Berlin. Ein Zeichen der Liebe oder Mittel der Manipulation? Ein Psychologe erklärt, was es mit Babysprache in der Partnerschaft auf sich hat.

  • Viele Pärchen benutzen süße Kosenamen
  • Andere Paare gehen noch einen Schritt weiter und sprechen in Babysprache miteinander
  • Zu niedliche Worte könnten allerdings auch ein Warnsignal sein, meint ein Experte

„Knuddelbärchen, da ist eine Muh-Muh“ oder „Muss Schatzi in die Heia?“: Wer solche Sätze hört, geht davon aus, dass eine Mutter oder ein Vater gerade mit ihrem Kleinkind reden. Doch es soll auch Paare geben, die auf diese Weise miteinander sprechen. Laut einer Umfrage des Kinsey-Instituts der Indiana University in den USA nutzen zwei Drittel aller Paare untereinander Babysprache. Eine Fragebogenstudie von 2019 aus Belgien von Audrey Aerens kommt zum gleichen Ergebnis. Wenn man im eigenen Freundeskreis nachfragt, outen sich aber nur wenige Menschen.

Um herauszufinden, woran das liegt, dass nur wenige Erwachsene zugeben, Babysprache zu verwenden, muss zunächst geklärt werden, was darunter überhaupt verstanden wird. Bei Kindern wird sie verwendet, um eine emotionale Bindung aufzubauen und das Lernen der Sprache zu erleichtern. Dabei sprechen Betreuungspersonen oft mit verstellter hoher Stimme und mit süßem und melodischem Klang. Außerdem werden Begriffe verwendet, die man im Alltag eher nicht benutzt: Heia machen fürs Schlafen etwa oder Wauwau für Hund.

Auch Spitznamen können zur Babysprache gezählt werden

Auch in der Verwendung von Kosenamen steckt die Babysprache. Schließlich geben Eltern ihren Kindern oft Spitznamen. „In Amerika nennen Paare sich häufig Baby, da steckt das schon drin. Diese Benennung ist Ausdruck einer Einzigartigkeit. Schließlich habe ich nicht viele Babys“, sagt Clemens von Saldern. Der Psychologe führt mit seiner Frau Nadja von Saldern Praxen für Paartherapie in Berlin und Potsdam. „Wenn jemand seinen Partner oder seine Partnerin ‚mein Herz‘ nennt, ist das eine Würdigung. Schließlich habe ich nur ein Herz. Wenn ich es allerdings zu meiner Tochter, meinen Freunden und meiner Friseurin sage, wird der Begriff aufgeweicht und austauschbar und verliert seinen Wert.“

Allgemein sei die Verwendung von Kosenamen eine schöne Sache und positiv aufgeladen, da sie Nähe, Zuwendung, Liebe und Gefahrlosigkeit ausdrückt. „Ich empfinde es verstörend, wenn Paare keine Kosenamen verwenden, sondern nur den regulären Vornamen“, so von Saldern. „Es ist schade, wenn man für eine einzigartige Person keinen einzigartigen Namen hat.“ Oftmals würde es Stress bedeuten, wenn ein Partner den anderen mit dem Vornamen anspricht. „Der Vorname ist formell. Wenn man ihn hört, weiß man, dass etwas nicht in Ordnung ist.“

Ein Kosename wirke stattdessen informell, beruhigend und beschwichtigend. Auch die Babysprache habe mit ihrer syntaktischen Vereinfachung und der veränderten Tonlage eine solche Funktion. „Wenn ich zu meiner Partnerin oder meinem Partner sage ‚Büdde Füße massieren‘ und angerobbt komme, hoffe ich, dass der andere das niedlich findet und die Bitte erfüllt. Statt Babysprache könnte man diese Form der Kommunikation auch Beschwichtigungssprache nennen“, sagt der Psychologe.

Abstufung und Manipulation bilden die Kehrseite der Verniedlichung

Es komme jedoch immer auf den Kontext an. In gewissen Situationen könne die Verniedlichung auch eine Abstufung oder Manipulation bedeuten. „Die Endung ‚-chen‘ macht den Angesprochenen kleiner. ‚Ach, Lehrerchen, ach, Chefchen‘. Die Person fühlt sich nicht ernst genommen und fragt sich, ob man auf Augenhöhe ist. Denn danach sehnen sich die Menschen. Sage ich ‚Mein Schätzchen‘ hört mein Partner vielleicht auch einen Eigentumsanspruch heraus“, so von Saldern.

Auch Tonlage und Betonung spielen eine Rolle. „Schatz“ oder „Baby“ erhalten unterschiedliche Aufladungen, je nachdem, wie das Wort ausgesprochen wird und ob es beim Streicheln am Strand oder im Streit verwendet wird. „Das eine ist positiv, das andere manipulativ“, sagt von Saldern.

Wann und wo die Babysprache zum Einsatz kommt, ist dem Psychologen zufolge ganz egal. Auch in der Öffentlichkeit oder vor Freunden müsse man sich nicht schämen. Solange ausgedrückt wird, dass zwei Personen sich lieben, sollten Mitmenschen sich nicht daran stören. Anders verhalte es sich, wenn eine Person im Streit öffentlich klein gemacht wird.

Teilnehmende der Umfrage empfinden Babysprache beim Sex als unangemessen

Laut der Studie von Audrey Aerens wird Babysprache im sexuellen Kontext als unangemessen angesehen. Trotzdem wird sie von der Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – meist vor und nach dem Sex – verwendet. „Beim Akt wird nicht viel gesprochen. Da sind keine Worte gefragt. Die gibt es eher in der Vor- und Nachbereitung“, bestätigt von Saldern.

Wer Babysprache benutzen oder damit aufhören möchte, sollte das offen ansprechen. „Ich bin immer dafür, in Beziehungen alles aus- und anzusprechen. Man kann sagen ‚Schade, dass wir das nicht haben‘ oder ‚Ich finde es blöd, dass wir das haben‘ oder ‚Lass das, ich habe Assoziationen zu einer früheren Beziehung, in der ich manipuliert wurde‘“, so Clemens von Saldern.

Generell kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Paare, die Babysprache benutzen, glücklicher sind als die, die es nicht tun. „Irgendwann wird der Gebrauch der Worte zur Routine. Dann ist er nicht mehr mit Glück verbunden. Deswegen sollten die Worte immer mit Bedacht gesagt werden“, so der Psychologe. Einen Grund, um mit der Babysprache als Zeichen der Liebe aufzuhören, gibt es trotzdem nicht. Wer also beim nächsten Treffen mit Freunden oder Familie danach gefragt wird, kann durchaus zugeben, seinen Partner „Schnutzipu“ oder „Honigschnäuzchen“ zu nennen.