Olsberg. Jana Pflüger wusste lange nicht, dass andere Frauen dasselbe erleben wie sie. Die Olsbergerin hat Endometriose. Sie erzählt von Leid und viel Mut.
Jana Pflüger hat zuletzt vielleicht zehn schmerzfreie Tage im Monat. Manchmal sind die Schmerzen so schlimm, dass sie es kaum zur Haustür schafft. Manchmal nur vom Bett ins Bad. Jana Pflüger aus Olsberg leidet an Endometriose, einer Erkrankung, die circa jede zehnte Frau betrifft. Dabei findet sich Gewebe, dass dem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb dieser und verursacht unter anderem starke Schmerzen im Unterleib. „Endometriose ist ein Chamäleon“, sagt Jana Pflüger. Sie hat eine lange Krankheitsgeschichte hinter sich, die sie erzählen will, um Aufmerksamkeit zu schaffen und Frauen beim Erkennen der Diagnose zu helfen. Denn viele Frauen ertragen die Schmerzen ohne dass ein Arzt die Krankheit erkennt.
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Olsbergerin lebt seit ihrer ersten Periode mit Endometriose
Jana Pflüger sitzt im Café „Goldmarie“ in Olsberg. Ihr gehört das Café, eröffnet hat sie kurz vor dem ersten Corona-Lockdown. Sie trinkt einen Schluck Wasser, nimmt dazu eine Tablette. „Wir eröffnen erst jetzt wieder so richtig“, sagt sie und deutet auf die gemütlichen Stühle und die Spieleecke. Im Sommer hat sie nur Außer-Haus verkauft. Jetzt sollen die Gäste wieder einen Ort zum Verweilen finden. „Aber ich merke schon jetzt wieder, dass es mit den Schmerzen losgeht. Dabei darf ich jetzt nicht ausfallen.“
Sie ist 15 Jahre alt, als sie starke Schmerzen während der Regelblutung spürt. Sie glaubt, das ist normal. Das gehört dazu. „Man unterscheidet bei der Endometriose verschiedene Schmerzensgrade. Dafür gibt es eine Skala. 1 bis 10. Ich denke, damals lag ich bei 4 oder 5.“ Ab der 11. Klasse fehlt sie regelmäßig im Unterricht. Während ihrer Periode fiebert sie, manchmal fällt sie in Ohnmacht. Die Pille bringt kaum Linderung. „Ich habe das nie hinterfragt, keiner hat den Zusammenhang gezogen“, sagt sie. Die Schmerzen werden im Laufe der Jahre zur Normalität. Sie wächst in Kassel auf, geht irgendwann nach Köln. Sie lernt ihren Partner kennen, verliebt sich. Ihre Hormone spielen verrückt –wegen der Pille. „Ich habe Stimmungsschwankungen bekommen. Es war wie Jekyll und Hyde.“
Jana Pflüger will die Pille nicht mehr einnehmen – für den Kinderwunsch
Sie setzt die Pille ab, will sie nicht mehr einnehmen aus Angst vor dem Einfluss auf Körper und Persönlichkeit. Dem Kontrollverlust. „Das ist das schlimmste. Man schaut sich selbst zu wie einem Geist, der aus einem herausschwebt und man ist eine ganz andere Person.“ Mit dem Absetzen der Pille vervierfacht sich der Schmerz. „Volle Bandbreite, es war katastrophal. Ich habe jeden Monat auf der Arbeit gefehlt.“ Auf der Führungsetage werden sie misstrauisch. Jana Pflüger muss um ihren Job bangen.
Gleichzeitig versuchen sie und ihr Partner ein Kind zu bekommen. Es funktioniert nicht. Sieben verschiedene Gynäkologinnen hat Jana Pflüger zu diesem Zeitpunkt schon besucht. Keine von ihnen dachte an Endometriose. Bis ihrem Hausarzt in Köln auffällt, dass sie sich jeden Monat krankschreiben lässt. Er gibt schließlich den entscheidenden Hinweis.
