Essen. „Ostfriesennebel“: Der Krimischreiber mit dem Bestseller-Gen schickt seine Ermittlerin Ann Kathrin Klaasen in ihren 19. Fall.
Wangerooge war wohl mal wieder dran. Es ist schon neun Krimis her, dass die östlichste aller ostfriesischen Inseln eine nennenswerte Rolle in einem Ann-Kathrin-Klaasen-Krimi spielte. Aber auf der Landkarte der Region wird es allmählich auch eng. Die Orte, an denen Klaus-Peter Wolf zwischen Emden und Wittmund, zwischen seiner Wahlheimat Norden und dem schon recht niederländisch wirkenden Leer noch keinen Mord platziert hat, muss man allmählich mit der Lupe suchen. Heute erscheint mit „Ostfriesennebel“ der 19. Fall, und auch darin wird wieder viel Ostfriesentee mit Sahnewölkchen gegen den Uhrzeigersinn und knackenden Kluntjes gereicht.
Klaus-Peter Wolf: Seit 15 Jahren stürmen seine Ostfriesenkrimis die Bestsellerlisten
Es dürfte der Kontrast zwischen den gemütlich-vertrauten Urlaubsansichten einer idyllischen Ferienregion und den drastischen Strömen von Blut sein, der die Verkaufszahlen dieser Wolf-Romane seit gut 15 Jahren zuverlässig in Bestseller-Höhen treibt. Diesmal säumt wieder ein gutes Dutzend Leichen den Weg des standardmäßigen Serienmörders. Unter dessen gutbürgerlicher Tarnung lauert ein seelischer Abgrund, aus dem bizarre Dämonen als Ausfluss einer spießbürgerlichen Unterdrückungsbiografie emporzüngeln. Da spielen rote High Heels genauso eine Rolle wie Felle von geschlachteten Kaninchen, schwingende Sommerkleider, krumme Eisenbahnnägel und Stoffservietten.
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Wolf-Fans werden sich auf Wiederbegegnungen mit vertrauten Randfiguren wie dem alten Polizeichef Ubbo Heide im Rollstuhl und seiner biestigen Nachfolgerin oder mit Kommissar Rupert freuen, der politischen Inkorrektheit mit menschlichem Antlitz. Der notorische Ruhrgebiets-Ausflug, den die Romane des in Gelsenkirchen aufgewachsenen Autors gern mal unternehmen, führt diesmal an den Rand des Reviers, nach Schwerte.
Klaus-Peter Wolf macht wieder Werbung für sein Lieblings-Café ten Cate
Die Zutaten (wie der genüsslich gegen alle Schleichwerbungsverbote verstoßende Dauer-Lobgesang auf die hüftgoldwerten Marzipan- und Kuchen-Kompositionen aus dem real existierenden Norder Café ten Cate) bleiben ebenso bewährt wie Wolfs Manier, dem Publikum hier und da eine Figur ans Herz zu legen oder vertraut zu machen, um sie dann ohne Gnade zum Opfer des Killers werden zu lassen.
Eine neue Ingredienz ist das Zwillings-Motiv, das etwa bis zur Mitte des Buchs für latente Dauerspannung sorgt: Ist der Mann, der da vom Ausflug mit seinem eineiigen Bruder nach Lanzarote zurückgekehrt ist, wirklich Carin Oberdieks Mann Fabian? Oder hat sein Bruder Florian ihn in den Timanfaya-Vulkan gestoßen und sich dann in die Familie geschlichen? Ein stümpernder BKA-Zielfahnder, unglückliche Ehefrauen, Hippie-Omas und etwas ausgedachte Namen wie Ilona Meisenknecht vervollständigen das Panoptikum. Nicht selten haben Klaus-Peter-Wolf-Figuren Züge einer Karikatur, da sind die beiden nervensägenden Oberdiek-Kinder nur die Spitze des Eisbergs.
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Und vielleicht wirkt sich sogar Wolfs Neigung zu arg umgangssprachlichen Wendungen verkaufsfördernd aus, wenn eine Bäckerei „offen“ hat oder Fenster „auf“ stehen, ein „Song über die Liebe und verlassen zu werden“ großartig sei oder zwei Menschen „brav zurück in ihr spießiges Leben zurückkehren“. Gartenfans unter den Wolf-Lesern werden vielleicht beim Wort „Himbeerstrauch“ aufmerken, weil die Früchte ja an Ruten wachsen. Leider ist das Buch auch nicht ganz frei von Grammatik-, Zeichen und Rechtschreibfehlern.
Klaus-Peter Wolf: Durchaus fantasieanregend für das Lesepublikum
Einigermaßen fantasieanregend dürfte es fürs Lesepublikum allemal sein, dass hier fast alle Menschen sehr seitensprunghaft veranlagt sind. Bis auf das Heldenpaar Ann Kathrin Klaasen und Frank Weller, versteht sich. Der Kontrast zwischen den strahlend Anfechtungslosen und dem Sumpf drumherum macht so einen Krimi zum modernen Gruselmärchen.
Klaus-Peter Wolf: Ostfriesennebel. Kriminalroman. Der neue Fall für Ann Kathrin Klaasen. Fischer Taschenbuch, 537 S., 14 €.