Essen. Neue Sachbücher zum Rechtsruck der Politik: Daniela Rüthers „Sexbesessenheit der AfD“, Jakob Springfelds „Der Westen hat keine Ahnung...“

„Die Sexbesessenheit der AfD“ ist ein Buchtitel, der ein wenig der „Krumm klickt gut“-Logik von „Sozialen“ Medien folgt: Er ist nicht völlig falsch, generiert maximale Aufmerksamkeit und sorgt für entsprechendes Lesepublikum. Ein solches ist dem gleichnamigen Lang-Essay der Düsseldorfer Historikerin und Politikwissenschaftlerin Daniela Rüther durchaus zu wünschen: Es macht vor allen Dingen klar, dass der Kampf der AfD gegen geschlechtergerechte Sprache nur eine werbewirksame Facette ihrer Familienpolitik bildet. Und die wiederum ist das Fortpflanzungsorgan ihrer rassistischen Bevölkerungspolitik, die nicht nur sprachliche Anleihen bei Weltbild und Handeln des Nationalsozialismus nimmt.

Das „Baby-Willkommensdarlehn“ der AfD erinnert an das „Ehestandsdarlehn“ der Nazis

So hat die AfD 2021 einen eher substanzarmen familienpolitischen Antrag im Bundestag eingebracht, der außer einer Mehrwertsteuer-Senkung für Windeln ein zinsloses „Baby-Willkommensdarlehen“ von 10.000 Euro für deutsche Eheleute mit einem sozialversicherungspflichtigen Einkommen vorsah, das ab dem dritten Kind nicht zurückgezahlt werden musste – so funktionierte auch das im Juni 1933 eingeführte „Ehestandsdarlehen“ des NS-Regimes, das „abgekindert“ werden konnte. Fraglich bleibt, ob das reichen würde, um jene Gebärmaschinen zu erzeugen, die nötig wären, um den Bevölkerungsverlust durch die „Remigration“ genannte Abschiebepolitik gegen Eingewanderte und ihre Nachkommen auszugleichen.

Die Windelsteuersenkung brächte den Familien auch nur 25 Euro im Jahr pro Kind. Und wenn sich die Einkommenssteuer künftig nach der Zahl der Kinder richten würde, wie es im Grundsatzprogramm der AfD steht, würden, wie so oft bei dieser Partei, Spitzenverdiener am meisten profitieren. Arme überhaupt nicht. Aber auch die unverblümt sexualisierte Lösung, die von der AfD-Abgeordneten Mariana Iris Harder-Kühnel 2020 im Bundestag vorschlug („Machen wir neue Deutsche lieber selber!“), scheint nicht recht zu fruchten.

Jakob Springfelds „Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten los ist“: Bestandsaufnahme, Analyse, Erfahrungsbericht, Appell

Vielleicht sind es ja lauter Ersatzhandlungen. Daniela Rüther weist jedenfalls darauf hin, dass keine Partei so oft vom Gendern spricht wie die AfD. Also von den (keineswegs schon ausgereiften) Versuchen, so zu sprechen und zu schreiben, dass alle Geschlechter eingeschlossen sind. Hier zeigt sich einmal mehr, dass neben den unmittelbaren Wahlerfolgen der AfD ihre Wirkung nicht zuletzt darin besteht, dass sie den gesamten politischen Diskurs nach rechts verschiebt und die bürgerlichen Parteien gleich mit. 2022 stellte die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag den Antrag, gendergerechte Sprache in Thüringen zu verbieten, und zwar auch in den Universitäten und Rundfunksendern, die von der Wissenschafts- und Pressefreiheit geschützt sind.

Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU und AfD beschlossen. Und dann in Kopie von der AfD im Bundestag eingebracht. Die viel beschworene „Brandmauer“ war schon löchrig, noch bevor ein CDU-Chef Friedrich Merz in dieser Woche irgendwelche „Verschärfungen der Migrationspolitik“ im Bundestag gegebenenfalls auch mit Stimmen der AfD beschließen lassen wollte. Wie die Versuche ausgehen, der AfD vorauszueilen, hat sich schon in Thüringen gezeigt, wo die Partei in diesem Jahr die stärkste bei den Landtagswahlen wurde und nun eine Sperrminorität hat. Etwa gegen die Auflösung des Parlaments, dessen Mehrheitsverhältnisse geeignet sind, eine dauerhafte Regierungskrise herbeizuführen.