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Endometriose ist die zweithäufigste frauenspezifische Krankheit. Diagnosen werden oft erst nach 6 bis 10 Jahren gestellt. Für Jana Pflüger dauerte es 16 Jahre. „Die Krankheit ist sehr vielfältig. Das Gewebe, das durch sie entsteht, kann nicht nur die äußere Gebärmutter befallen, sondern auch die Eierstöcke, den Darm oder die Blase. Manchmal auch die Lunge, den Bauchnabel, Augen oder das Gehirn.“ Viele Ärztinnen oder Ärzte sind nicht genug in dem Thema geschult. Eine Kollegin aus dem Büro empfiehlt ihr einen Facharzt. Zwei Wochen später hat sie eine Untersuchung. In der Klinik trifft sie andere Frauen mit denselben Symptomen. „Das war wie eine Offenbarung. Ich wusste nicht, dass andere genauso leiden wie ich. Man lernt zu denken, dass man empfindlich ist, dass man sich alles nur einbildet.“
In vier Stunden operiert – wegen der Endometriose
Der Arzt sagt ihr, eine Endometriose könne man nur während einer Bauchspiegelung, einem minimalinvasiven Eingriff, eindeutig feststellen. Angesetzt werden 40 Minuten für diese OP. Als Jana Pflüger erwacht, hat sie einen vierstündigen Eingriff hinter sich und endlich die sichere Diagnose: Endometriose. Der Arzt sagt, er habe viele Endometriose-Herde entfernen müssen. An der Rückwand der Gebärmutter, an der Blase, unter dem Bauchfell, das dafür abgetrennt wurde. „Das hat meine Symptome natürlich erklärt. Den Endo-Belly oder die Darm- und Blasenbeschwerden“, sagt Jana Pflüger. Für sie ist die OP ein Abschluss. „Mir war damals nicht bewusst, dass ich eine chronische Schmerzerkrankung habe. Dass mich das begleitet. Das war fatal für meine Denkweise.“
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Jana Pflüger wird zwei Monate später schwanger. Die Ärzte sagen ihr damals, dass sie direkt nach der OP einen Versuch starten solle, jetzt sei alles bereinigt und die Chance auf Erfolg groß. „Es ist schrecklich, dass Frauen so bestimmt werden. Dass ihnen gesagt wird, jetzt musst du. Das ist der falsche Weg, denn vielleicht hat man noch Schmerzen oder ein Kind passt zu diesem Zeitpunkt nicht in die Lebensumstände oder man möchte erst fit werden. Bei uns passte der Zeitpunkt gut, aber das geht ja nicht allen Frauen so.“ Jana Pflüger macht dieser Druck wütend. Sie wünscht sich mehr Aufklärung für die Frauen. Mehr Verständnis.
