin Krohn: „Wieder werden Familien im Regen stehen gelassen. Hier wird sehenden Auges angeschaut, wie Angebote für Familien in die Insolvenz gehen.“ Und auch das betreffe größtenteils wieder Frauen, denn: „Die Mitarbeiterinnen in diesen Angeboten sind Frauen.“
Briloner Caritas-Vorstand geht mit Forderungen an die Öffentlichkeit
„Wir wollen Müttern und Kindern, also Familien helfen. Aber dafür brauchen wir als Träger der Einrichtungen und Anbieter dieser Hilfen auch konkrete, verlässliche Zusagen zur finanziellen Unterstützung. Wir fordern eine Verlängerung des Schutzschirmes. Wir fordern, dass Familien zur Priorität erklärt werden“, fordert Caritas-Vorstand Heinz-Georg Eirund.
Man habe Lärm gemacht, sagt Karin Krohn. Habe die Bundestagsabgeordneten angeschrieben. Mit dem Problem konfrontiert, äußern sich die Politiker auf WP-Anfrage.
SPD: Dirk Wiese betont, es gibt intensive Gespräche für eine Lösung
Dirk Wiese, SPD-Bundestagsabgeordneter, betont, man befinde sich derzeit in intensiven Gesprächen. Der Wegfall des Schutzschirmes sei sehr bedauerlich, „da die Einrichtungen eine immens wichtige Arbeit leisten und durch entsprechend fortlaufende Mehrkosten in eine finanzielle Schieflage zu rutschen drohen, da auch die Krankenkassen keine adäquate zusätzliche Unterstützung gewähren.“ Jetzt sei der Deutsche Bundestag am Zug. „Ich denke dass wir hier zu einer Einigung kommen werden“, so Wiese.
CDU: Friedrich Merz will Änderungsanträge im Gesetzgebungsverfahren einsetzen
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und HSK-Bundestagsabgeordneter, antwortet auf Anfrage: „Über dieses Thema bin ich mit dem Caritas-Verband Brilon im Gespräch. Mir sind die Mutter-Kind-Kliniken auch und gerade in unserer Region aus eigener Anschauung bekannt. Ich kann ihren Wert für die Familien, insbesondere für Mütter mit Kindern in schweren Lebenslagen, bestens nachvollziehen.“ Er werde mit den Fachpolitikern in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion darüber sprechen, wie man mit entsprechenden Änderungsanträgen im Gesetzgebungsverfahren den berechtigten Anliegen der Mutter-Kind-Kliniken auch in Zukunft gerecht werden könne.
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FDP: Cronenberg sieht keine Grundlage für Ausschüttung weiterer Corona-Hilfen
Kritischer gegenüber der Probleme der Mutter-Kind-Kliniken zeigt sich FDP-Bundestagsabgeordneter Carl-Julius Cronenberg. „Fakt ist: In der momentanen Situation gibt es keine Grundlage für die Ausschüttung weiterer Corona-Hilfen. Das Interesse und die Anfragen nach Plätzen in den Mutter-Kind-Kliniken häufen sich nach eigener Aussage des Caritasverbandes. Persönlich kann ich mir nicht vorstellen, dass allein durch pandemiebedingte Belegungsschwankungen sowie kurzfristige Absagen oder Abreisen, Kliniken weiterhin in existenzielle Notlage geraten“, antwortet er auf die Anfrage der Westfalenpost. Dennoch: „Es ist mir jedoch ein wichtiges Anliegen, das Gespräch mit dem Caritasverband und den Mutter-Kind-Kliniken zu suchen, um Lösungen für die derzeitige Situation zu finden und deshalb habe ich bereits um einen Termin gebeten.“ Er betont weiter, dass Mutter-Kind-Kliniken gute und wichtige Arbeit leisten. Der Erhalt dieser Kliniken sei daher essenziell.