Winterberg. „Ich hab nur funktioniert“: Daniela Schenk (45) findet nach einem Schicksalsschlag Hilfe in der Mutter-Kind-Klinik St. Ursula Winterberg.
Aufstehen, funktionieren. Mehr schafft Daniela Schenk nicht mehr. Die 45-jährige Mutter aus Obergurig ist erschöpft. Nicht nur von einem anstrengenden Tag, einer langen Konferenz, einer Diskussion mit dem Teenager. Sie ist erschöpft vom Alltag. Eigentlich vom Leben selbst. Daniela Schenk sucht Hilfe – und findet sie in Winterberg. In der Mutter-Kind-Klinik St. Ursula kann Daniela Schenk mit ihrer Tochter Merle eine Kur besuchen – die der Mutter nach einem schweren Schicksalsschlag wieder Kraft schenkt.
Daniela Schenks Tag beginnt um 5, endet um 22 Uhr – sie steht auf und funktioniert nur
Daniela Schenks Tag beginnt um 5 Uhr. Die erste halbe Stunde gehört ihr allein. Sie duscht, zieht sich an. Schmiert Schnitten für Merle. Um halb sechs weckt sie ihre Tochter, sie nennt sie liebevoll einen „Morgenmuffel“. Um zehn vor sechs bricht sie zur Arbeit auf. 25 Minuten, manchmal sogar 40 Minuten braucht Sie bis zu ihrem Büro. Im Kopf koordiniert sie den Tag. Liegen Arzttermine an? Muss Merle zum Handball? Schaffen wir es vielleicht noch gemeinsam ins Freibad? Sie arbeitet im Jobcenter. „Morgens versuche ich meine Tochter zu motivieren, tagsüber versuche ich junge Menschen zu motivieren“, erklärt sie ihren Beruf. Arbeitsvermittlerin. Drei Bildschirme stehen auf ihrem Schreibtisch, einer für den Posteingang, einer für Telefonkonferenzen, einer für die Arbeit. „Ich sitze stundenlang vor virtuellen Konferenzschaltungen. Das strengt unglaublich an.“ Gerade ist sie abgestellt für die Einführung eines neuen Fachverfahrens. Bedeutet: Überstunden. „Bei Vollzeit im Büro will das schon was heißen“, sagt sie. Nach der Arbeit versucht sie, gemeinsame Zeit mit der Tochter einzuplanen. Vielleicht der Freibadbesuch, wenn keine Überstunde anfällt. Am Abend spricht sie mit ihr die Hausaufgaben durch, macht das Abendbrot, schickt die Tochter ins Bett. Um 22 Uhr geht sie selbst schlafen. An diesen Tagen bleibt der Haushalt liegen. Wäsche waschen, putzen, Einkaufen, das erledigt Daniela Schenk am Wochenende.
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Erst die Trennung, dann die Scheidung, dann stirbt ihr Ex-Mann
In den letzten Jahren sind Päckchen dazugekommen, wie sie sagt. Erst die Trennung von ihrem Mann, Merles Vater. Dann die Scheidung. Letztes Jahr stirbt er. Daniela Schenk erzählt gefasst, doch die Belastung durch den Tod des Vaters ihrer Tochter ist spürbar. „Sie braucht besondere Zuwendung. Immer wieder wird gesagt, der Tod gehört zum Leben dazu. Aber es war eben der Papa.“ Trauer, Pubertät, Corona-Krise. Die kleine Familie im Krisenmodus. Es gibt viele Reibereien, Auseinandersetzungen. Verzweiflung. Daniela Schenk beantragt eine Kur, für Februar 2022 wird sie bewilligt. Zum ersten Mal besucht sie die Klinik St. Ursula in Winterberg. Nach zwei Wochen ist ihr Corona-Test positiv, sie und Merle müssen abreisen. „Ich bin aus diesen zwei Wochen mehr kaputt herausgegangen als vorher“, sagt Daniela Schenk. Corona trifft sie, fünf Wochen lang ist sie krank. Richtig krank. „Da kamen auch Ängste bei meiner Tochter hoch, nach all der Zeit in der Pandemie war das ja klar.“
