Berlin. Der gefeuerte Moderator Marco Schreyl redet bei Bärbel Schäfer über Tränen, die Gründe für seine Dünnhäutigkeit und seine größte Angst.

Aus der Bahn geworfen. Mit den Nerven am Ende. Moderator Marco Schreyl spricht nach seinem Rauswurf bei RTL im Podcast bei Bärbel Schäfer über mögliche Gründe: Die Verzweiflung, die die tödliche Krankheit seiner Mutter mit sich gebracht hatte, habe ihn jahrelang unter Druck gesetzt. „Ich kriege mein Leben nicht mehr auf die Reihe“, das sei sein Grundgefühl gewesen.

Der Sender vermeldete zu Beginn der Woche, dass Schreyls zum Ende des Jahres auslaufender Vertrag nicht verlängert werde. Divenhaft sei er gewesen, heißt es in Medienberichten. Arrogant zu seinen Kollegen. Jetzt sitzt da jemand bei „book:deluxe – Der Büchertalk mit Bärbel Schäfer“, der von einem extrem harten Leidensweg erzählt. Darüber, wie die Krankheit Chorea Huntington das Leben seiner Mutter auf den Kopf stellte.

Der Moment, als Schreyl in Tränen ausbrach

Schreyl ist Profi, er wirkt fast munter im Gespräch, selbst, wenn er über seine Verzweiflung spricht. Das Abserviertwerden ist ihm in der Tat ja auch vertraut. 2012 warf RTL ihn vorübergehnd bei „DSDS“ und dem „Supertalent“ raus.

Marco Schreyl, hier in der MDR-Talkshow Riverboat, .2023 in Leipzig.
Marco Schreyl, hier in der MDR-Talkshow Riverboat, .2023 in Leipzig. © picture alliance / dpa | Kirsten Nijhof

Doch immun gegen Geschasstwerden, wer ist das schon? Und so fühlt sich Schreyl bemüht, Erklärungen zu finden. Erklärungen aus dunklen Zeiten, in denen er am Rand seiner Kraft war. Es war die Zeit, als er genau diese Sätze gegenüber einer befreundeten Hautärztin formuliert hatte: Dass er „sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekommt und nicht mehr weiß, was er tun soll“.

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Die Ärztin hatte bei ihm nach starken Schmerzen im Rücken und Schulter Gürtelrose diagnostiziert. Und ihn ziemlich entgeistert gefragt: „Was ist los bei Dir?“ Da sei er in Tränen ausgebrochen. „Ich habe bitterlichst geweint.“

Eine ganze Menge sei los gewesen bei ihm. Jahre habe er eine Art Parallelleben geführt, erzählt Schreyl. Als Moderator, als der, der für Unterhaltung zuständig war, und als Sohn einer Mutter, die im Alter von 50 Jahren an Chorea Huntington erkrankte, einer genetisch bedingten, degenerativen Funktionsstörung des Gehirns.

Marco Schreyls Mutter wurde für den Moderator zur Fremden

Es sei bei seiner Mutter ein „schleichender Prozess“ gewesen, erzählt Schreyl. Anfangs habe er nur gedacht, sie habe mal einen schlechten Tag. Doch ihre Vergesslichkeit, ihr Kontrollzwang hätten immer schlimmere Züge angenommen. Es hätten sich viele Merkmale gezeigt, die seine Mutter zu einer Fremden haben werden lassen.

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Die unheilbare und Tod bringende Krankheit führe, so Experten, zu Konzentrationsstörung, Überbewegung („Veitstanz“) und Psychosen. Bei Schreyls Mutter sei es zudem zu schweren Verwirrungszuständen gekommen. Und zu seltsamem Verhalten. „Sie hatte kein Maß mehr“, so Schreyk, der auch in seinem Buch „Alles gut? Das Meiste schon“, über den psychischen, später auch physischen Verfall der Mutter geschrieben hat.

Mehrfach fährt Schreyl 400 Kilometer zur Mutter, die ihn nicht reinlässt

Die Beispiele, die den geistigen Abbau demonstrierten, seien oft so alltäglich klein gewesen, dass sie zunächst kaum ins Gewicht fielen. Unkontrolliert, also eben „maßlos“, habe sie sich Marmelade aufs Brot gestrichen, ohne zu fragen, ob jemand davon auch etwas mag. Eine Winzigkeit, aber ihm wurde gerade bei diesen Alltäglichkeiten klar: „Diese Person war nicht mehr meine Mutter.“

Eine weitere Eigenartigkeit sei die zunehmende Sturheit gewesen. Seine Mutter habe Hilfe gebraucht. Aber sie habe keine annehmen wollen. Mehrfach sei er 400 Kilometer von Köln nach Thüringen gefahren, um sie zu besuchen. Doch sie habe ihn einfach nicht reingelassen. Dann also wieder 400 Kilometer zurück.