Germany Prepares For Snap Federal Elections
In Rostock wird die CDU mit der Antifa in einen Topf geworfen. Von Rechtaußen geht das wohl am einfachsten. © Getty Images | Frank Soellner

Die „Brandmauer“, so beobachtet es der 2002 in Zwickau geborene Podcaster, Student und Demokratie-Aktivist Jakob Springfeld, ist aber schon lange gefallen. Er verweist in seinem Buch „Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert“ auf eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die zwischen 2019 und 2023 insgesamt 121 Fälle von konkreter Zusammenarbeit anderer Parteien mit der AfD in Ostdeutschland zählte.

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Springfelds Buch, eine Mischung aus Erfahrungsbericht, Problem-Analyse und Bekenntnisschrift, offenbart, wie sehr die fünf jüngsten Bundesländer der Republik zu einem Angst-Raum für Demokratie-Verfechter geworden sind. Neben tätlichen Angriffen und Bedrohungen durch Neonazis (es sei „cool“, Neonazi zu sein, hat Springfeld von „mehreren Kids“ gehört) gehört dazu die Normalisierung von Rechtsextremismus.

In Brandenburg haben zwei Lehrkräfte an einer Grund- und Oberschule öffentlich gewarnt, sie seien „täglich mit Rechtsextremismus“ konfrontiert, „Lehrkräfte und Schüler, die offen gegen rechtsorientierte Schüler und Elternhäuser agieren, fürchten um ihre Sicherheit. Die wenigen ausländischen und toleranten Schüler erleben Ausgrenzung, Mobbing und Gewaltandrohungen.“ Nach der Veröffentlichung des Briefs meldeten sich Lehrerinnen und Lehrer von anderen Schulen, die das Gleiche erleben. Die Folge? Die Elternvertretung der Grund- und Oberschule drängte auf Entlassung der beiden „Nestbeschmutzer“, im Internet, so Springfeld, wurde zur „Jagd“ aufgerufen.

„Bröckelnde Brandmauer“: Die Bücher, die Debatte

Daniela Rüther: Die Sexbesessenheit der AfD. Rechte im „Genderwahn“. J.HW. Dietz Nachf. Verlag, 141 S., 18 €.

Jakob Springfeld mit Burkhard Miltenberger: Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert. Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist. Quadriga Verlag, 223 S., 18 €.

Rüther und Springfeld diskutieren über ihre Bücher am Dienstag, 4. Februar, ab 20 Uhr in der „Lesart“ von Deutschlandfunkkultur und der Buchhandlung Proust im Essener Grillo-Theater mit Christian Rabhansl (DLF) und Jens Dirksen (WAZ). Titel: „Bröckelnde Brandmauer - Wie sich der Westen die AfD als Ostproblem schönredet“. Karten (9 €) beim Theater und in der Essener Buchhandlung Proust.

Er sieht durchaus Ursachen der ostdeutschen Rechts-Wende wie demütigende Erfahrungen der Wiedervereinigung, anhaltende Benachteiligung, höhere Arbeitslosigkeit, enttäuschte Hoffnungen... Aber die Zahl der No-Go-Areas im Osten, der Gewalt-Attacken und Todesdrohungen gegen engagierte Demokraten wachse beständig. Tage, an denen es keine Übergriffe gebe, seien die Ausnahme. Springfeld warnt davor, dass der Westen (der ja überhaupt nicht frei von rechten Anschlägen und Demokraten-Mobbing ist) dem Osten zeitverzögert folgen wird und die von AfD-Chef Tino Chrupalla beschworene „blaue Welle“ Richtung Rhein rollt.

Jakob Springfeld: „Die Strategie der Großdemonstration ist gescheitert“

Doch es entsteht ein Teufelskreis, „wenn wir von Westdeutschen pauschal zu Neonazis erklärt werden, dann stärkt das den ostdeutschen Abwehrreflex“. Der führe dann etwa zur Wahl von Antidemokraten aus Protest, was dann wieder „den westdeutschen Pauschalisierungsreflex“ auslöse. Heraus kommt ein „Verantwortungspingpong“.

Letztlich aber geht es Springfeld darum, „wie wir Ostdeutschland gemeinsam demokratischer, gerechter und fairer gestalten können“. Da hält er fest: „Die Strategie der Großdemonstration ist gescheitert“, womöglich habe sie sogar einen unerwünschten Bumerang-Effekt, indem sie die AfD als einzige Oppositionskraft erscheinen lassen. Auch er sieht, dass es „die extrem Rechten noch weiter stärkt“, wenn sich „Ampel und CDU veranlasst sehen, AfD-Politik zu betreiben“.

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