Berlin. Isst das Kind schlecht, steckt nicht gleich eine Magersucht oder Bulimie dahinter. Eine Expertin erklärt, wann Eltern hinsehen sollten.
Magersucht, Bulimie, Binge Eating – Essstörungen haben viele Gesichter. Wenn das eigene Kind plötzlich widerwillig in den Nudeln herumstochert oder nach dem Essen auffällig oft auf der Toilette verschwindet, werden viele Eltern hellhörig – oft zu Recht, erklärt Nicola Hümpfner. Sie ist Bereichsleitung Kinder und Jugendliche bei „ANAD e.V. Versorgungszentrum Essstörungen“ in München. Denn die Zahl der diagnostizierten Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen ist während der Corona-Pandemie stark gestiegen – sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich.
Laut einer Hochrechnung sind bundesweit etwa 50.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren von einer Essstörung betroffen. Meist handelt es sich dabei um Mädchen und junge Frauen. Doch wo verläuft die Grenze zwischen normalem und gestörtem Essverhalten? Für Eltern ist das nicht immer einfach zu erkennen.
Bei Säuglingen bis ein Jahr und Kindern im Kleinkind- und frühen Kindesalter bis acht Jahre ist ein wechselndes Essverhalten generell noch kein Grund zur Besorgnis. „Das liegt meist an der jeweiligen Entwicklungsphase, in der das Kind steckt und auch am individuellen Charakter und Temperament“, sagt Hümpfner.
Vorsichtige, introvertierte Kinder würden lieber Dinge essen, die sie kennen und seien oft vergleichsweise wenig experimentierfreudig. „Kontaktfreudige, extrovertierte Kinder zeigen erfahrungsgemäß mehr Varianz im Essverhalten und probieren auch mal etwas Neues aus. Kinder essen phasenweise auch mal mehr, dann wieder weniger.“ Diese Verhaltensweisen sind bei der Ernährung laut der Sozialpädagogin und Therapeutin völlig normal, solange das Kind sich altersgemäß entwickelt.
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Esstörung beim Kind erkennen: Das sind Warnzeichen
Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn Kinder
- Anzeichen wie Blässe oder Müdigkeit zeigen,
- nicht mehr wachsen,
- nicht an Gewicht zunehmen.
Auch wenn das Essverhalten des Kindes in der Familie für eine massive Belastung sorgt, ist professioneller Rat gefragt – und das lieber früher als später. Denn durch präventive Maßnahmen, Informationsangebote für Eltern und eine frühzeitige Beratung im Kindesalter könne häufig Schlimmeres im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter verhindert werden, weiß die Expertin.
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Magersucht und Co.: Wo betroffene Eltern Hilfe finden
Sind sich Eltern unsicher bezüglich des Essverhaltens und der Entwicklung ihres Kindes, ist die erste Anlaufstelle wie bei allen Fragen um die Gesundheit stets der Kinderarzt. Auch Erziehungsberatungsstellen oder Beratungsstellen für Essstörungen bieten schnell und unkompliziert Hilfe an, bevor eine zunächst noch harmlose Verhaltensweise zu einem wirklichen Problem wird.
„Ich möchte Eltern immer dazu ermutigen, sich lieber zu früh als zu spät Hilfe zu holen. Ist ein Kind beispielsweise krank und möchte deswegen nicht essen und die Eltern reagieren nun mit Druck auf das Essverhalten, kann durch das elterliche Verhalten unter Umständen auch erst eine Fütter- oder Essstörung entstehen“, sagt Therapeutin Hümpfner.
Probleme mit dem Essen können grundsätzlich in jedem Alter auftreten. Diagnostisch spricht man jedoch erst ab etwa einem Alter von circa acht Jahren von einer Essstörung. Die häufigsten Krankheitsbilder sind dabei die Magersucht (Anorexia nervosa), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) sowie die Binge-Eating-Störung (Ess-Attacken mit Kontrollverlust). Neben den Abhängigkeitserkrankungen ist die Magersucht die psychische Erkrankung mit den höchsten Sterblichkeitsraten.
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Kind mit Essstörung: Diese Fehler sollten Eltern vermeiden
Eltern sind häufig erst einmal hilflos, wenn sie bemerken, dass ihr Kind ein auffälliges Essverhalten an den Tag legt. Nicola Hümpfner weiß, welche Fehler in dieser Situation häufig aus Sorge und Schuldgefühlen heraus gemacht werden: „In den meisten Fällen versuchen Eltern zunächst, die Situation mit Druck und Zwang unter Kontrolle zu bekommen.“ Doch Druck erzeuge immer Gegendruck. Nur wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen auch bereit seien, sich helfen zu lassen, könnten Hilfsangebote erfolgreich sein.
Laut der Organisation ANAD ist es wichtig, den Kindern die Eigenverantwortung für das Thema Essen zurückzugeben. Das heißt, Eltern sollten mit ihrem Kind grundsätzlich so umgehen, wie sie es mit einem Kind ohne Essstörung tun würden – ihm zum Beispiel nicht ständig Essen anbieten, Nahrungsmittel verstecken und generell das Essen nicht zum zentralen Thema in der Familie machen.
In diesem Zusammenhang könne es auch hilfreich sein, das eigene Essverhalten und Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen. Neigt man selbst zum sogenannten „Frustessen“? Spielen Diäten eine zentrale Rolle im eigenen Leben? Letztlich sollten sich Eltern von der Diagnose Essstörung auf keinen Fall entmutigen lassen, rät Nicola Hümpfner: „Man kann von einer Essstörung mit der richtigen Hilfe komplett genesen.“ Das sollten Eltern sich immer wieder bewusst machen.
Diese Verhaltenstipps gibt die Organisation ADAD betroffenen Eltern:
- Das Kind offen auf die eigenen Beobachtungen und Sorgen ansprechen, aber keine Vorwürfe machen.
- Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind unter ärztlicher Beobachtung steht.
- Motivieren Sie Ihr Kind zu Therapieangeboten. Eine Therapie kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn Ihr Kind dazu auch bereit ist und sich nicht nur aus Zwang bereiterklärt.
- Eltern sollten sich auch selbst Unterstützung suchen, damit sie ihr Kind dauerhaft positiv unterstützen können.
- Seien Sie geduldig – Ihr Kind leidet selbst am meisten.