Recklinghausen. Die Theater-Regisseurin und ihr erstes Buch: „Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen“ spielt im Ruhrgebiet und in Montenegro.
In Essen und Düsseldorf kennt man Ines Habich-Milović (46) als Theaterregisseurin, in Berlin hat sie studiert und gearbeitet und auch ihr Verlag sitzt hier. Aber die Premierenlesung ihres ersten Romans „Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen“ wird am nächsten Freitag in Recklinghausen über die Bühne gehen. Schließlich spielt der Roman zur Hälfte im Ruhrgebiet. In der Club-Szene der 80er-Jahre, im Türsteher- und DJ-Milieu, aber auch im Essen der Nullerjahre.
Das heimliche, durchaus auch dunkle Herz dieses Romans ist allerdings die Zeit dazwischen, die Zeit der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, vor allem im kurzzeitigen Königreich Montenegro. Und deshalb ist dieses Buch voller balkanischer Geschichten, die noch praller und saftiger sind als die Kirschen in seinem Titel. Es sind schier unglaubliche, ungemein farbige Geschichten, und deshalb hat der Roman auch ein serbisches Sprichwort zum Motto: „Es ist besser zu glauben, als sich zu vergewissern“. Ines Habich-Milović hat stapelweise serbische Märchen und Mythen mehr inhaliert als gelesen, bevor sie dieses Buch schrieb.
Ines Habich-Milović: „Ich bin mit den Figuren mitgelaufen“
Aber fasziniert haben sie immer die Figuren, die sie auch in ihrem Roman immer weiter getragen haben. Sie sind nicht zuletzt erstanden aus dem Anekdotenschatz ihres Mannes. Die Geschichte umkreist, umspringt, umtanzt drei Brüder vom Balkan, die einst wie Pech und Schwefel zusammenhielten. „Ich habe mir die Figuren gebaut – und dann“, da beginnen ihre Augen zu funkeln, „bin ich mit denen mitgelaufen, über eine ziemlich lange Zeit hinweg“. Zwei, drei Jahre hat sie sich Zeit genommen dafür, immer wenn die kleine Tochter in der Kita oder dann in der Grundschule war.
Im Buch ist einer der drei Brüder – Miko – spurlos verschwunden. Und seine Frau Rieke erzählt der gemeinsamen Tochter Maja lauter Geschichten über ihre Vater. Geschichten, die ihn näher bringen, fassbar machen sollen. Die aber nur selten einem stringenten roten Faden folgen, sondern einander wie Szenen eines Theaterstücks folgen, mit Lücken, mit Sprüngen vor und zurück. Und selbst da, wo es traurig wird, ist es dem Leben zugewandt, pulswarm.
Zwei Lesungen
Die Premierenlesung mit Ines Habich-Milović und ihrem Debüt-Roman „Dein Vater hat die Taschen voller Kirschen“ beginnt am Freitag, 31. Januar, um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Recklinghausen. Eintritt: 10 Euro. Eine weitere Lesung ist geplant am 17. Juni, da lädt das Literaturbüro NRW ab 18 Uhr unter dem Motto „Frisch gepresst“ in die Düsseldorfer Stadtbibliothek, der Eintritt ist frei.
Ines Habich selbst liest gerade „Die Projektoren“ von Clemens Meyer, „das ist mein Buch“, denn es spielt ja auch in Jugoslawien, „und Karl May habe ich geliebt, den hab ich rasend gern gelesen!“ Sie wurde in Gelsenkirchen geboren, ist in Oer-Erkenschwick aufgewachsen – da „musste“ sie zum Studium „natürlich“ unbedingt nach Berlin. Erstes Diplom: in Sozialarbeit. Da hat sie dann in einem Jugendclub gearbeitet, wo sie kaum älter war als die „Kundschaft“ und es entweder sehr aufregend war oder gar nichts passiert ist. Und die Erfahrung: „Berlin braucht einen nicht, da machen alle was mit Kunst, mit Theater“. Zweites Diplom: Theaterpädagogik. Nicht in Berlin, wo man das auch studieren kann, sondern in Lingen an der Ems, ein Zweig der Hochschule Osnabrück.
Noch während des Studiums begann Ines Habich-Milović, am Theater in Essen zu arbeiten, Assistenz der Regie, Assistenz der Dramaturgie. Die Grillo-Intendanz des heutigen Frankfurter Theaterintendanten Anselm Weber, der später dann das Bochumer Schauspielhaus leiten sollte, hatte gerade begonnen. Und Habich-Milović betreute die „Home Stories“-Inszenierung von Nuran Calis, die Jugendlichen aus Katernberg eine Bühne bereitete und bundesweit Beachtung fand.
Auch am Düsseldorfer Schauspielhaus arbeitete Ines Habich-Milović viel mit Jugendlichen, ihre Inszenierung „Almost Lovers“ drehte sich um zwölf Jungs zwischen 12 und 22. Sie reden nach dem Sport in der Umkleidekabine, lauter Schulschwänzer, Kriegsfilmfanatiker, Playboys, Gymnasiasten, Fußballultras auf der Flucht vor der Langeweile. Und Habich-Milović wurde mit der Inszenierung eingeladen zum Berliner Theatertreffen der Jugend“.
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Irgendwer hatte ihr gesagt: „Nach Berlin muss man nicht gehen, nach Berlin muss man gerufen werden“. Das hatte also auch schon mal geklappt. Und klappte mit dem Folge-Stück „Söhne wie wir – mach dir keine Sorgen, Mama!“ zwei Jahre später gleich noch einmal. Aber die Zeit, „rauchend mit Jungs auf Mülltonnen abzuhängen“, ist für sie vorbei. Jetzt ist Literatur dran, „da ist alles viel ruhiger.“ Und? Wie es weitergeht? Das bleibt so offen wie das Ende des ersten Romans von Ines Habich-Milović.