Dortmund. Geschlechterkampf und großer Sprechchor: Die neue „Antigone“ setzt eigene Akzente. Premierenpublikum begeistert. Unsere aktuelle Kritik
„Antigone“: Intensiv, kurzweilig und effektvoll bringt das Dortmunder Schauspiel die 2600 Jahre alte, aber immer noch brandaktuelle Tragödie des ehrwürdigen Sophokles auf die Bühne. Entsprechend begeistert fiel der Beifall des Premierenpublikums aus.
Ariane Kareev führt Regie bei Dortmunds „Antigone“
Regisseurin Ariane Kareev bedient sich der zeitgemäßen Übersetzung von Roland Schimmelpfennig, die bereits die Stärke der weiblichen Figuren deutlich akzentuiert. Entsprechend wird der Grundkonflikt des Werks, die Unvereinbarkeit von Staatsraison und zivilem Ungehorsam, von menschlichem und göttlichem Gebot, in Dortmund auch als Geschlechterkampf ausgetragen, bei dem die rebellisch und selbstbewusst auftretenden Frauen die schwachen Männer moralisch zunehmend verunsichern. Antigone (Linda Elsner) trauert nicht nur um ihren verfemten Bruder Polyneikes, sie rebelliert gegen die Hybris männlicher Dominanz. Und das betrifft nicht nur sie, sondern auch die sanfter gezeichneten Damen wie ihre Schwester Ismene (Antje Prust) und Kreons Gattin Eurydike (Sarah Quarshie). Dass der weise Seher Teiresias mit Akasha Daley weiblich besetzt wird, rundet das Konzept ab. Auch wenn nicht klar wird, warum sie überwiegend englisch spricht. Darstellerisch bleiben keine Wünsche offen.
Auch nicht bei den Vertretern des „starken“ Geschlechts, die ihre Schwächen ebenso deutlich zum Ausdruck bringen wie die Damen ihre Stärken. Der verunsicherte Kreon von Ekkehard Freye ebenso wie der geschwätzige Wächter von Alexander Darkow und der schüchterne Haimon von Viet Anh Alexander.
Finnische Artistinnen als originelle Besetzung
Einen besonderen Akzent setzt die Regisseurin mit der herausgehobenen Position des toten Polyneikes. Die finnischen Artistinnen Anne und Minna Marjamäki greifen in den Rollen des Polyneikes und einer „Spiegelantigone“ den Frevel Antigones in akrobatischen Pantomimen mehrfach auf. Damit ergänzen sie, choreografiert von Josa Kölbel, effektvoll die überleitenden Botschaften des Chors, die der 35-köpfige „Sprechchor Dortmund“ druckvoll, erfreulich präzise und textverständlich deklamiert.
Nicole Marianna Wytyczak schafft mit ihren fantasieartig bizarren Bühnenbildern ein Unterwelts-Szenario mit einer fröstelnden Stimmung, die durch gruselige elektronische Klanglandschaften noch verstärkt wird. Und das alles in gelungener Symbiose mit den kreativen Kostümen von Petra Schnakenberg.
Insgesamt eine zeitgemäße, theaterwirksame Produktion mit Tiefgang und dezentem Unterhaltungswert.
Spieldauer: 90 Minuten ohne Pause. Die nächsten Aufführungen im Dortmunder Schauspielhaus: am 26. Januar, 1. und 28. Februar sowie am 15. März und 2. April. Infos: www.theaterdo.de