Titmaringhausen. Schuppen nach Werkzeug durchsuchen, Vereinsgeld spenden und im Ahrtal anpacken: Patrick Winter mobilisiert sein Dorf im HSK für die Fluthilfe.
1601. 1804 und 1818 oder 1848 und 1910 – jetzt auch 2021. Diese Jahreszahlen stehen für schwere Hochwasserkatastrophen im Ahrtal in der Eifel. Für uns unvorstellbare Wassermassen fluteten in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli dieses Jahres die Ortschaften entlang der Ahr und ließen ein Bild der Verwüstung hinter sich. Rund 4000 zerstörte Haushalte in 19 Orten, über 130 Tote, mehr als 700 Verletzte und immer noch vermisste Menschen sind eine erschreckende Bilanz. Tausende Menschen verloren ihr Hab und Gut und wurden in einer einzigen Nacht obdachlos. In Titmaringhausen ist die Hilfsbereitschaft für die von der Katastrophe betroffenen Menschen groß.
Die Region gleicht einem Kriegsschauplatz
„Auf einer Strecke von 55 km gleicht die ehemals wunderschöne Ferienregion einem Kriegsszenario. Und über allem steht ein entsetzlicher Gestank nach Öl, Diesel, Dreck, Müll, verdorbenen Lebensmitteln, Tierkadavern und Leichen. Für die Helfer vor Ort eine harte Belastungsprobe, die viele an den Rand ihrer Kräfte gebracht hat,“ berichtet Patrick Winter. Der gebürtige Titmaringhäuser, der nur ca. 10 Kilometer entfernt von dem Katastrophengebiet in Hannebach wohnt und zum Glück verschont blieb, startete in seinem Heimatort Titmaringhausen gemeinsam mit seinem Vater Norbert Schmidt kurz nach dem Hochwasser eine Hilfsaktion.
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Der ganze Ort durchsuchte Häuser und Schuppen nach dringend benötigten Werkzeugen wie Schüppen, Besen, Schubkarren, Gummistiefeln, Eimern, Baumaschinen und vielem mehr. Schon am 20. Juli fuhr „Niggenhuses Norbert“ dann mit einem bis unter das Dach vollgepacktem Auto samt vollem Anhänger in Richtung Ahrtal.
Gemeinsam mit seinem Feriengast Martin Hellfaier, der nicht lange überlegte und ebenfalls auf seine freien Tage verzichtete und Hilfe anbot, quartierten sie sich zudem bei Patrick und Nina Winter ein, um tatkräftig beim Säubern der Häuser und Räumen der Straßen zu helfen. Und sogar ein nicht mehr dringend benötigtes Auto aus dem Ort fand im Ahrtal einen glücklichen neuen Besitzer.
Spontan Geld gesammelt und gespendet
An ihrem eigentlichen Schützenfestwochenende Anfang August sammelten die Titmaringhäuser dann spontan beim Schützenfrühschoppen 1260 Euro. Dazu kam die Kirchenkollekte, die von der Kirchengemeinde auf 500 Euro ergänzt wurde. Schützenverein sowie Sportverein stockten diesen gemeinsamen Betrag zu gleichen Teilen dann noch bis 2100 Euro auf. Auch dieses Geld fand den Weg ins Ahrtal zu Patrick Winter, der im Namen seines Heimatortes mit jeweils 700 Euro in der verwüsteten Ortschaft Ahrweiler eine 81-jährige alleinstehende Frau, deren Wohnung völlig zerstört wurde, eine junge Familie aus Dernau, deren frisch renoviertes Haus nun unbewohnbar ist und einen älteren Herren aus Dernau, bei dem das Wasser innerhalb von Minuten ebenfalls bis zum 3. Stock stieg und alles mit sich riss, unterstützte. Alle drei Familien sind wie rund 80 Prozent der Betroffenen nicht gegen solche Wassermassen versichert gewesen.
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Patrick Winter berichtet, dass die Betroffenen oft aus Scham zunächst gar nichts annehmen wollen, aber auch sprachlos und dankbar über die Hilfe aus ganz Deutschland sind.
Bei der Jahreshauptversammlung des Sportvereines Rot-Weiß Titmaringhausen beschlossen die ehemaligen Spieler der ersten Mannschaft und der “Alten Herren“ zudem, ihre kompletten Mannschaftskassen in Höhe von 1100 Euro auf ein Spendenkonto der Stadt Medebach einzuzahlen, mit dem betroffene Privatleute im Hochwassergebiet unterstützt werden sollen. Weitere 250 Euro spendete der Heimatverein „Unse Thitmarcusen“ auf das gleiche Konto. Insgesamt kam so ein Spendenbetrag von 3400 Euro in dem knapp 180 Einwohner zählenden Ort zusammen. Zudem möchten Sport- und Schützenverein die drei Familien im nächsten Jahr zum Schützenfest-Wochenende nach Titmaringhausen einladen.
Täglich im Katastrophengebiet unterwegs um zu helfen
Der gebürtige Titmaringhäuser Patrick Winter hilft täglich mit seiner Frau Nina im Katastrophengebiet. Sie berichten, dass trotz der vielen Unterstützung aus ganz Deutschland manche Orte erst nach fünf Wochen wieder Strom hatten. Wasser und benötigtes Material wird in manche Regionen noch immer mit dem Hubschrauber gebracht. Viele Haushalte werden noch Monate auf eine funktionierende Heizung warten müssen, ihnen steht wohl ein harter Winter bevor. Hunderte Häuser können nur noch abgerissen werden, andere werden in den Rohbauzustand zurück versetzt. Einige Straßenzüge sind so stark betroffen, dass nur noch das Einebnen und Planieren durch Raupen übrig bleibt. Bagger sind damit beschäftigt, neue Straßen zu schieben, damit die Helfer besser an die Unglücksorte kommen können.
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Winter erzählt aber nicht nur über die entstandenen Sachschäden, sondern auch, dass ältere Menschen berichten, es sei wie nach dem Krieg. Über allem herrsche eine unheimliche Ruhe, man höre kein Kinderlachen mehr. Neben vielen zu betrauernden toten Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden sind auch unzählige unwiederbringlich verlorene Erinnerungsstücke wie Fotos, Schmuckstücke oder Ähnliches ohne großen materiellen, aber dennoch sehr emotionalen Wert für immer mit den Wassermassen verschwunden.
Fassungslos über Plünderungen
Neben all der Hilfsbereitschaft ist Winter jedoch fassungslos über Plünderungen. In zwei Nächten verschwanden gleich mehrere Baumaschinen spurlos, weiß er zu berichten. Umso mehr freut es ihn, dass Titmaringhausen spontan auf seinen Aufruf reagiert hat und möchte sich im Namen der Flutopfer auf diesem Wege noch einmal herzlich bedanken.