Amber van den Elzen und Marco Schreyl im Finale der 19. Staffel der RTL-Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS).
Amber van den Elzen und Marco Schreyl im Finale der 19. Staffel der RTL-Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS). © imago/Future Image | IMAGO/Robert Schmiegelt

Der RTL-Moderator habe sich jahrelang in einem Teufelskreis befunden: Wie kann man unter diesem Druck seinen Job machen? Eine Frage, die sich Millionen andere Menschen auch stellen, die berufstätig sind und zum Beispiel einen Demenzkranken in der Familie haben. Schreyl jedoch steckte in einer besonderen Situation: Sein Job ist es, zu unterhalten. Für gute Laune zu sorgen, lustig zu sein, schlagfertig und ganz gerne mal den Clown zu geben.

Noch kurz vor der Lifesendung telefonierte Schreyl mit Mutter oder Ärzten

Wie kann man das, wenn man selbst am Ende ist? Ein Spagat, der ihn enorme Kraft gekostet habe. „Wie bekloppt war ich, dass ich zehn Minuten vor der Live-Sendung noch ans Telefon gegangen bin, nur um mich dann zusammenstauchen zu lassen.“ Nachts habe sie ihn angerufen, um zwei Uhr, um drei Uhr, um laut und aggressiv Geschichten vom Vater, den Nachbarn oder einem Einbrecher zu erzählen.

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Wie soll man sich auf den Job einstellen, wenn man noch kurz vor der Sendung mit Ärzten oder Nachbarinnen der Mutter reden muss? Noch Sekunden, bevor das Rotlicht anging, sei er oft komplett hilflos gewesen: „Ich lebte in einer Parallelwelt voller Sorgen.“ So etwas hat Auswirkungen auf die Psyche. Auch auf die Atmosphäre und auf die Kollegen.

Im Nachhinein sei ihm das wohl klar: Menschen, die da mit ihm gearbeitet haben, hätten doch nur denken können, warum er so dünnhäutig sei. Oder warum man mit dem nicht mehr reden kann. „Ich konnte mich schwer anvertrauen“, erklärt Schreyl. „Ich wollte es alleine hinkriegen. Auch, weil meine Mutter mir sagte: Das behältst du für dich!

Er habe in der Zeit viel mit sich selbst ausgemacht. Das bedauert er heute. Er hätte sich professionelle Hilfe zum Reden suchen sollen. Er hatte zwar Freunde, aber wollte denen auch nicht immer den Abend verderben. Und über vieles habe er auch gar nicht reden können. Da habe es eine große Scham gegeben.

Jetzt lebt Schreyl selbst mit der großen Angst vor der Krankheit

Auch über die verwarhloste Situation, in der sich seine Mutter befunden hätte. Die Spuren in der Wohnung hätten gezeigt, dass sie ihre Fenster nicht mehr zum Lüften geöffnet hat. Und dass sie es auch nicht immer ins Badezimmer geschafft habe. Sie habe aber nur wenig Hilfe annehmen wollen. Und da sie nicht entmündigt war, habe keiner gegen ihren Willen handeln können.

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Der Tod der Mutter sei für ihn auch eine Erleichterung gewesen. Doch vorbei ist es mit Chorea Huntington nicht. Das Schlimme: Es könnte sein, dass auch er die Krankheit in sich trägt. „Es macht mir große Angst. Ich weiß ja nicht, was ich abbekommen habe“, sagt er. Schreyl spricht vom Blick in die Glaskugel. Er wirkt bedrückt.

Laut Deutscher Huntington-Hilfe gibt es die Möglichkeit, einen Gentest zu machen. Adressen von Humangenetischen Instituten, die die genetische Untersuchung anbieten, seien in der Datenbank des Bundesverbandes der Deutscher Humangenetiker HGQN zu finden. Marco Schreyl ist nicht allein: In Deutschland rechnen Experten mit rund 10.000 Menschen, die von Morbus Huntington betroffen sind und weiteren 50.000, die das Risiko tragen, die Krankheitsanlage geerbt zu haben, weil ein Elternteil von der Huntington Krankheit betroffen ist.