Während der Schwangerschaft hat die Olsbergerin keine Probleme
Während der Schwangerschaft hat sie keine Beschwerden. Mit dem wiederkehrenden Zyklus nach der Geburt fangen die Schmerzen wieder an. Ende 2018 sind die Schmerzen erneut voll da. Dazu kommen Magenprobleme, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe, Koliken, Kopfschmerzen. Manchmal hat sie starke Eisprungschmerzen oder stromschlagartige Schmerzen im Unterleib, in der Blase, im Bein – ganz plötzlich. Sie leidet wegen der Dauerentzündungen im Körper unter dem Fatigue Syndrom, ist ständig müde. Schmerzskala: 9. Ein Arzt sagt ihr, dass Frauen oft den Schmerz so gewohnt sind, dass sie ihn häufig geringer einstufen als er ist. „Irgendwas ist immer“, sagt Jana Pflüger. Sie nippt an ihrem Kaffee. Ihre Stimme ist belegt. „Es vergeht kein Tag ohne Schmerzen.“ Ihre Tochter zur Kita zu bringen ist an manchen Tagen nicht möglich. Die Erzieherinnen wissen Bescheid, das ist gewollt. „Es ist besser, wenn ich den Menschen erkläre, was los ist, anstatt es nur Regelschmerzen zu nennen. Für Periodenbeschwerden gibt es in der Gesellschaft ohnehin kein Verständnis, egal wie schlimm die auch sein mögen.“
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Jana Pflüger beginnt zu verstehen, dass diese Krankheit sie ein Leben lang begleiten wird. Dass sie sich selbst darum kümmern muss, die richtigen Untersuchungen zu bekommen. Sie sucht den Austausch im Netz, hört Podcasts zu dem Thema. Gleichzeitig will sie Hilfe und scheitert an Ignoranz oder den langen Wartezeiten bei den Fachärzten. Eine Ärztin empfiehlt ihr Schmerzmittel, man könne nichts tun. Eine andere Ärztin ist entsetzt von ihrer Leidensgeschichte und muss ihr ebenfalls sagen, dass sie nichts tun könne – es fehle schlicht das Fachwissen. Ein Facharzt gibt ihr erst einen Termin für 2022. Jana Pflüger schreibt ihm eine lange Mail. Fertigt eine Skizze an, zeichnet Symptome darauf ein. Schreibt: „Das schaffe ich nicht, ich brauche Hilfe.“ Sie bekommt einen Notfalltermin. Bekommt in einer anderen Klinik einen weiteren Termin. Dort sagt sie dem behandelnden Arzt: „Ich hatte Angst, dass…“ Der Arzt ergänzt: „Dass wir Ihnen sagen, dass sie sich alles nur einbilden, stimmts?“ Vielen Frauen begegnen diese Vorurteile, wenn sie Endometriose haben.
Irgendwann wird Jana Pflüger ihre Gebärmutter entfernen lassen
Im Herbst 2021 wird Jana Pflüger abermals operiert. Sie finden wieder Endometriose-Herde. Finden Verwachsungen in der Gebärmutterwand, die inoperabel sind, denn sie leidet dazu an Adenomyse, einer Schwesternkrankheit der Endometriose.
Jana Pflüger lächelt. „Das Einzige, was diese Schmerzen lindern kann, ist die Entfernung meiner Gebärmutter. Diesen Schritt werde ich sicherlich irgendwann gehen, aber noch bin ich dafür nicht bereit.“ So richtig hat sie den Kinderwunsch noch nicht abgeschlossen. Und trotz allem definiert sie sich weiter als Frau auch über ihre Gebärmutter. Jana Pflüger muss mit den Schmerzen leben. Eine „Never-Ending Story“, sagt sie. Sie muss sich damit nun auseinandersetzen. Akzeptanz lernen. Zeit nehmen, die Ernährung anpassen und neue Therapiewege gehen, um Schmerzlinderung zu schaffen. Und sie will anderen Frauen helfen. Mit ihrer Geschichte.
Sie postet erst vor wenigen Wochen auf der Instagram-Seite ihres Cafés, dass sie an Endometriose leidet. Nur ein kurzer Text – doch sie beantwortet danach tagelang Nachrichten. Ein Mädchen schreibt, dass sie nun zum Arzt geht. Endlich habe sie eine Erklärung, eine mögliche Diagnose. „Das motiviert mich, wenn ich helfen und Bewusstsein schaffen kann. Und ich möchte zeigen, dass auch eine Selbstständigkeit möglich ist, - man kann so vieles dennoch erreichen, wenn man in sich hinein hört und darauf reagiert.“ Sie will betroffene Frauen zu einem Gespräch in ihrem Café zusammenbringen. Zum Austausch. „Ich wünsche mir, dass das nicht mehr als ekliger Frauenquatsch abgetan wird, sondern die Gesellschaft diese Probleme akzeptiert. Sowohl Frauen als auch Männer.“