Während Corona muss sie die Betreuungstage des Bundes nutzen
Doch: Eine zweite Kur wird wieder bewilligt. Vor drei Wochen reisen Daniela Schenk und ihre Tochter sechs Stunden im Auto quer durch Deutschland nach Winterberg. Hier soll Daniela Schenk Fragen für sich beantworten. Was lasse ich hier? Was nehme ich mit? Was will ich ändern? Sie bekommt einen Therapieplan, auf sie zugeschnitten. Enthalten sind Massagen, Zumba gemeinsam mit der Tochter, Krankengymnastik, Aqua Fitness, Einzelberatung. „Darin geht es darum, was man zur Stressbewältigung im Alltag tun kann“, erklärt Daniela Schenk. Sie ist nicht das erste Mal in einer Kur, sie war schon mit Merle an der Ostsee, im Harz. Hat Dinge gefunden, die sie im Alltag einbinden kann, um ihren Stress zu reduzieren. „Silvester voriges Jahr habe ich gedacht, ich muss etwas ändern in meinem Leben. Ich habe meine Ernährung umgestellt und mit Sport angefangen und bis heute 21 Kilo abgenommen. Ich ernähre mich gesund, kümmere mich um mich. Mal gehe ich Fahrradfahren, mal Walken, das gelingt nicht jede Woche aber wenn Merle mal beim Handball ist, dann lasse ich den Haushalt stehen und mache Sport. Ich habe etwas für mich erreicht – und viel wichtiger, ich habe Merle damit gezeigt, dass man aus einem Tiefpunkt wieder herauskommen kann.“ Sie erzählt, ist stolz. Erzählt, dass ihre Tochter auch stolz ist auf Mama. Doch Sport hilft nicht gegen den Stress vom Homeschooling in der Pandemie. Daniela Schenk hatte damals keine Möglichkeit zum Homeoffice, muss die vom Bund angebotenen Kinderkrankentage zur Betreuung wahrnehmen. Merles Leistungen in der Schule sacken ab, Deutsch- und Matheeinheiten fehlen ihr. Auch, weil die Schule des Mädchens nicht auf digitalen Unterricht umstellt. Schriftliche Aufgaben, mehr bekommt Merle nicht. Dann die Trauer.
In der Kur kann Daniela Schenk gemeinsam mit ihrer Tochter an der Trauerbewältigung arbeiten. Sie malen zusammen ein Bild. Dinge die sie stark machen, Dinge die sie für sich selbst tun, Dinge die sie gemeinsam haben. „Es war schön zu merken, dass wir etwas gemeinsam haben auch wenn man im Alltag manchmal denkt – was hab ich jetzt wieder gemacht?“ Ihre Tochter geht zum Bogenschießen, auch das gehört zur Trauerbewältigung. Zusammen wollen sie noch einen Stein für Papa bemalen, der wird dann auf ein kleines Areal der Klinik gelegt. Dot liegen schon viele bunte Steine. Einer für jeden geliebten Menschen, der gehen musste. Daniela Schenk sagt, dass es Merle jetzt besser geht. Dass Merle aber den Alltag fürchtet. „Ich hoffe, die Kur konnte ihr zeigen, dass ich da bin und ihr Halt gebe.“ Dennoch wird Merle Zuhause eine Therapie beginnen.
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Die Kur, das war genau das, was die kleine Familie gebraucht hat
Die Kur ist das, was Daniela Schenk und Merle gebraucht haben. Daniela Schenk schwärmt von der Klinik hier in Winterberg, vom Team. „Ich kann ihnen nicht genug danken.“ In zwei Tagen reist sie ab. Doch auch Daniela Schenk fürchtet den Alltag. „Man nimmt sich immer viel vor, aber ob man das beibehalten kann...“, sagt sie. Sie wünscht sich zur Entlastung von Familien Kurangebote, die ohne eine Hürde für jeden zugänglich sind – unabhängig von einer Bewilligung. „Sowas mit Kindern zu nutzen, das hilft.“